für den Philosophen Bertrand Russell ist die Weltgeschichte „auch die Summe dessen, was vermeidbar gewesen wäre“. Das würde allerdings rationales Verhalten voraussetzen – und keine Kind überaggressiver Regierungskriminalität wie bei Wladimir Putin. Der regiert sein Russland wie ein Syndikat, das den Überfall souveräner Staaten zum Geschäftsprinzip erhoben hat.
Das Besondere: Solche Gewalt im Amt fordert Reaktionen heraus, die man sich vor ein paar Wochen noch nicht hätte vorstellen können. Nie ist die Zahl von Neuerungen größer als bei einem Epochenbruch. Innovation folgt auf Invasion.
Neuerung zwei: Nach jahrelangen Debatten über Rüstung bekommt die Bundeswehr sofort 100 Milliarden Euro als „Sondervermögen“ für Investitionen und Rüstungsvorhaben. Olaf Scholz (SPD) versicherte in einer starken Kanzlerrede vor dem Bundestag, die Republik werde „von nun an – Jahr für Jahr – mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren“. Die Bundeswehr brauche „neue, starke Fähigkeiten“. Möglichst rasch liefert das Land nun auch Waffen an die Ukraine: 1000 Panzerabwehrwaffen sowie 500 Boden-Luft-Raketen vom Typ „Stinger“.
Neuerung drei: Veränderungen am festgezurrten Atom- und Kohleausstieg sind nicht mehr tabu. Er werde eine weitere Nutzung der Atomenergie angesichts der zugespitzten Konfrontation mit Russland nicht „ideologisch abwehren“, sagt Robert Habeck. Sein Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz prüfe die Möglichkeit längerer Laufzeiten von Kohle- und Atomkraftwerken. Als Different zu russischem Gasoline sieht Habeck aber vor allem den Import von Flüssiggas und auf Sicht – wie gehabt – den Ausstieg aus fossilen Energien.
Neuerung vier: Die EU revidiert ihre bisherige Linie, kein Militärgut an Kriegsparteien zu liefern. Erstmals wird sie Kauf und Lieferung von Waffen sowie von militärischer Ausrüstung „an ein angegriffenes Land“ finanzieren. 500 Millionen Euro wurden hierfür freigegeben. Vom „Ende des Tabus, wonach die EU keine Waffen an Kriegsparteien liefert“, sprach der Außenbeauftragte Josep Borrell. Zugleich wurde der EU-Luftraum für russische Flugzeuge gesperrt und die „Medienmaschine des Kremls“ gestoppt: Die staatlichen Pinocchio-Sender Russia In the present day und Sputnik sollen in der EU verboten werden.
Neuerung fünf: Deutschland, die USA, Frankreich, Kanada, Italien, Großbritannien und die EU-Kommission schließen alle russischen Banken, die bereits sanktioniert sind, vom internationalen Zahlungssystem Swift aus. Womöglich kommen weitere Geldinstitute hinzu, die auch von internationalen Finanzströmen abgeschnitten werden sollen. Und die russische Zentralbank, die hohe Gold- und Devisenreserven hat, soll gehindert werden, mit globalen Finanzgeschäften den Rubel-Kurs zu stützen.
Fazit: Was hier vorliegt, ist eine Aneinanderreihung lauter Revolutionen. Der russische Präsident Putin reagiert darauf wie in alten James-Bond-Filmen mit dem „Dr. No“-Schema: noch mehr Druck, noch mehr Bedeutungs-Wahn. Er setzt die „Abschreckungskräfte“ seines Landes in Alarmbereitschaft – inklusive Atomwaffen. Nato-Mitglieder hätten „aggressive Erklärungen“ abgegeben. Diese entrückte Sicht der Dinge lässt wenig Gutes für Verhandlungen erwarten, die heute Morgen russische und ukrainische Delegationen an der ukrainisch-belarussischen Grenze beginnen.
Who’s who and the place are you? So lautet die aktuelle Frage zu Nähe und Distanz im Verhältnis zum Kriegsherrn Putin. Der britische Ölkonzern BP trennt sich von knapp 20 Prozent am russischen Staatskonzern Rosneft. CEO Bernard Looney und Vorgänger Bob Dudley verlassen den Verwaltungsrat, in dem Altkanzler Gerhard Schröder nach wie vor sitzt. Der Sozialdemokrat will weiterhin Verwaltungsrat von Gazprom werden. „Dann sollte er als Komplize von Kriegsverbrechern behandelt werden“, sagte der frühere Schachweltmeister und russische Politiker Garri Kasparow im Handelsblatt-Gespräch. Mittlerweile fordert auch die SPD-Spitze vehement den Abgang Schröders aus russischen Räten.
(Foto: imago/Russian Look)
Am heutigen Montag muss sich auch Putin-Freund Valery Gergiev vom „brutalen Angriffskrieg“ gegen die Ukraine distanzieren – sonst könne er nicht mehr die Münchner Philharmoniker dirigieren, warnt Dieter Reiter, Oberbürgermeister der Stadt. Auch schönste Töne können Misstöne sein.
Ein Stimmungsbild aus der deutschen Wirtschaft zu Putins Krieg gibt Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), im Handelsblatt-Gespräch: „Viele Verantwortliche haben mir mit Blick auf Russland deutlich gesagt: Mit einem solchen Regime kann man keine Geschäfte mehr machen. Viele Unternehmen überlegen die Konsequenz, sich aus Russland zurückzuziehen, auch schon ohne Sanktionen.“
Gefragt wäre hier zum Beispiel Mercedes. Die Schwaben sind mit 15 Prozent an der Firma Kamaz beteiligt, die gepanzerte Fahrzeuge an Russlands Militär liefert. Marc Tüngler von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz: „Man muss das dringend lösen. Je länger das Administration an dieser Kooperation festhält, desto stärker wird es in die Defensive geraten.“
Was halten Sie von einem Konzernchef, der sagt: „Wir wissen manchmal nicht, wohin das Geld gegangen ist, aber wir sehen, dass Geld verschwunden ist“? Ziemlich verrückt, oder? Börje Ekholm, CEO des schwedischen Konzerns Ericsson, gab auf diese Artwork öffentlich zu, dass im Irak Gelder an die Terroristen des „Islamischen Staats“ (IS) geflossen sein könnten. Interne Ermittler kamen gar nicht mehr nach mit der Aufzählung der Verfehlungen: Korruption, Betrug, Veruntreuung, Verstoß gegen nationale Gesetze, Bilanzfälschung und Geldwäsche.
Den internen Report haben etliche internationale Medien ausgewertet, darunter NDR, WDR und „Süddeutsche Zeitung“. Es zeigt sich: Die Irak-Geschäfte, etwa beim Aufbau von Mobilfunknetzen, brachten zwar zwischen 2011 und 2018 quick zwei Milliarden Greenback Nettoumsatz, ließen aber Ericsson immer tiefer im Korruptionssumpf versinken. Bestochen wurde ohne Ansehen der Particular person: Beamte, Subunternehmer, Geschäftspartner, kurdische Clans, IS-Leute. Mit dem verstorbenen CDU-Politiker Norbert Blüm sagen wir: „Der, der alles nur für Geld tut, wird schließlich für Geld alles tun.“
(Foto: imago photographs/Political-Moments)
Und dann ist da noch Karl Lauterbach, 59, Vollsortimenter im Mediengeschäft. Seinen unzähligen Interviews, Talkshow-Auftritten, Tweets und Pressekonferenzen fügt er ein inhaltlich schwaches Sachbuch hinzu: „Bevor es zu spät ist“. Der SPD-Gesundheitsminister bleibt dabei nicht im Fach, sondern wildert im Revier des grünen Ministerkollegen Robert Habeck (Wirtschaft und Klimaschutz).
Einerseits will Lauterbach zu Aktionen gegen die Klimakatastrophe aufrütteln, andererseits lässt sein Alarmismus die Erfolgschancen gering erscheinen: „Ich bin mehr als skeptisch, ob wir die anstehenden Herausforderungen überhaupt noch in der uns zur Verfügung stehenden Zeit bewältigen können.“ Der Autor rät, „mehr Wissenschaft zu wagen“ und – so wie er selbst – kein Fleisch mehr zu essen und mit Holz zu bauen. Das seien „die am meisten unterschätzten CO2-Retter“.
Irgendwie fällt einem zum Holzweg des Autors hier Rainer Maria Rilke ein: „Ruhm ist die Summe der Missverständnisse, die sich um einen Namen sammeln.“
Ich wünsche Ihnen unmissverständlich einen guten Begin in die Woche.
Es grüßt Sie herzlich
Ihr
Hans-Jürgen Jakobs
Hier können Sie das Morning Briefing abonnieren: