New York Auf dem Gelände von Europas größtem Atomkraftwerk hat es in der Nacht gebrannt. Bei Gefechten in der Nähe der Großstadt Saporischschja sollen russische Truppen das dortige Atomkraftwerk beschossen haben. So sei in der Nacht ein Feuer auf dem Grundstück ausgebrochen, wie der Pressedienst des AKW mitteilte. Das Feuer sei, heißt es weiter von ukrainischen Behörden, am frühen Morgen gelöscht worden. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien wurde eingeschaltet.
Um kurz vor 3.30 Uhr morgens twitterte die IAEA: Das Feuer habe keine wesentliche Ausrüstung des AKW beschädigt, es gebe bisher keine Berichte über eine erhöhte Strahlung. Die Strahlungssicherheit sei weiter gewährleistet, versicherte auch der Direktor der Anlage außerdem im ukrainischen Fernsehen.
Nach Angaben der ukrainischen Behörden ist das Feuer in einem Ausbildungszentrum in der Atomanlage ausgebrochen. In dem Atomkraftwerk sei aktuell nur der vierte Block in Betrieb.
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski äußerte sich by way of Telegram und sprach von einem gezielten Beschuss durch russische Panzer. „Da sind mit Wärmebildkameras ausgestattete Panzer. Das heißt, sie wissen, wohin sie schießen, sie haben sich darauf vorbereitet“, sagte der Staatschef in seiner Videobotschaft. Unabhängig überprüfen ließen sich diese Aussagen zunächst nicht.
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„Europa muss jetzt aufwachen“, forderte Selenski. „Gerade jetzt beschießen russische Panzer die Reaktorblöcke.“ Er verlangt für die Ukraine die Schließung des Luftraums.
Die Anlage wurde in der Nacht offenbar von Russland angegriffen. Bilder, die möglicherweise Geschosseinschläge auf dem Gelände zeigen, werden seitdem über Social Media verbreitet. Die Herkunft der Bilder ist bisher nicht durch unabhängige Quellen belegt.
(Foto: AP)
Das hatte der Westen bislang abgelehnt, da ein solcher Schritt ein direktes Eingreifen der Nato im Kriegsgebiet zur Folge hat. Der ukrainische Energieminister Herman Haluschtschenko machte sich erneut dafür stark. „Wir fordern nicht nur eine professionelle Einschätzung der Geschehnisse, sondern ein echtes Eingreifen mit den härtesten Maßnahmen, auch durch die Nato und die Länder, die Atomwaffen besitzen“, schrieb er in einem Beitrag auf Facebook.
US-Präsident Joe Biden forderte Russland nach einem Telefonat mit Selenski auf, seine militärischen Aktivitäten in dem Gebiet um das AKW einzustellen. Die russische Armee müsse Feuerwehrleuten und Rettungskräften den Zugang zu dem Gelände zu ermöglichen, so Biden.
Der US-Präsident hat sich bereits mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski ausgetauscht.
(Foto: AP)
Auch der britische Premierminister Boris Johnson sprach bereits mit dem ukrainischen Präsidenten und äußerte sich anschließend besorgt. Die „rücksichtslosen Aktionen“ von Wladimir Putin „könnten nun die Sicherheit ganz Europas direkt gefährden“, sagte Johnson am frühen Freitagmorgen. In einer Mitteilung erklärte der Premierminister, dass er „in den kommenden Stunden“ eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates zur Lage in dem Atomkraftwerk erreichen wolle.
Moskau selbst hatte die IAEA informiert, dass russische Einheiten das Gebiet um das Atomkraftwerk Saporischschja unter ihre Kontrolle gebracht hätten. Aus Sicht der IAEA steht somit auch die Anlage selbst unter russischer Kontrolle, obwohl der Betrieb durch ukrainische Mitarbeiter und unter der Aufsicht von Behörden in Kiew fortgeführt wird.
In der Ukraine gibt es mehrere atomare Anlagen. Im Atomkraftwerk Tschernobyl struggle es am 26. April 1986 zu einer der schlimmsten Katastrophen bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie gekommen. Nach der Explosion eines Reaktorblocks des Atomkraftwerks verteilten sich radioaktive Stoffe über mehrere Tage über weite Teile Europas.
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Cherson wohl in russischer Hand
Die Kämpfe gegen auch in anderen Landesteilen weiter. Dabei geht die US-Regierung davon aus, dass die Gebietshauptstadt Cherson im Süden der Ukraine höchstwahrscheinlich von der russischen Armee kontrolliert wird. „Es gibt gewiss Anzeichen dafür, dass (die Russen) das tun“, sagte Pentagon-Sprecher John Kirby dem Sender CNN.
Man müsse aber vorsichtig sein, die US-Amerikaner hätten niemanden vor Ort, der das bestätigen könne. „Wir können es additionally nicht mit Sicherheit sagen, aber wir haben keinen Grund, an den Berichten zu zweifeln, die von den Ukrainern selbst kommen, dass die Russen in Cherson sind.“
Am Donnerstagmorgen sei die Einschätzung noch gewesen, dass die Stadt umkämpft sei, sagte Kirby. Man gehe aber davon aus, dass sich das nun geändert habe. Zuvor hatte es Berichte gegeben, dass Cherson von der ukrainischen Armee offenbar aufgegeben worden struggle. Von Kämpfen um die Stadt struggle in den Lageberichten der ukrainischen Armee zuletzt keine Rede mehr.
Anleger verunsichert
Berichte über heftige Kämpfe in der Nähe des Atomkraftwerks Saporischschja verunsichern auch die Anleger. Die Märkte in Asien und der Euro erlitten am Freitag schwere Verluste, während der Ölpreis sprunghaft anstieg. „Die Märkte sind besorgt über den nuklearen Fallout. Das Risiko besteht darin, dass es zu einer Fehleinschätzung oder Überreaktion kommt und der Krieg sich verlängert“, sagte Vasu Menon, Anlagestratege bei der OCBC Financial institution. Die Anleger scheuten daher das Risiko.
Der MSCI-Index der asiatischen Aktien ohne Japan fiel um 1,6 Prozent auf den niedrigsten Stand seit November 2020. An der Börse in Tokio brach der 225 Werte umfassende Nikkei-Index mehr als zwei Prozent auf 26.021 Punkte ein. Der breiter gefasste Topix-Index sank um 1,9 Prozent und lag bei 1847 Punkten.
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Vorübergehender Schutzstatus
Zehntausende Ukrainerinnen und Ukrainer, die sich bereits in den USA aufhalten, dürfen weitere 18 Monate in den Vereinigten Staaten bleiben. Das US-Heimatschutzministerium gewährte ihnen einen vorübergehenden Schutzstatus. „In diesen außergewöhnlichen Zeiten werden wir den ukrainischen Staatsangehörigen in den Vereinigten Staaten weiterhin unsere Unterstützung und unseren Schutz anbieten“, erklärte Heimatschutzminister Alejandro N. Mayorkas.
Hintergrund ist ein Schutzprogramm mit der Abkürzung TPS, das eine befristete Aufenthaltsgenehmigung in den USA gewährt. Es ist für Menschen aus Ländern gedacht, die von Naturkatastrophen oder Krieg heimgesucht wurden. Die Regelung gilt für Ukrainerinnen und Ukrainer, die sich seit dem 1. März 2022 ununterbrochen in den USA aufhalten. Sie müssen eine Sicherheitsprüfung bestehen. Menschen, die nach dem 1. März 2022 versuchen, in die Vereinigten Staaten zu reisen, haben keinen Anspruch auf TPS.
Nach einer Schätzung des Migration Coverage Institute profitieren etwa 30.000 Menschen aus der Ukraine, die sich mit temporären Visa in den USA aufhalten, von dem Programm.
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Kaum noch Kreditwürdig
In Russland wird die Lage zusehends angespannter. Die harten Wirtschaftssanktionen des Westes trüben den konjunkturellen Ausblick des Landes deutlich ein. Laut der US-amerikanischen Großbank JP Morgan könne die russische Wirtschaft im zweiten Quartal rund 35 Prozent schrumpfen. Für das Gesamtjahr geht die US-Financial institution von einem Rückgang von sieben Prozent aus. Die Entwicklung werde mit den Krisen von 1998 und 2008 sowie den Folgen der Coronavirus-Pandemie vergleichbar sein.
Die Kreditwürdigkeit des Landes nimmt dabei weiter ab. Zuletzt stufte auch die Ratingagentur Requirements & Poor (S&P) das Score Russlands von „BB+“ auf „CCC-“ herunter. Das stellt eine weitere Herabstufung von acht Stufen in den sogenannten Ramschbereich für spekulative Anleihen dar. Das Score liegt so nur noch knapp über der Kategorie der Zahlungsunfähigkeit.
Einwohner Russlands haben zudem größeren Schwierigkeiten, sich unabhängig über das Geschehen zu informieren. Die unabhängigen Radio- und Fernsehsender Echo Moskau und Doschd sind verstummt. Ebenso sei der Zugriff auf Twitter, Facebook, der Deutschen Welle, der BBC und anderen Medien offenbar nicht mehr möglich.
Die russischen Behörden kontrollieren die Medien offenbar stark. Es werde verlangt, nur in strikter Übereinstimmung mit den erlassenen Sprachregeln zu berichten. So solle nicht von einer „Invasion“ oder einem „Krieg“ gesprochen werden, oder ukrainische Mitteilungen weitergegeben.
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Mit Agenturmaterial