Die besten Käufe tätigt man im Leben, wenn das Produkt keiner haben will. An der Börse ist es genauso, bloß ist der richtige Zeitpunkt dort nicht planbar.
Cabrios oder Rennräder sind häufig im Spätherbst günstig zu haben, denn wer will schon bei vier Grad und Nieselregen offen durch die Gegend cruisen. Auch Gartenmöbel haben nicht gerade im Herbst und Winter Konjunktur, deshalb müssen Restposten raus und Lager geräumt werden. An der Börse ist es genauso, bloß ist dort nicht planbar, wann gerade Frühjahr oder Herbst ist.
Deshalb lohnt besonders hier der Blick in den Rückspiegel, um die Zukunft besser einschätzen zu können. Vor einem Jahr rechneten die sonst so optimistischen Analysten erstmals in diesem Jahrtausend mit einem Minus am Aktienmarkt. Ein unter dem Strich schlechtes Börsenjahr 2022 mit Verlusten von gut 30 Prozent beim Nasdaq 100 und zwölf Prozent beim Dax drückten auf die Stimmung.
Der von sogenannten Experten fast schon fest eingeplante Crash an den Börsen in der ersten Jahreshälfte blieb jedoch aus. Im Gegenteil: Der Dax kam so gut aus den Startlöchern wie selten zuvor und das US-Technologiebarometer könnte in diesem Jahr mit einem Plus von mehr als 50 Prozent die beste Jahresperformance seit 1999 erreichen.
Optimismus überall
Da überrascht es wenig, dass internationale Fondsmanager wieder optimistisch in die Zukunft blicken und sich entsprechend positioniert haben. „In den verwalteten Depots sind Aktien derzeit so stark übergewichtet wie seit Beginn des Zinserhöhungszyklus der US-Notenbank im März 2022 nicht mehr“, erläutert Stefan Riße von der Fondsgesellschaft Acatis.
Anleiherenditen sind auf Rekordniveau, viele Analysten erwarten fallende Leitzinsen. Im Gegenzug sind die Barreserven der Profis mit 4,5 Prozent auf ein Zweijahrestief gerutscht. Bei einem verwalteten Vermögen von 611 Milliarden Dollar ist also nicht mehr viel Pulver für Nachkäufe vorhanden.
Der Aktienprofi
Daniel Saurenz ist Finanzjournalist, Börsianer aus Leidenschaft und Gründer von Feingold Research. Mit seinem Team hat er insgesamt mehr als 150 Jahre Börsenerfahrung und bündelt Börsenpsychologie, technische Analyse, Produkt- und Marktexpertise. Bei t-online schreibt er über Investments und die Lage an den Märkten, immer unter dem Fokus des Chance-Risiko-Verhältnisses für Anleger. Sie erreichen Daniel auf seinem Portal www.feingoldresearch.de.
„In Anleihen sind Investoren sogar so stark übergewichtet wie seit 15 Jahren nicht mehr“, führt Vanyo Walter vom Broker Robomarkets aus. Dort mussten zuletzt auch viele Anleger fast zwangsweise auf die Seite der Börsenoptimisten wechseln. Denn der jüngste Aufschwung hat zwei Gründe.
Zum einen werden Risiken offenbar ausgeblendet, die Mehrheit der Fondsmanager geht von einer sanften Landung der Weltwirtschaft aus und vertraut dabei auf das Geschick der großen Notenbanken. Nur ein Viertel der Befragten rechnet mit sinkenden Unternehmensgewinnen. Zum anderen aber hat die durchgehende Rallye seit Mitte Oktober für einen sogenannten Short-Squeeze gesorgt, da spekulative Anleger, die auf fallende Kurse gesetzt hatten, ihre Spekulation beenden mussten.
Als dritten Punkt muss man noch die Zinsen anführen. „Für viele Anleger sorgt die Losung, dass die Zinsen 2024 fallen werden, für positive Fantasie“, so der Robomarkets-Experte. Selten zuvor hat eine bislang nur verbal eingeleitete geldpolitische Wende der US-Notenbank die Stimmung in kurzer Zeit so grundlegend verändert. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass Zinssenkungen nicht immer ein Segen für den Aktienmarkt waren. Durchlief die Wirtschaft eine Rezession, lag der S&P 500 rund zehn Monate nach der ersten Lockerung im Durchschnitt um rund 20 Prozent tiefer.
Ohne Rezession, was eher selten vorkam, stieg er um fünf Prozent. Mit anderen Worten: Fallende Zinsen sind nur dann gut, wenn die Gewinne der Unternehmen stabil bleiben. Matthew Benkendorf vom Investmenthaus Vontobel bemerkt, dass „die Zinserhöhungen zeitverzögert wirken und in Verbindung mit sinkenden Konsumentenersparnissen und dem enormen Haushaltsdefizit auf eine Abkühlung 2024 hindeuten“.
Achtung bei zu viel Einigkeit
Wenn dazu unter den großen Akteuren nahezu Konsens herrscht und viele auf eine Richtung an den Märkten setzen, ist Vorsicht angebracht. Erinnern wir uns: Vor zwölf Monaten dominierte der Pessimismus und die Börsen zauberten ein glänzendes Jahr aufs Parkett. Ende 2022 war die Mehrzahl der Analysten großer US-Banken negativ für das Folgejahr gestimmt – eine absolute Seltenheit. Heute hingegen ist das Bullenlager gut gefüllt und es werden immer höhere Kursziele ausgerufen. Jüngst kippte als Kontraindikator auch die Investmentbank Goldman Sachs und schwenkte auf Börsenrekorde um.