Atomkraft? Nein, danke: So eindeutig ist die Stimmung, was die Abschaltung der Atomkraftwerke angeht, aktuell nicht. In der Regierung wie auch unter Bürgern bleibt das Thema umstritten.
(Foto: IMAGO/avanti)
Düsseldorf Am 15. April ist es so weit: Die letzten drei deutschen Atomkraftwerke werden abgeschaltet. Eigentlich sollte das bereits Ende vergangenen Jahres passiert sein, die durch den russischen Angriffskrieg ausgelöste Energiekrise bewegte die Ampelkoalition jedoch dazu, die verbliebenen drei Meiler noch über den Winter hinaus laufen zu lassen.
Während Wirtschaftsminister Robert Habeck die Energieversorgung in Deutschland für gesichert und den Atomausstieg sogar für unumkehrbar hält, sind sich viele Menschen in Deutschland da nicht so sicher. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur sprachen sich 65 Prozent der Befragten dafür aus, die Atomkraftwerke weiterlaufen zu lassen.
Auch die Handelsblatt-Leserschaft ist sich nicht einig, ob der Ausstieg am kommenden Samstag der richtige Schritt ist.
„Ich halte die Energieversorgung in Deutschland nicht für gesichert! Die drei AKWs sollten ohne Zeitlimits weiterlaufen“, schreibt ein Leser. Deutschland sollte sich nicht von Atomenergie trennen, sondern stattdessen lieber in neue Atomtechnologie investieren.
Dementgegen steht ein anderer Leser, der schreibt: „Der Zeitpunkt ist nicht verfrüht, denn ein atomarer Super-GAU fragt nicht nach der Zeit.“ Deutschland sollte lieber daran arbeiten, zu den „Ideengebern, Entwicklern und Produzenten“ von erneuerbaren Energieformen zu gehören und damit viele neue Jobs zu schaffen.
Aus den Zuschriften der Handelsblatt-Leserschaft haben wir eine Auswahl für Sie zusammengestellt.
Die deutsche Energiepolitik ist nicht nachvollziehbar
„Ich halte die Energieversorgung in Deutschland nicht für gesichert! Die drei AKWs sollten ohne Zeitlimits weiterlaufen. Die schon in Stilllegung befindlichen sollten reaktiviert werden. Neueste Technologie zur atomaren Energieerzeugung sollte auch in Deutschland erforscht und installiert werden. Die derzeitige deutsche Energiepolitik ist nicht nachvollziehbar und wird meines Erachtens einem Industriestandort nicht gerecht.“
Ulrich Krämer
Die Energiewende einläuten
„Meiner Meinung nach ist der Atomausstieg Deutschlands ein essenzieller Schritt zur Förderung erneuerbarer Energien bei gleichzeitiger Reduzierung der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen.
Ob die Energieversorgung ohne Atomkraft ausreicht und die klimaneutrale Energieversorgung bis 2025 realistisch ist, wird aus einem Zusammenspiel von komplexen Faktoren aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft beeinflusst, die im Gesamtkontext betrachtet werden müssen. Sofern die politischen Rahmenbedingungen unter Schaffung von Anreizen für den Ausbau erneuerbarer Energien umgesetzt werden, gibt es eine reale Chance, die Energiewende erfolgreich einzuläuten.
Ich persönlich blicke skeptisch auf diese Maßnahme und hoffe, dass sich nicht neue Verstrickungen auf politischer Ebene ergeben, die unser Land in eine neue Unselbstständigkeit führen. Vergessen werden sollte zudem nicht die Einzelverantwortung, die jede Staatsbürgerin beziehungsweise jeder Staatsbürger trägt, persönliche Energiebedarfe im Alltag sinnvoll und nachhaltig zu senken.“
Tom Sauer
Schwer fahrlässig
„Meines Erachtens ist es schwer fahrlässig in der aktuellen (Welt-/Europa-)Situation, auf die Atomkraft in Gänze zu verzichten.
Die von moralischer Erhöhung und reinem Dogma getriebene Grünen-Politik hat sich von der Realität schon lange verabschiedet. Und dass wir dann auch unsere europäischen Nachbarn bitten, doch bitte weniger Energie zu verbrauchen, ist an Absurdität kaum zu überbieten. Wie eine amerikanische Zeitung festgestellt hat: ‚…die dümmste Regierung aller Zeiten…‘ Herzlichen Dank unserem ‚Werte- und Wirtschaftsvernichtungs‘-Minister Habeck.“
Frank Bauer
>> Lesen Sie auch unseren Kommentar: Atomkraftwerke abschalten – aber die nukleare Forschung fördern
Digitalisierung und Vernunft werden leidenschaftlich ausgebremst
„Andere Länder haben mit smarten Energielösungen und erheblich geringeren Stromkosten das Problem schon gelöst. Wir mussten in Norddeutschland einen intelligenten Energieverbund mit Norwegen (Nordlink) aufbauen, weil dies aufgrund fehlender Netze mit Süddeutschland leider seit zehn Jahren nicht möglich ist, sogar massiv blockiert wird. Digitalisierung und Vernunft werden leidenschaftlich von der Gas-/Öl-/Kohle-, CSU-Lobby ausgebremst. Söder wird im Wahljahr nichts Neues oder Intelligentes zu diesem Thema von sich geben. Braucht er auch nicht, weil es einen ökologischen Stromverbund mit Österreich gibt.
Deshalb werden wir nie einen nationalen Konsens bekommen, sondern jedes Bundesland sucht den Anschluss an seinen EU-Nachbarn. Der Stromhandel findet sowieso in Paris statt, und die großen Kunden kaufen dort ein. Leider ist wie immer der Verbraucher blöd dran. Atomkraft klassisch ist extrem teuer und gefährlich. Dagegen könnten kleine, moderne, dezentrale Anlagen durchaus sinnvoll sein. Leider fehlen auch hier die Netze, Intelligenz, Kompetenz und die nationale Digitalisierung. Schön, dass wir wenigstens das beste Autobahnnetz der Welt haben.“
Bernd Otto
Jetzt ist auch egal
„Ich bin schon als junger Mann (1964 geboren) gegen die Atomkraft gewesen. Jetzt geht es aber um vier bis sechs Jahre Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke. Wenn diese AKWs noch sicher sind, dann spricht nichts dagegen:
- Denn schwach- und mittelradioaktive Abfälle sind noch 500 Jahre gefährlich – nach 30.000 Jahren erst ungefährlich.
- Die hochradioaktiven Abfälle strahlen nach 1000 Jahren noch etwa fünfmal stärker als das Uranerz, erst nach 200.000 Jahren sind sie wohl ungefährlich.
Fazit: Da kommt es auf vier bis sechs Jahre jetzt auch nicht mehr an.“
Torsten Kleinfeldt
Ist der Zeitpunkt der Abschaltung verfrüht?
„Nein, der Zeitpunkt ist nicht verfrüht, denn ein atomarer Super-GAU fragt nicht nach der Zeit. Eine Abschaltung kann bei einer so gefährlichen Brückentechnologie nie früh genug sein. Wir sollten von dem Glauben abkehren, dass wir (die sogenannte Erste Welt) immer und zu jeder Zeit über Energie verfügen können.
Zudem kann eine Spezialisierung auf erneuerbare Technologien genauso viele Jobs schaffen, wie sie anderswo vernichtet. Otto- und Dieselmotoren werden abgelöst von Elektromotoren, Braunkohle, Steinkohle und Atomkraft werden durch erneuerbare Energien wie Wasser-, Wind-, Solar- und irgendwann Fusionsenergie ersetzt, das ist der Lauf der Dinge.
Wir sollten versuchen, zu den Ideengebern, Entwicklern und Produzenten zu gehören und nicht irgendwann viel später zu den Importeuren und Nutznießern der Technologien gehören.“
Thorsten Beckers
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