Frankfurt Nach zwei Rekordjahren steuert die Mainzer Biontech SE auf deutlich sinkende Erlöse im Covid-Impfstoffgeschäft zu. Dessen ungeachtet will das Biotech-Unternehmen seine Forschung weiter massiv ausbauen und seine Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F+E) um mehr als die Hälfte auf bis zu 2,6 Milliarden Euro erhöhen.
Das geht aus den am Montag vorgelegten Zahlen für das Geschäftsjahr 2022 und den Prognosen für das laufende Jahr hervor.
Man werde 2023 weiter in die Transformation des Unternehmens investieren und sich dabei auch auf den Aufbau kommerzieller Kapazitäten im Bereich der Krebstherapie konzentrieren, erklärte Firmenchef Ugur Sahin. „Unser mittelfristiges Ziel ist es, die Zulassung mehrerer Onkologieprodukte in Krebsindikationen mit hohem medizinischem Bedarf anzustreben.“
Im abgelaufenen Jahr erzielte Biontech einen Umsatz von 17,3 Milliarden Euro und einen Nettogewinn von 9,4 Milliarden Euro. Das entspricht einem Rückgang von jeweils gut acht Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das operative Ergebnis sank um 17 Prozent auf 12,6 Milliarden Euro.
Für 2023 rechnet Biontech mit einem weiteren Rückgang der Covid-Impfstofferlöse um gut 70 Prozent auf rund fünf Milliarden Euro. Das Mainzer Unternehmen zeigt sich mit Blick auf das Covidgeschäft damit noch etwas vorsichtiger als der US-Partner Pfizer, der bisher für 2023 einen Rückgang seines Umsatzes mit dem Covidvakzin Comirnaty um knapp zwei Drittel auf 13,5 Milliarden Dollar erwartet.
Biontech und Pfizer haben den auf mRNA-Technologie basierten Covidimpfstoff gemeinsam entwickelt und teilen sich den Bruttoertrag aus dem Geschäft, wobei Pfizer den Löwenanteil der Umsätze verbucht. Der von Biontech ausgewiesene Umsatz besteht daher überwiegend aus Ertragsanteilen im Rahmen der Partnerschaft. Daraus wiederum resultiert auch die ungewöhnlich hohe operative Marge des Mainzer Biotech-Unternehmens von knapp 73 Prozent im abgelaufenen Jahr.
Covid-Impfstoff: EU-Liefervertrag wird neu verhandelt
Die Umsatzprognose für 2023 basiert nach Angaben von Biontech auf der Annahme, dass sich das Impfstoffgeschäft nach und nach von Einkaufsverträgen mit Regierungen auf reguläre Bestellungen im Apothekenmarkt verlagert.
Ein bestehender Liefervertrag mit der Europäischen Kommission, der bisher die Lieferung von bis zu 1,8 Milliarden Dosen des Covidvakzins vorsieht, werde aktuell neu verhandelt – mit der Möglichkeit, „dass die Auslieferungen von Impfstoffdosen über mehrere Jahre gestaffelt werden und/oder eine Mengenreduzierung erfolgen könnte“, hieß es am Montag.
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Während Biontech mit einer erhöhten Nachfrage für Impfstoffadaption rechne, erwarte das Unternehmen weniger Erstimpfungen und eine niedrigere Quote für Auffrischungsimpfungen innerhalb der Gesamtbevölkerung. Es geht dabei davon aus, dass sich ein saisonales Geschäft entwickelt, wodurch sich die erwarteten Umsätze deutlich in die zweite Jahreshälfte verschieben.
Covid-Geschäft finanziert die Forschung
Geht man davon aus, dass das Covidgeschäft weiter eine ähnlich hohe Bruttomarge liefert wie bisher, dürfte Biontech 2023 noch auf ein Betriebsergebnis von einer bis zwei Milliarden Euro zusteuern. Die laufenden Comirnaty-Erlöse werden damit weiterhin ausreichen, um den starken Ausbau der übrigen Forschungsprogramme voll zu finanzieren.
Darüber hinaus verfügt das Unternehmen dank des Covidgeschäfts der vergangenen beiden Jahre über ungewöhnlich hohe Cash-Reserven. Der Bestand an liquiden Mitteln wird per Ende 2022 mit 13,9 Milliarden Euro ausgewiesen. Hinzu kommen 7,1 Milliarden Euro an Forderungen aus Lieferungen und Leistungen. Dabei handelt es sich um Ertragsansprüche aus der Allianz mit Pfizer, die im Laufe des Jahres ausgezahlt werden.
Biontech will diese Ressourcen nutzen, um das eigene Forschungsprogramm auch durch weitere Zukäufe zu erweitern, wie Finanzvorstand Jens Holstein deutlich machte. Man sei bereit, „in M&A-Transaktionen sowie Kollaborationen zu investieren, um zukünftiges Wachstum für das Unternehmen zu schaffen“, so Holstein.
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In den vergangenen Wochen hat Biontech im Rahmen dieser Strategie bereits die Übernahme des britischen Datenspezialisten Instadeep und den Erwerb der Rechte an einem potenziellen Krebsimmunmedikaments von der US-Firma Onco-C4 vereinbart, für das noch im laufenden Jahr eine zulassungsrelevante Phase-3-Studie anlaufen soll.
Anfang des Jahres vereinbarte Biontech außerdem eine strategische Allianz mit der britischen Regierung für die beschleunigte klinische Entwicklung von Krebstherapien und Impfstoffen in Großbritannien.
Biontech: Mehr als 500 offene Stellen in Deutschland
Insgesamt testet Biontech inzwischen sechs neue Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten und 20 potenzielle Krebsmedikamente in klinischen Studien. Der Biotech-Aufsteiger ist damit bei Onkologie-Projekten bereits breiter aufgestellt als Bayer und Merck zusammen. Mit zusätzlichen Deals zielen die Mainzer nun offenbar darauf ab, vor allem die Palette an bereits fortgeschrittenen Projekten weiter zu verstärken.
Auch personell will das Mainzer Unternehmen stark expandieren. Dabei ist – anders als von manchen Medien und Politikern unterstellt – von einer Verlagerung der F+E-Aktivitäten nach Großbritannien wenig zu erkennen. Weltweit sind auf dem Karriereportal von Biontech aktuell rund 620 offene Stellen ausgeschrieben, davon 535 in Deutschland, 65 in den USA und sieben im Vereinigten Königreich.
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