Wie können in Zukunft mehr Fußballer öffentlich zu ihrer Homosexualität stehen? Ex-Spieler Marcus Urban geht dieser Frage intensiv auf den Grund. Und arbeitet an einem Plan.
Der Fußball und die Homosexualität: Diese Beziehung war schon immer und bleibt nach wie vor kompliziert. Nur wenige Fußballer bekennen sich heutzutage öffentlich dazu, homosexuell zu sein. In Deutschland hat sich in den letzten Jahren kein einziger Profi geoutet. Das vorerst letzte Coming-out eines prominenten Akteurs war das von Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger und liegt schon fast ein Jahrzehnt zurück.
Doch warum ist das so? Welche Sorgen plagen homosexuelle Spieler? Was hält sie davon ab, den Schritt an die Öffentlichkeit zu wagen? Und wie könnte man ihnen ein Coming-out erleichtern?
Marcus Urban kennt eine ganze Menge homosexueller Fußballer und weiß, warum sie tagtäglich ein Versteckspiel spielen. Der 52-Jährige ist selbst homosexuell. Die Angst, sich verleugnen zu müssen, verhinderte bei ihm einst eine Karriere als Profifußballer.
Heute hilft Marcus Urban anderen, zu ihrer Homosexualität zu stehen. Mit t-online spricht er über die Ängste und Sorgen von Spielern, erzählt, was er einem BVB-Star heute sagen würde, und erklärt, wie der Stand bei seinem aktuell größten Projekt ist: einem Gruppen-Coming-out im Fußball.
t-online: Herr Urban, offene Homosexualität im Männerfußball ist noch immer eine Seltenheit. In Deutschland gibt es beispielsweise keinen aktiven Profi, der sich dazu bekennt. Warum?
Marcus Urban: Im Kopf gibt es bei vielen Sportlern die Vorstellung: Meine Homosexualität ist ein Problem. Das ist auch nachvollziehbar. Es kommt punktuell immer wieder zu homophoben Vorfällen im Sport, und sei es nur durch Aussagen von Trainern oder Mannschaftskameraden. Die Spieler registrieren das ganz genau, sezieren diese Vorfälle in den sozialen Medien. Sie befinden sich in einer Situation, die enormen Druck bedeutet, ihnen Angst macht und sie in die Enge treibt.
Zur Person
Marcus Urban (*1971) ist ein ehemaliger deutscher Fußballspieler. 2007 bekannte er sich in einem Interview zu seiner Homosexualität. Kurz darauf veröffentlichte er sein Buch „Versteckspieler. Die Geschichte des schwulen Fußballers Marcus Urban“, in dem er die Thematik noch einmal ausführlich beleuchtete.
Heute ist Urban unter anderem Koordinator des Beratungsnetzwerkes des Vereins für Vielfalt in Sport und Gesellschaft. Er ist zudem systemischer Coach, Impuls-Redner und Diversity-Experte und als solcher national und international gefragt.
Was ist die Folge daraus?
Etliche homosexuelle Fußballer spielen ein Versteckspiel. Sie haben sich ein Lügengerüst aufgebaut. Innerlich zerreißt sie das fast selbst. Viele sind deshalb deprimiert und verängstigt, einige auch in psychologischer Behandlung.
Welche Ängste haben die Spieler denn?
Die sind sehr unterschiedlich. Ein homosexueller Profi, den ich kenne, outet sich nicht, weil er einen Migrationshintergrund hat und noch nicht mal seine Eltern davon wissen. Ein Spieler aus der 3. Liga sagte mir mal, dass ihm die Sicherheitsvorkehrungen nicht gut genug seien. Es sei viel heikler, sich in der 3. Liga zu outen als zum Beispiel in der Bundesliga. Und dann gibt es auch Profis, die haben keine Angst vor einem Coming-out, sondern einfach keine Lust.
Welche Rolle spielen die Berater der Spieler? Gibt es welche, die ihren Klienten von einem Coming-out abraten?
Man darf das nicht pauschalisieren, aber es gibt definitiv Spieler, die sich mit Leuten umgeben, die sie ausnutzen. Da heißt es dann: Versteck dich weiter. Willst du etwa die Schwuchtel im Verein sein? Das macht mich traurig und zum Teil auch wütend. Es gibt Fälle, in denen Familien an ihren Kindern eine Menge Geld verdienen. Die sagen ihnen nicht, dass sie zu sich stehen sollen, sondern genau das Gegenteil, um weiter fleißig von ihnen zu profitieren. Für die Spieler tut mir das sehr leid, weil sie in eine emotionale Sackgasse geraten sind. Ich kenne das selbst zu gut.
„Ich hätte es gerne erlebt, professionell Fußball zu spielen und glücklich zu sein.“
Marcus Urban
Ich hätte es gerne erlebt, professionell Fußball zu spielen und glücklich zu sein. Stattdessen war ich unglücklich, fremdbestimmt und unfrei.
Sie sprechen über Ihre Jugend. Anfang der 1990er-Jahre standen Sie kurz vor dem Sprung in den Profifußball, hatten aber Angst, ihre Homosexualität verstecken zu müssen.
Genau, ich wäre zu dem Zeitpunkt beinahe in der 2. Bundesliga gelandet, wurde damals auch zu den Junioren-Nationalmannschaften eingeladen. Eigentlich hätte der Fußball meine Rettung sein sollen. Doch als Jugendlicher war ich suizidgefährdet, habe Gewalt und Missbrauch erfahren, war depressiv. Das sind Themen, die bei mir Jahrzehnte an Aufarbeitung gebraucht haben. Schwul zu sein und einen Umgang damit zu finden, kam dann noch obendrauf. Heute bin ich froh, dass ich Fußball spielen, frei leben und glücklich sein kann.