Die Debatte über eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten ist in vollem Gange.
(Foto: dpa)
Bis heute bleibt es ein Rätsel, warum Olaf Scholz im Oktober vergangenen Jahres ohne Not angekündigt hat, mit dem 15. April 2023 sei das Enddatum der Kernenergienutzung in Deutschland definiert. Die letzten verbliebenen Meiler würden dann ohne Wenn und Aber abgeschaltet, sagte der Kanzler.
Die apodiktische Ankündigung passte nicht zu der Lage damals und sie passt nicht zur Lage heute: Nie zuvor war das Stromversorgungssystem so angespannt wie jetzt. Es hat zuletzt Situationen gegeben, in denen Deutschland ohne Netto-Importe aus dem Ausland aufgeschmissen gewesen wäre. Und das, obwohl die Stromnachfrage nicht das höchste Niveau erreicht hatte und alle Stromerzeugungskapazitäten am Anschlag arbeiteten. Nur die Erneuerbaren lieferten mangels Wind und Sonne so gut wie nichts.
Nun mag man einwenden, es gehöre schließlich zu den Errungenschaften des europäischen Energiebinnenmarkts, dass der Stromaustausch über Landesgrenzen hinweg immer besser funktioniert. Es sei gerade das Ziel, sich gegenseitig auszuhelfen.
Tatsächlich sorgt der europäische Energiebinnenmarkt für mehr Liquidität im Strommarkt, für niedrigere Preise und auch für mehr Stabilität. Er ist aber keine Versicherung für den Ernstfall. Und das hat nichts mit nationalen Egoismen zu tun, sondern damit, dass in vielen Ländern gerade dann die Stromerzeugungskapazitäten knapp sind, wenn das auch in Deutschland der Fall ist.
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Deshalb ist es so wichtig, sicher kalkulierbare Kraftwerksleistung vorzuhalten. Die Bundesregierung hat daher richtig entschieden, stillgelegte Kohlekraftwerke vorübergehend zu aktivieren. Letztlich hat sich das als Rettung erwiesen. Nie war gesicherte Kraftwerksleistung so wertvoll wie heute.
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Nur für die Kernkraft darf das nicht gelten. Die Grünen reden die Bedeutung der Kernkraft für die Stabilität des Gesamtsystems systematisch klein. Auffallend oft betonen sie in diesen Tagen, die Gasversorgungssituation sei heute deutlich besser als noch vor ein paar Wochen. Die Botschaft dahinter: Wir werden im kommenden Winter auch ohne die gesicherte Kraftwerksleistung der Atommeiler über die Runden kommen, weil genug Gas für die Stromerzeugung zur Verfügung steht.
Aber diese Kalkulation ist fahrlässig knapp. Was ist, wenn nicht alle LNG-Terminals in den kommenden Monaten planmäßig in Betrieb gehen? Was geschieht, wenn die chinesische LNG-Nachfrage wieder steigt?
Es sollte daher wenigstens die Option erhalten bleiben, die drei Meiler zur Not noch als Reserve zu halten. Dass sich FDP und Grüne nun gegenseitig die Schuld zuschieben, statt Kompromisslösungen zu suchen, ist ein Zeichen organisierter Verantwortungslosigkeit.
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