Berlin Deutschland hat ein Wachstumsproblem, das nicht bloß die großen Industrieunternehmen trifft. Vielmehr geraten die kleinen Unternehmen zunehmend in Schwierigkeiten.
Das belegen mehrere Indikatoren, vor allem der „Jimdo-Ifo-Geschäftsklimaindex für Selbstständige“. Es umfasst Soloselbstständige und Unternehmen mit bis zu acht Mitarbeitern und ist im August auf den tiefsten Stand seit dem Beginn der Erhebung im August 2021 gefallen.
Die konjunkturellen Aussichten in Deutschland sind trübe. Drei Quartale in Folge ist die deutsche Wirtschaft nicht gewachsen. In der Unternehmenslandschaft schreckt in der öffentlichen Betrachtung bislang vor allem die Großindustrie auf.
Inzwischen aber zeigt sich, dass es vor allem kleine Unternehmen sind, die besonders hart von der Konjunkturschwäche betroffen sind. Der Ifo-Index für die Gesamtwirtschaft geht zwar auch stetig zurück. Aber nicht so sehr wie bei den Kleinunternehmen, der Abstand ist im vergangenen Monat noch mal gewachsen. „Vor allem die Unzufriedenheit mit den laufenden Geschäften nahm gegenüber Juli deutlich zu“, sagte Ifo-Ökonomin Katrin Demmelhuber.
Obwohl die größeren Industrieunternehmen einen traditionell großen Anteil der deutschen Wertschöpfung ausmachen, ist der Indikator für die kleinen Unternehmen besonders wichtig. Denn sie machen das Gros der deutschen Wirtschaft aus.
Das Statistische Bundesamt zählte 2020 gut 2,5 Millionen Unternehmen in Deutschland. Mehr als zwei Millionen davon werden der Gruppe der Kleinstunternehmen zugeordnet, hatten also maximal neun Mitarbeiter. Großunternehmen mit mindestens 250 Beschäftigten und mehr als 50 Millionen Euro Umsatz gab es bloß 15.000.
Konjunktur: Schlechte Stimmung bei Selbstständigen
Die Industrie hat wegen ihres Auftragspolsters, das sich während der Coronazeit aufgebaut hatte, weiter nur geringe Probleme auf der Nachfrageseite. Die Kleinstunternehmen und Soloselbstständigen bekommen dagegen zunehmend Probleme durch ausbleibende Nachfrage.
Besonders Unternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten melden schlechte Zukunftsaussichten.
(Foto: dpa)
Die Bäckerei oder die Fitnesstrainerin leben von direkten, kurzfristigen Konsumentscheidungen ihrer Kunden. Doch angesichts der hohen Inflation sparen viele Menschen. „Die Auftragslage ist einfach zu dünn, um die gleichzeitig steigenden Kosten auszugleichen“, sagt Matthias Henze, Chef des IT-Dienstleisters Jimdo, der sich auf Kleinstunternehmen und Selbstständige spezialisiert hat.
Die politische Reaktion darauf ist besonders kompliziert, denn die Sparsamkeit der Verbraucher ist ein Stück weit gewollt. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Zinsen in den vergangenen Monaten in Rekordgeschwindigkeit angehoben, um die Inflation zu bekämpfen. Das geschieht vor allem durch weniger privaten Konsum.
Ein Hoffnungsschimmer im neuen Jimdo-Ifo-Index sind zwar die Geschäftserwartungen der Kleinstunternehmen und Selbstständigen. Diese sind im August etwa konstant geblieben, wenn auch auf enorm niedrigem Niveau.
>> Lesen Sie hier: Wagniskapitalfonds in der Krise – nun droht vielen Start-ups die Insolvenz
Die Umfrage war allerdings vor dem vergangenen Donnerstag abgeschlossen. Da hat die EZB die Leitzinsen ein weiteres Mal angehoben – was die Erwartungen der Kleinen noch weiter dämpfen dürfte.
Auch der Mangel an Arbeitskräften wird zunehmend zum Problem für die kleinen Unternehmen, unter denen sich viele Freiberufler befinden. In den Teams der rund 1,47 Millionen selbstständigen Freiberuflerinnen und Freiberufler fehlten 346.000 Fachkräfte, bei den Auszubildenden seien über 30 Prozent der Plätze in den freien Berufen unbesetzt, erklärt Peter Klotzki, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Freien Berufe (BFB).
Bürokratieabbau als „oberste Priorität“
Deshalb besteht Einigkeit, dass man die Kleinen nicht unbeachtet lassen kann. Direkte Hilfen allerdings, wie sie die Industrie mit dem Brückenstrompreis gern hätte, sind bei den Kleinstunternehmen kaum denkbar. Andere Wege müssen gefunden werden.
„Oberste Priorität hat sicher der Abbau von Bürokratie, denn hierunter leiden kleine und mittlere Unternehmen ganz besonders“, sagt der Düsseldorfer Ökonom Jens Südekum. Darauf weist auch Klotzki hin: „In einer solchen Situation schlägt umso gravierender die ständig gestiegene Bürokratie demotivierend zu Buche.“
Das hat auch die Bundesregierung erkannt. Das Wirtschaftsministerium arbeitet etwa an einem Basisregister für Verwaltungsakte. Die stark fragmentierte Registerlandschaft in Deutschland ist bisher kaum vernetzt und wenig digitalisiert. Derzeit sind viele Unternehmen in mehreren Registern mit ihren Daten parallel erfasst. Das führt zu Dopplungen von Meldungen und Abfragen.
Ein Basisregister soll das ändern. Es speichert zukünftig Stammdaten aller Firmen in Deutschland. Das Wirtschaftsministerium schätzt die möglichen Entlastungen für Unternehmen auf einen dreistelligen Millionenbetrag.
Weitere Schritte sollen folgen, die Streichung von Berichtspflichten etwa. Ende August hat die Bundesregierung bei ihrer Kabinettsklausur in Meseberg ein neues Bürokratieentlastungsgesetz aufgesetzt. Die Hoffnung gerade der Kleinunternehmen ist groß.
Inzwischen zeigt sich, dass es vor allem kleine Unternehmen sind, die besonders hart von der Konjunkturschwäche betroffen sind.
(Foto: dpa)
BFB-Geschäftsführer Klotzki fürchtet allerdings: „Zwar adressieren einzelne Ressorts der Bundesregierung den Wert der Selbstständigkeit und versuchen, die Bedingungen dafür zu verbessern, dem steht aber umgekehrt auch ein Wille zu mehr staatlicher Aufgabenerfüllung entgegen.“
Steuererleichterungen wohl wirkungslos bei Kleinunternehmen
Weitere Hoffnung der kleinen Unternehmen liegt auf Steuererleichterungen. Das ebenfalls in Meseberg beschlossene „Wachstumschancengesetz“ dürfte den kleinsten Firmen aber nicht viel bringen. Jimdo-Chef Henze sagt: „Das Wachstumschancengesetz hilft den Selbstständigen und kleinen Unternehmen nur bedingt und wird daher zu keiner Trendwende führen.“
>> Lesen Sie hier: Wirtschaftsministerium verlängert Frist bei Corona-Hilfen
Das könnte mitunter an bürokratischen Problemen der im Gesetz zentralen Investitionsprämie liegen. Die wäre grundsätzlich „ein gutes Instrument, denn es richtet sich an Unternehmen aller Größenklassen“, lobt Ökonom Südekum.
Doch in der Kabinettsfassung des Gesetzes heißt es, dass zuvor eine Untersuchung über die Energieeinsparung der Investition nötig ist, damit Firmen die Prämie in Anspruch nehmen können. Außerdem soll die Investition bei mindestens 10.000 Euro liegen. Das sei für kleine Unternehmen „nicht realisierbar“, konstatierten die acht Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft in einer gemeinsamen Stellungnahme.
Mehr: „Ich warne davor, den IRA zu kopieren“ – Ökonom Edmund Phelps im Interview.
Dieser Artikel erschien bereits am 15.08.2023. Er wurde erneut geprüft und mit einigen Anpassungen aktualisiert.