1,5 Grad Erderwärmung gegenüber dem vorindustriellen Referenzzeitraum in den vergangenen 12 Monaten. Was bedeutet das? Expertin Marie-Luise Wolff erklärt.
Die globalen Temperaturen sind im Januar 2024 höher als je zuvor – seit Beginn der Aufzeichnungen. Das teilte der Klimawandeldienst Copernicus der Europäischen Union am Donnerstag mit.
„Es ist nicht nur der wärmste je gemessene Januar, sondern wir haben auch gerade eine zwölfmonatige Periode erlebt von mehr als 1,5 Grad über dem vorindustriellen Referenzzeitraum“, sagte Copernicus-Vizedirektorin Samantha Burgess. Mehr dazu lesen Sie hier.
Marie-Luise Wolff ist Vorstandvorsitzende des größten Ökostromanbieters in Deutschland. Als Expertin ist sie Teil der Allianz für Transformation, die von Bundeskanzler Olaf Scholz ins Leben gerufen wurde und die Bundesregierung unter anderem bei der Energiewende berät. t-online hat mit ihr über die Effekte der Erderhitzung gesprochen.
t-online: Frau Wolff, Ihr neues Buch trägt den Titel „2,8 Grad – Endspiel für die Menschheit“. Steht es wirklich so schlimm um uns?
Marie-Luise Wolff: Es steht schlimm um unser Klima – wenn wir uns nicht sehr stark anstrengen, unsere Emissionen in den nächsten zehn Jahren runterzubringen.
Was bedeutet denn eine Erwärmung um 2,8 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter?
Südeuropa würde zur Wüste werden – große Teile Afrikas sowieso. Das hätte Fluchtbewegungen in einem nie da gewesenen Ausmaß zur Folge. Denn natürlich würden die Menschen in den kühleren Norden, also nach Mittel- und Nordeuropa, fliehen.
Video | Das droht Deutschland bei einer Erwärmung von drei Grad
Quelle: t-online
Aber auch für uns in Nordeuropa hätte es gravierende Folgen: Steigende Meeresspiegel würden unsere Küsten angreifen. Konkret wäre die Existenz von Küstenstädten wie Emden oder Bremerhaven bedroht. Das Gleiche gilt für Bereiche an der Ostsee. Zudem würden Unwetterkatastrophen stark zunehmen. Einen kleinen Vorgeschmack hatten wir bereits letzten Sommer: extremer Starkregen, Zerstörungen durch Hurrikane und Orkane. Hinzu kämen extreme Hitzeperioden und da sprechen wir dann von 40 Grad über mehrere Wochen hinweg. Die ersten Anzeichen sehen wir bereits.
Diesen Sommer haben wir die Klimakrise erneut so richtig zu spüren bekommen. Wir haben Überschwemmungen mit 20.000 Toten gesehen. Solche Bilder in den allabendlichen Nachrichtensendungen werden in den kommenden Jahren deutlich zunehmen.
Wenn Sie nun von einer Erwärmung von 2,8 Grad sprechen, auf welchen Zeitraum beziehen Sie sich?
Lassen Sie mich kurz ausholen: Beim Ziel, die globale Erwärmung auf unter 1,5 Grad zu begrenzen, ist immer die Rede vom Ende des Jahrhunderts. Die Wahrheit ist – wir werden dort bereits in den nächsten Jahren sein [Interview Dez. 2023 – jetzt ist die Zahl erreicht]. Ab diesem Punkt werden dann unabsehbare Effekte eintreten. Es wird zu Veränderungen auf dem Planeten kommen, die nicht mehr rückgängig zu machen sind. Bis zum Ende des Jahrhunderts geht es dann auf die erwähnten 2,8 Grad zu.
Was wären konkrete Schritte gegen eine weitere Erhitzung?
Ein Ende der Regenwaldabholzung, schnellstmöglicher Ausstieg aus der Kohleverstromung, Wiedervernässung von Mooren, ein neues Verkehrsmanagement, andere Vorgehensweisen, was Ernährung, Verpackung, Landwirtschaft angeht. Das ist alles machbar, aber der Weg dahin muss auf internationaler Ebene aufgezeigt werden. Wir haben so lange zu wenig getan, dass wir uns jetzt auf das Machbare konzentrieren müssen.
Zur Interviewpartnerin
Dr. Marie-Luise Wolff ist Vorstandsvorsitzende der Entega AG, dem größten Ökoenergieanbieter in Deutschland. Außerdem ist sie Präsidentin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. (BDEW) und Teil der Allianz für Transformation. Im Oktober ist ihr Buch „2,8 Grad – Endspiel für die Menschheit“ erschienen. Darin widmet sie sich der Frage: „Wie wir die Klimakatastrophe noch abwenden können.“
Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund die Regierungsarbeit der Ampel in puncto Klimaschutz?
Beim Lesen des Koalitionsvertrags hatte ich das erste Mal das Gefühl, da hat jemand verstanden, was jetzt zu tun ist. Auch im ersten Regierungsjahr wurde vieles richtig gemacht. Dann kam der russische Angriffskrieg, der die Politik extrem fordert. Und dann das Heizungsgesetz. Dabei wurde den Bürgerinnen und Bürgern nicht gut genug erklärt, was auf sie zukommt. Das war für mich eine Zäsur.
Was ist da aus Ihrer Sicht schiefgelaufen?
Bei so einem kostenintensiven Thema ist es die Aufgabe des Gesetzgebers zu sagen: Das sind die konkreten Ziele und wir sagen euch jetzt, wie wir dahin kommen und wie ihr mitwirken könnt. Wir brauchen die Bereitschaft der Politik, intensiv zu erklären und mit der Bevölkerung zu sprechen. Ich werde nie vergessen, als Frau Merkel zu Beginn der Corona-Krise einmal erklärt hat, was exponentielles Wachstum bedeutet. Genau eine solche Kommunikation braucht es, denn auch die fortschreitende Erwärmung bedeutet den Beginn einer Krise. Das ist beim Heizungsgesetz komplett schiefgelaufen. Ich habe allerdings das Vertrauen, dass diese Regierung zum Pfad des ersten Jahres zurückfinden kann.