Lange war sie der Öffentlichkeit als ARD-Korrespondent Georg Kellermann bekannt. Erst im Alter von 62 Jahren machte sie öffentlich, dass sie eine Frau ist. Nun erzählt Georgine Kellermann von ihrem langen Weg zu sich selbst.
Ihr blonder Zopf ragt über einen roten Liegestuhl. Man sieht bereits von Weitem, dass sie eine große Frau ist. Sie sitzt im Garten hinter dem Gebäude des Verlags, in dem ihr neues Buch erscheint. Es ist heiß, bis zu 27 Grad sollen es an diesem Tag Mitte Mai in Berlin noch werden. Georgine Kellermann trägt eine weiß-blau gestreifte Bluse, eine Dreiviertel-Hose, Sandalen mit Absatz und dezenten Lippenstift.
Ihr Beruf war es, die Geschichten anderer Menschen zu erzählen. Über Jahrzehnte beschäftigte sie sich damals offiziell als Auslandskorrespondent mit politischen Themen, im Lokaljournalismus mit den Sorgen und Nöten der Region. Erst 2019 war es an der Zeit, dass Georgine Kellermann, damals 62 Jahre alt, ihre eigene Geschichte erzählte. Mit t-online hat sie nun darüber gesprochen, warum es ihr so lange schwerfiel, sie selbst zu sein und wovor sie am meisten Angst hatte.
„Heute lebe ich selbstverliebter“
Sie sei heute glücklicher denn je, sagt sie, bereits kurz nachdem sie ihre kleine Pause im Garten beendet und sich t-online im Verlagshaus vorgestellt hat. „Was mich antreibt, ist die Liebe zum Leben. Ich habe immer gerne gelebt, aber heute lebe ich noch lieber, intensiver, verliebter und selbstverliebter.“ Sie lacht, und zwar so, dass ihre Augen klein werden und der Mund groß. Sie lacht aus vollem Herzen.
Auf die Frage, wer ihre Vorbilder seien, nennt sie ihre Mutter – weil sie ihre Alkoholkrankheit besiegt habe. „Sie hat es geschafft, trocken zu werden und das ist eine Lebensleistung, die man nicht genug würdigen kann“, erklärt Georgine Kellermann. Sie habe die Auswirkungen der Alkoholsucht ihrer Mutter gesehen: „Es war eine fürchterliche Situation und ich machte mir Sorgen, dass es mir einmal ähnlich gehen würde.“ Bis jetzt spüre sie davon jedoch nichts, auch wenn sie eine leidenschaftliche Weingenießerin sei, sagt sie.
Georgine Kellermann zeigt sich verständnisvoll, wenn sie von ihrer Mutter spricht. Sie habe Georgine als Kind einmal dabei ertappt, wie sie heimlich ihre Kleider und Pumps anprobierte. Die Mutter habe nicht gewusst, wie sie damit umgehen sollte. Transsexualität sei damals in den Sechzigerjahren kein Thema gewesen, das öffentlich besprochen wurde. Trotzdem habe sie immer zu ihrem Kind gestanden.
„Deadname“
Viele transgeschlechtliche Menschen legen ihre alten Namen, die sogenannten „Deadnames“, ab. Georgine Kellermann schreibt dazu in ihrem Buch: „Ich bin da eine Ausnahme. Meine Zeitungsartikel sowie meine Filme und Hörfunk-Produktionen liegen in vielen Archiven. Ich kann nicht den größten Teil meiner Arbeit, auf die ich stolz bin, wegwerfen, nur weil der Name, den mir meine Eltern gaben, darüber steht.“ Daher finden Sie auch in diesem Artikel häufiger den Namen Georg, wenn es um Georgine Kellermanns Vergangenheit geht.
Georg war ihre Rolle, dahinter steckte immer Georgine
Nach außen hat Georgine Kellermann über 60 Jahre die Rolle des Georg gespielt, die ihr im Nachhinein nicht immer sympathisch gewesen sei. So gab Georg in der Schule etwa den Klassenclown, später den stereotyp-männlich gelesenen Journalisten. Im Privaten hingegen offenbarte sie sich schon früh bei Freunden, später im Beruf weihte sie einige Kolleginnen ein. „Wer mit mir befreundet war, wusste, wer ich bin. Die Rolle auch im Privaten spielen zu müssen, das hätte ich nicht gekonnt“, sagt Georgine Kellermann. „Als ich der ersten Kollegin beim WDR davon erzählte, habe ich noch gezittert. Aber je öfter ich mich Menschen öffnete, desto leichter fiel es mir.“
Menschen wie Astrid, ihre langjährige Lebenspartnerin und heutige beste Freundin, bestärkten sie darin, Georgine in die Öffentlichkeit zu tragen. Trotzdem fiel es ihr selbst oft schwer, das Haus als Frau zu verlassen. Zu Hause konnte sie sein, wer sie war. Wenn sie als Georgine auf die Straße ging, begleitete sie die Angst, entdeckt zu werden.
Georgine Kellermann liebte ihren Job
Sie sei zwar in Pumps zu Hause ins Auto gestiegen, aber habe die Schuhe gewechselt, bevor sie ausstieg, um ins Büro zu gehen. Sie streifte die Rolle des Georg über, während sie in die Herrenschuhe schlüpfte: „Wie viel Energie und Kraft ich auf wandte, um diese Rolle zu spielen. Diese Energie hätte ich auf so viele andere Dinge verwenden können.“ Sie hätte viel früher auf Astrid hören sollen, sagt Georgine Kellermann heute.