Anaheim Ob man auch einen Wasserstoff-Truck habe, fragt eine Messebesucherin am Daimler-Stand. Ein Mitarbeiter des schwäbischen Lkw-Herstellers winkt ab: „Den entwickeln wir gerade. Zeigen können wir ihn noch nicht.“
Gut, dass es in Sichtweite des Daimler-Stands besser aussieht: Stolz präsentieren die Koreaner von Hyundai, der US-Truckriese Paccar und die Start-ups Nikola und Quantron ihre Brennstoffzellen-Lkws.
Die USA sind im Wasserstoff-Fieber, wie die Szene von der „Advanced Clean Transportation Expo“ (ACT) in Anaheim zeigt, der Leitmesse für nachhaltigen Transport. Die ACT strotzt vor Nullemissions-Lkws und neuen Ladekonzepten. Fast an jedem Stand stehen Elektromotoren, -trucks oder -busse. Besonders bestaunt werden jedoch die ersten Wasserstoff-Lkws. Ihre Brennstoffzellentechnik kommt oft aus Deutschland. Das Geld dürfte in den kommenden Jahren aber vor allem in den USA verdient werden.
Grund sind neue Regularien aus Kalifornien. Die dortige Aufsichtsbehörde California Air Resources Board (Carb) hat Ende April ein Verbot neuer Verbrenner-Lkw ab 2036 beschlossen und treibt mit dieser ambitionierten Vorgabe die EU vor sich her. Kalifornien gilt als US-Leitmarkt, zahlreiche Bundesstaaten dürften sich anschließen. Umso wichtiger werden praktikable Nachfolger für die Diesel-Lkws.
Zwar ist der Markt für die sauberen Fahrzeuge noch klein, doch Beobachter rechnen in den kommenden Jahren mit exponentiell steigenden Verkäufen. „Wir werden uns von fossilen Brennstoffen verabschieden. Emissionsfreie Fahrzeuge sind die Zukunft“, sagt Peter Voorhoeve, Nordamerikachef von Volvo Trucks.
Wasserstoff-Lkw vor dem Durchbruch
Wie sehen diese aus? Auf die alte Streitfrage Elektro- oder Wasserstofftruck gibt die Branche in Anaheim eine simple Antwort: Beide werden gebraucht. „E-Lkws kommen schon heute auf kürzeren Strecken zum Einsatz, auf der letzten Meile und in der Stadt“, so Voorhoeve. 2022 hat Volvo Trucks Nordamerika rund 200 Elektro-Lkws ausgeliefert – und 31.000 Diesel-Lkws. Dank der neuen Vorgaben dürfte letztere Zahl rapide sinken.
Aber eine vollelektrische Zukunft sei nicht praktikabel. Zu begrenzt sei die Reichweite, praktisch unlösbar die Belastung der Stromnetze durch die nötigen Ladevorgänge der riesigen Schwerlasterflotten. „In der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts werden sich Brennstoffzellen-Trucks vor allem auf der Langstrecke durchsetzen“, erklärt Voorhoeve.
Rückenwind kommt von der Politik. So kann ein neuer Truck auf Wasserstoffbasis nicht nur 40.000 Dollar an Steuerrabatten aus dem „Inflation Reduction Act“ (IRA) von Präsident Biden erhalten. In Kalifornien dürfen Käufer zudem auf staatliche Subventionen von bis zu 288.000 Dollar je Lkw hoffen.
Noch steckt der Markt emissionsfreier Lkw in den Kinderschuhen. Aber auf der ACT zeigt sich das Bemühen der Hersteller, sich frühzeitig ein Stück vom Kuchen zu sichern. Die vier größten Truck-Hersteller Nordamerikas – Daimler Truck, Paccar, die Traton-Tochter Navistar und Volvo Trucks – ringen dabei mit Start-ups um den besten Ansatz.
Entwicklungspartnerschaften als Mittel der Wahl
Daimler Truck und Volvo Trucks kooperieren: In Stuttgart entwickelt ihr Joint Venture Cellcentric die nötige Brennstoffzelle. Zeigen kann Daimler den Prototyp des geplanten „Mercedes-Benz GenH2 Truck“ in Anaheim aber nicht. Navistar hält sich ganz bedeckt.
Ganz anders Paccar aus dem Großraum Seattle. Stolz präsentiert die Nummer zwei auf dem US-Markt ihren „Kenworth T680 FCEV“-Lkw. Zehn Prototypen gingen an den Hafen von Los Angeles, gebaut werden soll der Truck ab 2024. Entwickelt wurde seine Brennstoffzelle bei Toyoto. „Ab sofort werden Vorbestellungen angenommen“, sagt Chris Rovik von Toyoto North America.
Die Koreaner von Hyundai sind mit ihrem „Xcient Fuel Cell“-Lkw vertreten. 30 Modelle sollen im Hafen von Oakland zum Einsatz kommen. Sie werden aus Korea importiert.
Genau da will Nikola ansetzen. Das gebeutelte US-Truck-Start-up versucht unter dem früheren Opel-Chef Michael Lohscheller gerade den Neustart. „Wir werden im August mit der Serienproduktion unseres Wasserstoff-Trucks Tre FCEV beginnen“, sagt Lohscheller. Nikola wäre damit der erste Spieler auf dem US-Markt. Das Interesse ist da: In Anaheim nahmen Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom und Flottenmanager von Walmart auf dem Fahrersitz Platz.
2023 sollen bis zu 150 Wasserstoff-Lkw ausgeliefert werden. Lohscheller sieht in ihnen den künftigen Schwerpunkt des Unternehmens, nicht im jahrelang entwickelten vollelektrischen Truck. „Der Wasserstoff-Truck hat 170 Meilen mehr Reichweite und wiegt 4000 Pfund weniger“, so Lohscheller. Auch sind die Batteriezellen angesichts der kleinen Stückzahlen, die Nikola abnimmt, schlicht zu teuer.
Die Brennstoffzellen im Nikola-Lkw stammen von Bosch. „Der Durchbruch der Wasserstofftechnik ist nicht mehr eine Frage des Ob oder Wann. Die Trucks kommen jetzt“, sagt Bosch-Manager Matt Thorington.
Nötiger Ausbau der Ladenetze
Auch der Hersteller Quantron aus der Nähe von Augsburg setzt unter anderem auf Bosch-Technik – und auf ein ungewöhnliches Konzept. Quantron ist eine Ausgründung des Mittelständlers Haller, der früher mit dem Umbau von Nutzfahrzeugen sein Geld verdiente. Das Modell will man erneut anwenden.
Auf der Messe präsentiert Quantron seinen Brennstoffzellen-Lkw: Er glänzt wie neu, wurde aber in Handarbeit aus einem gebrauchten Freightliner-Lkw zusammengebaut. Die Leitung hat der frühere Tesla-Manager Richard Haas übernommen. „Wir werden existierende Flotten umrüsten“, sagt Haas. Mit dem Partner Firstelement Fue will Quantron zudem ein eigenes Ladenetz aufbauen.
Das plant auch Daimler Truck. Die Schwaben investieren in ein 650 Millionen Dollar schweres Joint Venture zum Aufbau eines Strom- und Wasserstoff-Tankstellennetzes. Auch hier sieht das IRA-Paket von Präsident Biden Steuergutschriften von bis zu 30 Prozent vor.
Die US-Transportbranche, so wird in Anaheim klar, meint es ernst mit dem Abschied vom Diesel. Aber noch sei viel zu tun, mahnt Daimler-Nordamerikachef John O’Leary: „Die Gesamtbetriebskosten der emissionsfreien Trucks müssen sinken, um mit den bisherigen Fahrzeugen konkurrieren zu können. Und die nötige Tankinfrastruktur fehlt noch in ganz Amerika.“
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