Berlin Momentan sieht alles danach aus, als würde Deutschland in den nächsten Tagen eine neue Bundesregierung bekommen. Am Wochenende beschlossen SPD und FDP auf ihren außerordentlichen Parteitagen die Zustimmung zum 177 Seiten langen Koalitionsvertrag.
Das Ergebnis der Mitgliederbefragung der Grünen soll am Montag vorgestellt werden. Fällt dieses Votum positiv aus, wollen alle drei Parteien den Vertrag am Dienstag unterzeichnen. Für Mittwoch ist dann die Kanzlerwahl von Olaf Scholz (SPD) im Bundestag angesetzt.
Einen Erfolg auf dem Weg zur Kanzlerschaft konnte Scholz schon verbuchen: Am Samstag stimmten die 600 stimmberechtigten Delegiertem der SPD mit einer eindeutigen Mehrheit von 98,8 Prozent für den Koalitionsvertrag mit Grünen und FDP. Am Sonntag zog dann auch die FDP nach und erteilte ihre Zustimmung zum Ampel-Vertragswerk. Auf beiden Parteitagen waren coronabedingt nur die Spitzenpolitiker anwesend, Diskussion und Abstimmung über das Vertragswerk erfolgten hingegen digital.
FDP-Parteichef Christian Lindner verteidigte bei seiner Rede in Berlin die Entscheidung der Liberalen, mit der SPD statt der Union als Seniorpartner in eine Koalition einzutreten. „Die Sondierungsgespräche haben gezeigt, dass die Unionsparteien ihre innere Mitte verloren haben“, erklärte Lindner.
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Die Gespräche mit Grünen und SPD hingegen seien von einer besonderen Vertraulichkeit geprägt gewesen. Vor allem der designierte Bundeskanzler Olaf Scholz habe es mit Geschick vermocht, „Trennendes in sinnvoller Weise zu verbinden“, erklärte Lindner.
Der Parteichef wollte so kurz vor der Abstimmung der Liberalen nicht nur für den Koalitionsvertrag, sondern vor allem für das geschmiedete Bündnis werben. Denn trotz eines solchen Vertrages seien „die großen Herausforderungen einer Regierung gar nicht vorhersehbar“, sagte Lindner. In Krisenzeiten käme es auf die Vertrauensbasis der Regierungsparteien an, die sich bisher als belastbar erwiesen hätte.
Während sich Lindner 2017 mit den Worten „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren“, gegen eine Regierungsbeteiligung ausgesprochen hatte, stellt er am Sonntag fest: „Heute können wir sagen: Es ist besser, diese Koalition zu wagen, als auf Gestaltungschancen zu verzichten.“
Auch die anderen drei designierten FDP-Minister Bettina Stark-Watzinger, Volker Wissing und Marco Buschmann, warben für eine Zustimmung zum Koalitionsvertrag. Die Appelle der Parteispitze fanden Gehör: 92 Prozent der Delegierten stimmten für die Annahme, 6,4 Prozent dagegen, der Relaxation enthielt sich.
Kanzlerwahl in der Nikolauswoche
Damit sieht es so aus, als würden die Ampelparteien das Mitte November geäußerte Versprechen einhalten, in der Nikolauswoche eine neue Regierung zu vereidigen. Wer alles am neuen Kabinettstisch sitzen wird, ist allerdings noch nicht abschließend geklärt. Es fehlen noch einige Namen für sozialdemokratische Ministerposten – diese will die Partei am Montag offiziell bekannt geben.
Einige Personalien hingegen stehen auch in der SPD schon fest. Kanzleramtschef wird Scholz‘ Vertrauter Wolfgang Schmidt, Bauministerin dürfte Svenja Schulze werden, Innenministerin Christine Lambrecht. Auch Hubertus Heil als Bundesarbeitsminister dürfte gesetzt sein, auch wenn zuletzt manche in der SPD spekulierten, er könne ebenso das Verteidigungsministerium übernehmen. Ebenfalls darf die SPD noch das Ministerium für Entwicklungszusammenarbeit besetzen.
Auch die parteiinternen Personalfragen scheinen weitestgehend geklärt. So wird der frühere Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert das Amt des Generalsekretärs übernehmen. Er beerbt somit Lars Klingbeil, der sich für den Parteivorsitz bewirbt. Kühnert gilt in der SPD als hyperlinks und hatte 2017 Stimmung gegen den Eintritt der SPD in eine Große Koalition gemacht.
Die kontroverseste Debatte findet bei den Sozialdemokraten vor allem über das Amt des Gesundheitsministers statt. Zuletzt mehrten sich die Stimmen, die sich den SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach in dem Amt wünschen, der zu einer Artwork oberster Pandemie-Erklärer in der Coronakrise aufgestiegen ist.
Allerdings hat Lauterbach seit seiner gescheiterten Kandidatur um den Parteivorsitz 2019 in der SPD einen schweren Stand. Lauterbach wetterte vehement gegen die Große Koalition und die eigene Partei und zerschlug dadurch viel Porzellan. Viele in der SPD halten ihn für zu unberechenbar und zu illoyal, um den in Krisenzeiten so wichtigen Job zu übernehmen.
Auch außerhalb der Debatte um Ministerposten stellen sich bei den Sozialdemokraten derzeit einige Personalfragen. Laut bisher unbestätigten Berichten der „Bild am Sonntag“ soll die ehemalige Parteivorsitzende Andrea Nahles die Leitung der Bundesagentur für Arbeit übernehmen. Sie würde damit auf den derzeitigen Vorsitzenden Detlef Scheele folgen, der im April aus dem Amt ausscheidet.
Debatte um Bundespräsidentenamt
Die Wiederwahl von Frank Walter Steinmeier (SPD) als Bundespräsident, die im Februar 2022 stattfinden soll, ruft ebenfalls Diskussionen hervor. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sprach sich in der „Welt am Sonntag“ für eine Frau als neues Staatsoberhaupt aus. „Wir haben bald einen Kanzler, der von zwei Männern vertreten wird“, kritisierte Wüst. Es gebe auch Anhängerinnen und Anhänger der Ampelparteien, die sich diesbezüglich mehr Vielfalt gewünscht hätten.
Er wolle eine Debatte in der Union in Gang bringen, eine Gegenkandidatin zu Steinmeier aufzustellen, erklärte Wüst. Einen konkreten Namen nannte er allerdings nicht. In der ersten Wahlperiode 2017 hatte die Union die Wahl Steinmeiers noch mitgetragen. Der Bundespräsident wird von der Bundesversammlung gewählt, die einzig zu diesem Zweck zusammenkommt.
Sie besteht jeweils zur Hälfte aus Abgeordneten des Bundestages sowie Wahlmännern und -frauen, die von den Landesparlamenten entsandt werden. Während die Union 2022 die meisten dieser Wahlmänner entsenden darf, haben die Ampelparteien in der Bundesversammlung insgesamt trotzdem eine Mehrheit.
Als Mitglied der Ampelkoalition wollen auch die Grünen als Letzte dem Koalitionsvertrag und einer Regierungsbeteiligung in der kommenden Woche zustimmen. Dafür wird am Montag das Votum der rund 125.000 Mitglieder erwartet, die seit dem 25. November über die Vereinbarung abstimmen können.
Bei der Ökopartei warfare der Unmut über den Koalitionsvertrag und die Vergabe der Ministerien zuletzt am größten gewesen. Vor allem die Tatsache, dass das Verkehrsressort an die FDP gegangen warfare, hatte für Kritik gesorgt. Volker Wissing (FDP) warfare als neuer Verkehrsminister bei den Grünen angeeckt, als er versprochen hatte, eine Mehrbelastung durch höhere Energiesteuern auf Diesel mittels geringerer Kfz-Steuern auszugleichen. Trotz der Kritik hatte sich auch die Grüne Jugend für eine Zustimmung zum Koalitionsvertrag mit FDP und SPD ausgesprochen.
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