HH2E-Vorstand Andreas Schierenbeck (auf dem TV-Screen), Handelsblatt-Redakteurin Kathrin Witsch, HINT.CO-Geschäftsführer Timo Bollerhey, RWE Generation COO Hydrogen Sopna Sury und Aurora-Beraterin Thekla von Bülow im Gespräch (von links nach rechts) in der Diskussion um die Möglichkeiten des grünen Wasserstoffs.
Salzgitter, Stuttgart Klimaneutral erzeugter, sogenannter grüner Wasserstoff könnte sich deutlich schneller lohnen als angenommen – vor allem für große Nutzfahrzeuge. Andreas Schierenbeck, Mitgründer und Vorstandsmitglied des Wasserstoff-Herstellers HH2E, sagte am Donnerstag auf dem Handelsblatt Wasserstoff-Gipfel in Salzgitter: „Wir sehen erste Indikatoren, dass sich Märkte für grünen Wasserstoff bilden.“ Funktionierende Geschäftsmodelle entstünden jetzt schon, etwa im Transportsektor.
Grüner Wasserstoff wird aus erneuerbaren Energien hergestellt und gilt als Klimahoffnung für Bereiche, die ihre fossilen Energiequellen Öl, Gas oder Kohle nicht direkt umrüsten können, um CO2 einzusparen.
„Im Bereich Wasserstoff für den Schwerlastverkehr sehen wir heute bereits einen positiven Business-Case“, erklärte Schierenbeck. Der Trick dabei seien sogenannte Treibhausgasquoten (THG-Quoten). Sie sorgten dafür, dass grüner Wasserstoff sich schon bald als Kraftstoff für Lkw rechne – und sogar günstiger sei als herkömmlicher Diesel.
Die deutschen THG-Quoten sollen zum Beispiel Ölkonzerne zum Verringern der CO2-Emissionen bringen. Unternehmen, die klimaschädliche Treibstoffe wie Diesel in den Verkehr bringen, müssen entsprechend die Emissionen ihrer Produkte reduzieren.
Um das zu erreichen, können Raffinerien THG-Quoten von anderen Unternehmen kaufen – beispielsweise Betreibern von Wasserstofftankstellen. Die wiederum sollen künftig die Zertifikate dafür erhalten, dass sie sauberen Treibstoff in den Verkehr bringen.
Gesamtkosten für Wasserstoff-Lkw vergleichbar mit Diesel-Lkw
Der Vertrieb von grünem Wasserstoff wird also belohnt: Wer ihn verkauft, erhält THG-Zertifikate, die er wiederum gewinnbringend verkaufen kann. Wie viel diese Quoten wert sind, schwankt. Laut HH2E liegt der erwartete Durchschnittswert bei 12,50 Euro pro Kilo Wasserstoff.
Tankstellen können also pro verkauftem Kilo Wasserstoff 12,50 Euro allein aus Zertifikaten erhalten. Sie selbst kaufen den Wasserstoff günstiger beim Hersteller ein und müssen dann noch Faktoren wie die umgelegten Investitionskosten für ihre Tankstelle obendrauf rechnen. So könnten Tankstellen laut Schierenbeck Wasserstoff für acht bis neun Euro pro Kilo etwa an Lkw verkaufen. Damit sei der grüne Wasserstoff günstiger als Diesel.
Noch sind Lastwagen mit Brennstoffzelle selten – ebenso wie Tankmöglichkeiten.
(Foto: Reuters)
Der Verbrauch eines Lkw liegt bei rund acht Kilo Wasserstoff auf 100 Kilometer – oder rund 40 Liter Diesel. Bei einem Preis von acht Euro würden 100 Kilometer mit dem Wasserstoff-Lkw also 64 Euro kosten. 100 Kilometer mit dem Diesel-Lkw würden bei einem aktuellen Preis von 1,62 Euro pro Liter rund 65 Euro kosten.
Unterstützt wird diese Dynamik zugunsten von Wasserstoff-Lkw durch eine Subvention für die Herstellung solcher Fahrzeuge: Europaweit werden 80 Prozent der Investitionsmehrausgaben für klimafreundliche Nutzfahrzeuge gefördert.
Laut HH2E sorgen die THG-Quoten und die Förderungen dafür, dass Brennstoffzellen-Lkw, die mit Wasserstoff fahren, bald einen vergleichbaren „Total Cost of Ownership“ haben wie Diesel-Lkw. Gemeint sind die Gesamtkosten, die durch den Betrieb des Lkw entstehen, inklusive Anschaffung, Treibstoffkosten und Wartung.
Förderaufruf für neue Wasserstoff-Tankstellen
Doch laut Kraftfahrt-Bundesamt lag der Bestand an Brennstoffzellen-Lkw am 1. Januar dieses Jahres deutschlandweit gerade mal bei 37 Fahrzeugen. Bei insgesamt knapp unter 100 Wasserstoff-Tankstellen ist in Deutschland bisher etwas mehr als ein Dutzend für den Schwerverkehr geeignet.
Das soll sich in den kommenden Jahren nach dem Willen des Bundesverkehrsministeriums ändern: Es hat einen Förderaufruf zum Ausbau von Wasserstofftankstellen für Lkw und Busse gestartet. Rund 100 sollen darüber hinzukommen.
Marcel Werner, Partner bei der auf Wasserstoff fokussierten Investmentgesellschaft Senco Hydrogen Capital, sieht das als Schlüssel für einen Hochlauf von Wasserstoff-Lkw. „Es ist klar: Ohne ausreichend Tankstellen wird es keine nennenswerte Anzahl von Wasserstoff-Lkw geben“, sagt er. Die Förderung für 100 zusätzliche Tankstellen begrüßt er, auch wenn die Gelder aus seiner Sicht womöglich nicht ausreichen.
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Trotz der geringen Verbreitung arbeiten die beiden weltgrößten Lastwagenbauer über sechs Tonnen Gesamtgewicht – der schwäbische Dax-Konzern Daimler Truck und der schwedische Branchenriese Volvo Group – intensiv an der Entwicklung von Serienmodellen.
Raffinerien fragen verstärkt nach grünem Wasserstoff
Doch nicht nur Lkw-Hersteller beschäftigen sich mit grünem Wasserstoff. Beim Handelsblatt Wasserstoff-Gipfel erklärte Thekla von Bülow, Co-Head of Advisory für Zentraleuropa bei dem Thinktank Aurora Energy Research, dass es für Mineralölkonzerne dank der THG-Quotenregelung sehr hohe Anreize gebe, ihre Emissionen zu senken. „Wenn man die Quoten nicht einhält, bezahlt man zur Strafe 600 Euro pro Tonne CO2“, sagte sie.
Die Unternehmen können grünen Wasserstoff auch direkt einkaufen und ihn in ihrer Produktion von Treibstoffen wie Diesel einsetzen. So senken sie ihren CO2-Ausstoß ohne Zertifikate.
Für Mineralölkonzerne lohne es sich deshalb bis zu einem Preis von 14,50 Euro pro Kilogramm, grünen Wasserstoff einzukaufen. Bis zu dieser Preisgrenze kämen sie mit dieser Lösung günstiger davon, als ihre Emissionen durch Strafzahlungen abzugelten. Das kurbelt die Nachfrage nach grünem Wasserstoff, der teils zu Preisen von unter zehn Euro pro Kilo zu haben ist, zunehmend an.
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