Berlin Als 2011 zum 100. Mal der Internationale Frauentag gefeiert wurde, hielt auch Christiane Benner eine Rede: „Ich hätte gerne mehr weibliche Vorbilder“, sagte die damalige Leiterin des Ressorts Frauen- und Gleichstellungspolitik bei der IG Metall. „Und ich hätte gerne, dass es zur Normalität wird, dass Frauen führen. Die Zeit ist reif.“
Nun, zwölf Jahre später, ist auch bei der größten Gewerkschaft der freien Welt die Zeit reif. Der IG-Metall-Vorstand hat auf Vorschlag des Ersten Vorsitzenden Jörg Hofmann beschlossen, dass Benner im Herbst seine Nachfolge antreten soll. Beim Gewerkschaftstag im Oktober stellt sich die 55-jährige Soziologin zur Wahl.
Die Gewerkschafterin, die seit Oktober 2015 Zweite Vorsitzende ist, hat immer deutlich gemacht, dass sie sich den Spitzenjob im „Männerladen“ mit gut 2,1 Millionen Mitgliedern zutraut. Doch obwohl in der Geschichte der IG Metall bisher meist der Zweite Vorsitzende den Ersten beerbte, war lange nicht sicher, ob das auch für Benner gilt.
Dem Versuch, sie an die Spitze des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) wegzuloben, widersetzte sich die gebürtige Aachenerin vor gut eineinhalb Jahren erfolgreich.
Ihrem Chef Hofmann, der das Vorschlagsrecht für den DGB-Chefsessel innehatte, bescherte das eine quälende Nachfolgesuche, bis schließlich die Chemiegewerkschafterin Yasmin Fahimi den Posten übernahm.
Der designierten Chefin fehlt tarifpolitische Erfahrung
Bei der IG Metall hatte Benner dann einen starken Konkurrenten in dem ehrgeizigen Leiter des Bezirks Baden-Württemberg, Roman Zitzelsberger. Der 56-Jährige Badener bringt die Erfahrung im für die IG Metall so wichtigen Tarifgeschäft mit, die Benner weitgehend fehlt. So handelte er im November vergangenen Jahres den Pilotabschluss für die rund 3,9 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie aus.
Mit dem Vorschlag einer gleichberechtigten Doppelspitze wollte Hofmann den beiden Aspiranten für seine Nachfolge eine Brücke zu einer gesichtswahrenden Lösung bauen und einen Machtkampf um die IG-Metall-Spitze vermeiden. Sowohl Benner als auch Zitzelsberger hatten signalisiert, sich mit der Tandemlösung anfreunden zu können.
Doch dafür hätte auf dem Gewerkschaftstag im Oktober die Satzung geändert werden müssen. Für einen entsprechenden Antrag fand sich aber im Vorstand der IG Metall keine Mehrheit. Denn es hätte schon seltsam ausgesehen, ausgerechnet in dem Moment eine gleichberechtigte Doppelspitze zu installieren, wenn es erstmals eine Frau ganz nach oben schaffen kann.
Im April hatte Zitzelsberger dann das Feld geräumt und erklärt, Bezirksleiter in Baden-Württemberg bleiben zu wollen. Als Grund führte er gesundheitliche Gründe an: „Mir hat es auf der Wegstrecke einfach die Füße weggezogen, so dass ich vor einigen Wochen plötzlich die Grenzen der Belastungsfähigkeit festgestellt habe“, sagte er in einem Interview mit der „Stuttgarter Zeitung“ und den „Stuttgarter Nachrichten“.
Dass der geplatzte Traum von der Krönung seiner Gewerkschaftskarriere ihn durchaus schmerzte, ließ Zitzelsberger nur zwischen den Zeilen durchblicken: „Wir wollten den geschäftsführenden Vorstand eher als Team aufstellen und die Aktivitäten weniger auf Einzelpersonen ausrichten – da waren wir auf einem guten Weg“, sagte er.
Während die Arbeitgeber mit Zitzelsberger einen alten Bekannten als Gegenpart gehabt hätten, wissen sie bei Benner nicht so recht, was sie tarifpolitisch anstrebt. Sie verhandelte zwar einige Firmentarifverträge und kümmerte sich in ihrer Zeit in der Bezirksleitung Niedersachsen und Sachsen-Anhalt um die Umsetzung des Entgelt-Rahmenabkommens (ERA), mit dem die Trennung zwischen Lohn- und Gehaltsempfängern abgeschafft wurde.
Aber die Arbeitsschwerpunkte des SPD-Mitglieds Benner lagen woanders. Im geschäftsführenden Vorstand der IG Metall, dem sie seit 2011 angehört, kümmerte sie sich vor allem um Zielgruppenarbeit, Gleichstellung und Mitbestimmungsthemen. Zu ihrem Job gehörte es, mehr Angestellte, IT-Spezialisten, Ingenieure, Studierende und Frauen für eine Mitgliedschaft in der IG Metall zu gewinnen. Außerdem verantwortet sie ein Projekt für Crowdworker, mit dem die IG Metall zeigen will, dass sie auch im digitalen Zeitalter eine Zukunft hat.
>> Lesen Sie hier das Interview mit Christiane Benner: „Auch in der digitalen Welt muss Arbeit ihren Wert haben“
Bei der Zielgruppenarbeit kann die Soziologin, die bei BMW und Continental im Aufsichtsrat sitzt, durchaus Erfolge vorweisen. Im vergangenen Jahr warb die IG Metall so viele Angestellte wie nie zuvor. Wenig Bewegung gibt es beim Frauenanteil unter den Mitgliedern. Er lag im vergangenen Jahr bei 18,2 Prozent und damit nur leicht höher als vor zehn Jahren mit 17,6 Prozent.
Sollte Benner im Oktober gewählt werden, wird sie vor allem als Transformationsmanagerin gefragt sein. Die IG Metall hat den Anspruch, das Ende der Ära des Verbrennungsmotors und die Umstellung auf eine klimafreundliche Industrieproduktion möglichst ohne Jobverluste zu gestalten.
Die Neue will der Ampel in Berlin „auf die Füße treten“
Hofmanns Stimme hatte bei den politischen Entscheidern Gewicht, künftig wird Benner dort für die Anliegen der Arbeitnehmer werben müssen. In der „Süddeutschen Zeitung“ kündigte sie bereits an, der Ampel „auf die Füße treten“ zu wollen. Die Ungleichheit in Deutschland gefährde die Demokratie, deshalb müsse der Spitzensteuersatz steigen und die Vermögensteuer kommen.
Beim Gewerkschaftstag werden die Delegierten aber nicht nur über die neue Chefin und den designierten Zweiten Vorsitzenden, den bisherigen Hauptkassierer Jürgen Kerner, abstimmen. Beschlossen werden soll auch eine Verkleinerung des geschäftsführenden Vorstands von sieben auf fünf Mitglieder.
Neben Hofmann, der aus Altersgründen ausscheidet, treten auch die Vorstandsmitglieder Wolfgang Lemb, Ralf Kutzner und Irene Schulz nicht mehr zur Wahl an. Als neue Hauptkassiererin und Kerner-Nachfolgerin nominierte der Vorstand die Erste Bevollmächtigte der Geschäftsstelle Stuttgart, Nadine Boguslawski.
Auch Ralf Reinstädtler, Erster Bevollmächtigter der Geschäftsstelle Homburg-Saarpfalz, soll neu in das Führungsgremium einziehen. Das für Sozialpolitik zuständige geschäftsführende Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban stellt sich zur Wiederwahl.
Mehr: Gastkommentar Christiane Benner: Geordneter Wandel statt statischen Beharrens: Darum müssen wir die Mitbestimmung reformieren