Peking China ist Deutschlands wichtigster Handelspartner, doch zugleich wachsen die Spannungen mit Peking: Für die Bundesregierung ist das Grund genug, ihre Chinapolitik neu auszurichten. Was das bedeuten könnte, erfährt jetzt die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in China. In einem geheimen Drahtbericht fordert die Deutsche Botschaft in Peking, die GIZ-Projekte zu überdenken.
„Warfare die Volksrepublik für Deutschland zunächst vor allem Accomplice“, heißt es darin, „so ist sie längst ernst zu nehmender wirtschaftlicher Wettbewerber und immer stärker auch systemischer Rivale.“ Die Zusammenarbeit mit China stehe auch im Rahmen der GIZ-Projekte zunehmend vor Herausforderungen. Die GIZ ist eine Organisation der Entwicklungszusammenarbeit, die im Auftrag verschiedener Bundesministerien worldwide aktiv ist.
Vor diesem Hintergrund gelte es zu prüfen, wie auf die politischen Veränderungen im Gastland reagiert werden sollte und wo Anpassungen erforderlich seien. In dem vierseitigen Bericht, der dem Handelsblatt vorliegt, wird explizit die neue Chinastrategie der Bundesregierung als „gute Grundlage“ für eine Neuaufstellung des Bundesunternehmens genannt.
Die Bundesregierung hatte bereits im Koalitionsvertrag den Grundstein für eine kritischere Politik gelegt. An den konkreten Zielen der Strategie wird derzeit gearbeitet. Einen Termin, wann sie fertig sein soll, gibt es nicht. „Unser Verständnis ist, dass China für uns Accomplice bei globalen Fragen, Wettbewerber im wirtschaftlichen Bereich, aber auch Systemrivale in Bezug auf unser Werteverständnis ist“, sagte Außenministerin Annalena Baerbock Anfang des Jahres in einem Interview mit der „Zeit“.
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Der vertrauliche Bericht zeigt, wie sich die Zusammenarbeit mit China künftig verändern könnte. Man solle, so heißt es in dem Papier, „stärker als zuvor“ sicherstellen, „dass die Kooperation messbar auch unseren Zielen Rechnung trägt und nachhaltige Ergebnisse liefert“. Der als „Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch“ eingestufte Bericht aus Peking ist unterzeichnet von Frank Rückert, dem kommissarischen Chargé d’Affaires der Deutschen Botschaft.
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Der Posten des Botschafters in Peking ist derzeit vakant. „Vorhaben, die traditionell gewachsen sind, aber allein der Aufrechterhaltung eines in vielen Bereichen kaum noch funktionierenden Dialogs dienen“, so heißt es in dem Dokument, seien „in Zeiten einer zunehmenden, von Peking forcierten Systemrivalität und Entkopplung“ nicht mehr tragbar.
Zwar wurde die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit im Jahr 2009 offiziell beendet, China ist aber immer noch der drittgrößte Empfänger deutscher öffentlicher Entwicklungshilfe. Die GIZ ist seit 1982 in China tätig und beschäftigt dort derzeit etwa 50 Entsandte und 100 lokal Beschäftigte.
Die Organisation ist zu 100 Prozent im Besitz des Bundes, zu den Hauptauftraggebern gehören das Bundeswirtschaftsministerium, das Bundesumweltministerium und das Entwicklungshilfeministerium (BMZ). Der Aufruf zur Reform richtet sich additionally nicht nur an die GIZ selbst, sondern vor allem auch an die Auftraggeber in den Ministerien.
Die GIZ verfolgt in China unter anderem eine Rechtskooperation im Auftrag des BMZ, eine Kooperation im Bereich der Industrie 4.0 im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums sowie various Klimaschutz- und Energieprojekte im Auftrag des Bundesumweltministeriums. Einige Projekte stehen noch in diesem Jahr zur Verlängerung an.
In dem Drahtbericht fordern die Verfasser, aktuelle Kooperationen einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. „Das gilt vor allem für die Bereiche, in denen Deutschland und China in strategischer Konkurrenz zueinanderstehen“, heißt es in dem Papier. Explizit genannt werden die Rechtskooperation, Teile der Industriepolitik und die entwicklungspolitische Zusammenarbeit in Drittstaaten.
Die Risiken der Kooperation mit China sollten stärker in den Blick genommen werden, schreiben die Verfasser. Dabei wird explizit auch der Abfluss an Know-how an chinesische Unternehmen genannt. Zu den Risiken gehören etwa „einseitiger Wissens- und Technologietransfer, White- und Greenwashing und die (unfreiwillige) Beförderung strategischer chinesischer Interessen“, heißt es.
China wird schon seit Langem vorgeworfen, Industriespionage zu betreiben und mit Dumpingpreisen die eigenen Firmen auf Kosten internationaler Wettbewerber zu stärken. Ein besonders drastisches Beispiel ist die Solarbranche. Die chinesische Staatsführung soll heimische Unternehmen dazu befähigt haben, deutsche Firmen mithilfe von staatlich subventionierten Preisen an die Wand zu drücken.
Diese Befürchtung besteht nun auch in anderen Bereichen. „Kooperative Ansätze im Klima- und Energiebereich (…) stehen vor der Herausforderung, das [deutsche] Interesse an der Bekämpfung des globalen Klimawandels nicht den [chinesischen] industriepolitischen Interessen an grüner Technologie und entsprechender Marktführerschaft unterzuordnen“, heißt es in dem Bericht.
Der richtet sich auch explizit an die Rolle der Landesdirektion in Peking. So heißt es darin: „Die laufende Abstimmung zwischen Bundesregierung und GIZ, inklusive des GIZ-Landesbüros, sollte intensiviert werden“ – eine höfliche Formulierung eines größeren Issues.
Wie das Handelsblatt aus deutschen Diplomatenkreisen und Kreisen des GIZ-Büros erfuhr, schätzt die Bundesregierung zwar durchaus die guten Kontakte des Landesbüros. Denn ausländische Botschaften in China haben wachsende Probleme, Termine mit Vertretern der chinesischen Ministerien zu bekommen. Eine lange vor Ort verankerte Organisation wie die GIZ kann aber dabei helfen, diese Kontakte herzustellen.
Kritik an politischen Alleingängen
Allerdings steht der Pekinger GIZ-Landesdirektor Thorsten Giehler bereits seit Monaten wegen diverser Alleingänge und öffentlicher politischer Äußerungen in der Kritik. Giehler, der seit Januar 2018 Landesdirektor der GIZ in China ist, hatte Ende 2020 einen Beitrag des Portals „Qiao-Collective“ auf seinem Twitteraccount mit den Worten „attention-grabbing compilation of sources and research“ geteilt.
In dem Beitrag, den Giehler so „interessant“ fand, werden die Menschenrechtsvergehen Chinas in der westchinesischen Provinz Xinjiang umfassend geleugnet.
Der Beitrag von „Qiao-Collective“, den Giehler weiterverbreitete, diskreditiert kritische Berichte renommierter Medien und Experten zu dem Thema als falsch. Besonders brisant: Giehler trat auf dem Foto seines Twitter-Accounts, den er inzwischen gelöscht hat, klar als GIZ-Vertreter auf.
Nicht nur mit diesem, sondern auch mit zahlreichen weiteren politischen Beiträgen auf Twitter stellte er sich gegen seinen Hauptauftraggeber, die Bundesregierung, und argumentierte im Sinne der chinesischen Staatsführung.
Giehlers Alleingänge und politische Äußerungen hatten laut Informationen des Handelsblatts aus Botschafts- und GIZ-Kreisen bereits zu mehreren Krisengesprächen mit der Deutschen Botschaft in Peking geführt. So hatte Giehler nach dem Tweet, in dem die Menschenrechtsvergehen geleugnet wurden, ein rund 45-minütiges Gespräch mit dem damals noch als Gesandter amtierenden Rückert.
Das Papier macht deutlich, dass die Bundesregierung solche Alleingänge nicht duldet. In einem derart komplexen und zunehmend politisierten Umfeld wie China ließen sich deutsche Interessen nur dann nachhaltig und effektiv verfolgen, heißt es darin, „wenn wir konsequent und kohärent auftreten“. Eine der Handlungsempfehlungen in dem Bericht ist die „verstärkte Sensibilisierung aller Beteiligten zu systemischer Differenz“.
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