Berlin 50 Prozent mehr als vor einem Jahr zahlen die Deutschen derzeit für Schnittkäse. Käse gehört laut Statistischem Bundesamt zu den Lebensmitteln, die sich durch die hohe Inflation besonders verteuert haben. Entsprechend hat die Privatkäserei Hochland (Grünländer, Almette und Patros) „massive Preiserhöhungen durchsetzen müssen“, erzählt Peter Stahl, Vorstandschef des Allgäuer Familienunternehmens.
So machte die Käserei 2022 bei lediglich 0,6 Prozent mehr Absatz einen riesigen Umsatzsprung: Die Erlöse stiegen um 500 Millionen auf 2,2 Milliarden Euro. Trotzdem spricht der Chef der Hochland SE, einer der größten Molkereibetriebe Deutschlands, von einem „rabenschwarzen Jahr mit schwacher Liquidität“.
Lebensmittelhersteller sehen sich dabei vom Einzelhandel und aus der Politik einem Vorwurf ausgesetzt: Sahnen Produzenten derzeit mit überzogenen Preiserhöhungen ab? Stahl weist das vehement zurück: „Von Bereicherung oder ‚Gierflation‘ kann in unserer Branche keine Rede sein – im Gegenteil.“ Zum Beweis präsentiert er dem Handelsblatt ausnahmsweise Zahlen, die das Familienunternehmen mit knapp 6000 Mitarbeitern sonst nie veröffentlicht. Die Umsatzrendite in Deutschland lag demnach 2022 bei nur 1,2 Prozent. In guten Jahren seien zwischen drei und fünf Prozent üblich.
Deutschland ist für das Unternehmen aus Heimenkirch mit Abstand der wichtigste Markt. Gruppenweit war die Umsatzrendite mit 3,7 Prozent zwar etwas besser. Dies sei aber das schlechteste Ergebnis seit 2013. „Die Kostensteigerungen waren so brutal und schnell, dass viele in der Milchbranche ein schlechtes Jahr hatten“, betont Stahl, der auch Präsident des Milchindustrie-Verbands ist. Die Preiserhöhungen hätten den starken Kostenanstieg nicht gedeckt. Dennoch fänden aktuell Gespräche mit dem Handel statt, sodass die Preise für Käse in den nächsten Monaten zurückgehen könnten.
Milchpreise fahren Achterbahn
Discounter wie Lidl, Kaufland und Norma haben vor einer Woche die Preise für einige Käseartikel vom Gouda bis Emmentaler dauerhaft gesenkt – Aldi zog sofort nach. Grund dafür seien die gesunkenen Rohwarenpreise, hieß es. Die Preise an der Milchbörse fallen derzeit deutlich, nachdem sie zuvor innerhalb weniger Monate von rund 40 auf über 60 Cent pro Kilo gestiegen waren. Rohmilch macht etwa zwei Drittel der Kosten von Käsereien wie Hochland aus.
Der Grund für die Preissprünge: Konventionelle Milchbauern hatten mit höheren Energie- und Futterkosten infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine zu kämpfen. Außerdem war der Markt mit Milch unterversorgt. Denn für Milchbauern rentierten sich ihre Geschäfte längere Zeit immer weniger.
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Jetzt schlägt der Marktlage ins Gegenteil um: „Aufgrund der exorbitant gestiegenen Milcherzeugerpreise 2022 hatten viele Landwirte ihre Milcherzeugung ausgeweitet und mehr Tiere in der Produktion belassen“, schreibt der Agrarmarkt-Informationsdienst AMI. „Jährlich geben vier Prozent der Milchbauern auf. Einige haben das noch ein paar Monate verschoben. Schließlich waren die Milchpreise so hoch wie nie zuvor“, erklärt Stahl. In der Folge ist der Markt nun überversorgt – und der Milchpreis an den Spotmärkten auf 32 Cent eingebrochen.
Die Privatkäserei aus dem Allgäu beschäftigt weltweit knapp 6000 Mitarbeiter.
Der Handel verlangt von Käseherstellern nun schnelle Preissenkungen. Mit ihren Eigenmarken sind die Discounter schon vorangegangen. Diese hatten sich zuvor überproportional verteuert. Hochland-Chef Stahl hält sofortige Preissenkungen indes für ungerechtfertigt: „Molkereien brauchen diese Phase. Schließlich konnten wir höhere Kosten aufgrund laufender Kontrakte erst sehr viel später und nur teilweise an den Handel weitergeben.“
Käsekonsum 2022 gesunken
Andererseits spürt auch Hochland seit Jahresende schmerzlich: Die Verbraucher kaufen wegen der hohen Preise weniger Käse. Der Pro-Kopf-Konsum in Deutschland sank 2022 erstmals seit Jahren: um 760 Gramm auf 25,6 Kilo. Gerade bei Handelsmarken, mit denen Hochland ein Viertel seines Geschäfts macht, dürften die Preise in den nächsten Monaten sinken, vermutet Stahl.
Dann werden die Konsumenten wieder verstärkt zu Milchprodukten greifen. „Das hat zur Folge, dass es spätestens im Herbst wieder eine Unterversorgung mit Milch gibt“, erwartet der Chef der Privatkäserei. Insgesamt erwartet er höhere Milchpreise als in der Vergangenheit: um die 45 Cent, statt zwischen 32 und 35 Cent das Kilo wie zuletzt üblich. Denn politisch sei gewollt, dass die Tierbestände und somit die Milchmenge deutlich zurückgehen.
Bei Hochland und anderen Käsereien belasten die rasant gestiegenen Milchpreise das Geschäft.
(Foto: Hochland)
Der zweitwichtigste Markt für Hochland ist Russland, wo die Allgäuer etwa ein Viertel ihres Umsatzes machen. Das Familienunternehmen ist Marktführer für Käse in Russland und hält nach dem russischen Angriff auf die Ukraine am Geschäft dort fest – wie auch die deutschen Molkereien DMK und Ehrmann. Werbung und Investitionen wurden ausgesetzt.
Mit 1600 Beschäftigten produziert Hochland dort mit lokalen Rohstoffen für den lokalen Markt. Die Lebensmittelproduktion zu treffen, sei weder der politische Wille noch die Zielrichtung der EU-Sanktionen. „Wir empfinden eine hohe Verantwortung für unsere Mitarbeitenden, ihre Familien und unsere langjährigen Partner in Russland. Deshalb halten wir an unserer russischen Landesgesellschaft fest“, erklärt Stahl. „Was würde besser, wenn wir unsere Werke an einen russischen Oligarchen verkaufen?“
Marktführer für Vegankäse bekommt Konkurrenz
Hochland produziert nicht nur Käse von der Kuh, sondern ist Pionier für pflanzlichen Käse in Deutschland. Mit ihrer Marke Simply V sind die Allgäuer die Nummer eins. Doch der Marktanteil ist 2022 laut Daten von Nielsen IQ von etwa 40 auf rund 30 Prozent geschrumpft. Es kommen immer mehr Produkte auf den Markt, inzwischen sind es 135: günstige Handelsmarken genauso wie Produkte etablierter Marken wie Bresso des Herstellers Savencia. Die Franzosen (Géramont, Fol Epi, Saint Albray) sind insgesamt Marktführer für Käse in Deutschland.
Hochland ist mit seiner Marke Simply V Pionier für pflanzlichem Käse in Deutschland. Doch die Zahl der Konkurrenten wächst.
(Foto: Hochland)
„Derzeit sind mehr vegane Käse in den Regalen, als Konsumenten sie brauchen“, konstatiert Stahl. Bald werde sich die Spreu vom Weizen trennen. Simply V macht laut Stahl eine „Seitwärtsbewegung“ beim Absatz. Die Zeiten des stürmischen Wachstums seien vorbei – eine normale Entwicklung für einen Marktpionier. Nun will die Marke mit neuen Produkten wie veganem Mozzarella punkten.
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Pflanzliche Alternativen machen laut Nielsen IQ mit 79 Millionen Euro Umsatz erst ein Prozent des gesamten deutschen Käsemarkts aus. Bei veganer Milch liegt der Marktanteil bereits bei 13 Prozent.
Sorgen bereitet Hochland wie der gesamten Lebensmittelbranche das geplante Kinderwerbeverbot. „Ein solches Werbeverbot würde alle unsere Marken wie Almette, Grünländer oder Patros treffen“, meint Stahl. Denn die WHO bewerte den natürlichen Fettgehalt von Milchprodukten negativ. So dürfte selbst ein Naturjoghurt mit 3,5 Prozent Fettanteil nicht beworben werden. „Das ist Wahnsinn“, findet der Hochland-Chef.
„Etablierte Marken wie unsere können auch eine Zeit lang ohne Werbung weitersegeln.“ Neue Produkte ohne Werbung einzuführen, sei fast unmöglich. Das schade der Innovationskraft in Deutschland gewaltig.
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