Das EU-Lieferkettengesetz droht am Widerstand von Christian Lindner und Marco Buschmann zu scheitern. Worum geht es in dem Gesetz? Und können die beiden FDP-Minister es tatsächlich verhindern? t-online hat die Antworten.
Ausbeutung, schwere Umweltzerstörung und Kinderarbeit: Auch in den Lieferketten großer europäischer Unternehmen kommt es immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen und Umweltverstößen.
So wurden erst kürzlich Vorwürfe bekannt, nach denen der Schweizer Schokoladenhersteller Lindt seinen Kakao von Bauernhöfen beziehen soll, auf denen Kinder arbeiten. Mehr dazu lesen Sie hier. Im November legten Hilfsorganisationen Beschwerde gegen Rewe und Edeka ein. Der Vorwurf: Die Supermarktketten sollen Bananen von Plantagen verkaufen, auf denen die Arbeiter für einen Hungerlohn arbeiten, während Flugzeuge aus der Luft gesundheitsschädliche Pestizide über ihren Köpfen ausbringen.
Die Europäische Union möchte mit einer neuen EU-Richtlinie nun Unternehmen verpflichten, Menschen und Umwelt in ihrer Lieferkette besser zu schützen. In Deutschland ist ein solches Gesetz bereits seit 2023 in Kraft. Jetzt aber droht die Bundesregierung das EU-Gesetz zu blockieren: Die FDP-Minister Christian Lindner und Marco Buschmann erklärten am Donnerstag, nicht für das Gesetz stimmen zu wollen. Doch worum geht es in der Richtlinie überhaupt? Und können Lindner und Buschmann das Vorhaben wirklich scheitern lassen? t-online hat die Antworten.
Was sieht das Gesetz vor?
Das „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“, wie die Richtlinie offiziell heißt, soll große Unternehmen dazu verpflichten, ihre Lieferketten auf Menschenrechtsverletzungen und Umweltverstöße zu überprüfen und gegen diese vorzugehen. Dabei räumt die Richtlinie ein, dass Unternehmen ihre Lieferketten nicht allumfassend kontrollieren können und somit auch nicht garantieren können, dass in ihren Lieferketten gar keine Verstöße gegen Menschenrechte oder Umweltstandards vorkommen.
Die Unternehmen müssen aber ihren Einflussmöglichkeiten angemessene Maßnahmen ergreifen, um solche Verstöße zu vermeiden oder sie zumindest zu verringern. Um das sicherzustellen, sollen Unternehmen in einer Reihe von Analysen und Berichten potenzielle Verstöße ermitteln und offenlegen, wie sie dagegen vorgehen. Tun sie dies nicht oder ergreifen sie unzureichende Maßnahmen, können sie verklagt und mit Geldstrafen belangt werden.
Welche Unternehmen sind betroffen?
Das Gesetz soll zunächst nur für größere Unternehmen gelten. Dabei unterscheidet es zwischen zwei Gruppen: Unternehmen mit mindestens 500 Angestellten und einem weltweiten Jahresumsatz von mindestens 150 Millionen Euro zählen zur ersten Gruppe. In Deutschland sind das große Konzerne, aber auch viele Firmen, die zum Mittelstand zählen.
Die zweite Gruppe umfasst Unternehmen mit mehr als 250 Angestellten und mindestens 40 Millionen Euro Jahresumsatz, die in Branchen tätig sind, in denen Menschenrechts- und Umweltverstöße besonders wahrscheinlich sind. Dazu zählen etwa die Textilindustrie, aber auch die Rohölgewinnung und die Lebensmittelbranche.
Kleine und mittlere Unternehmen, die nicht in eine der beiden Gruppen fallen, sind vom Gesetz indirekt betroffen, wenn sie sich in der Lieferkette der größeren Unternehmen befinden.
Deutschland hat doch bereits ein Lieferkettengesetz. Wozu braucht es die EU-Richtlinie überhaupt?
Das deutsche Lieferkettengesetz gilt für Unternehmen mit 1.000 oder mehr Mitarbeitern. Ähnliche Gesetze gibt es auch in einzelnen anderen EU-Staaten, etwa in den Niederlanden und Frankreich. Mit der EU-Richtlinie gäbe es erstmals ein EU-weites Regelwerk. In zwei entscheidenden Punkten wäre die EU-Richtlinie außerdem weitreichender als das deutsche Gesetz:
- Erstens verlangt die EU-Richtlinie von Unternehmen, Sorgfaltspflichten in der gesamten Wertschöpfungskette wahrzunehmen, vom Vorprodukt bis zur Entsorgung. Das deutsche Gesetz hingegen betrifft nur Unternehmen und ihre Zulieferer.
- Zweitens wären mit der EU-Richtlinie Unternehmen auch zivilrechtlich verantwortlich. Das bedeutet, dass sie für Verstöße verklagt werden könnten, etwa von NGOs, und zum Beispiel Schadensersatz zahlen müssten. Solche Klagen sieht das deutsche Gesetz nicht vor.
Können Buschmann und Lindner das Gesetz überhaupt blockieren?
Nein, zumindest nicht allein. Trotzdem bringen Lindner und Buschmann mit ihrer Ablehnung das Gesetz in Gefahr. Damit eine EU-Richtlinie in Kraft tritt, müssen ihr das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union, in dem die Regierungen der Mitgliedsstaaten sitzen, zustimmen.
Im Rat sind dafür die Stimmen von mindestens 15 der 27 Mitgliedsstaaten erforderlich. Sind vier oder mehr Staaten dagegen, greift außerdem eine zweite Einschränkung: In den zustimmenden Staaten müssen mindestens 65 Prozent der gesamten EU-Bevölkerung leben. Eine Enthaltung, wie Deutschland sie plant, zählt dabei wie eine Gegenstimme.
Die zweite Regel führt dazu, dass im Rat nur schwer Entscheidungen gegen Deutschland getroffen werden können: Hier leben rund 19 Prozent der europäischen Gesamtbevölkerung. Wenn sich noch drei weitere, ausreichend große Staaten anschließen, kann das Gesetz so verhindert werden. Auch Frankreich steht dem Gesetz skeptisch gegenüber, zusammen mit Deutschland umfasst es bereits rund 34 Prozent der EU-Bevölkerung. Ob die Franzosen das Gesetz ablehnen werden, ist derzeit nicht bekannt. Doch wenn sie es tun, bräuchte es nur zwei weitere Staaten und die Richtlinie würde scheitern.