EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen könnte ihre Wiederwahl notfalls auch mithilfe von Rechtspopulisten sichern. Ihre Gegner schäumen, doch so manch einer hält sich ein Hintertürchen offen. Vor allem auf einen kommt es an.
Es war der Moment, als Ursula von der Leyen ein für alle Mal Klarheit hätte schaffen können. Seit Wochen wabern Spekulationen durch Brüssel und Berlin, die EU-Kommissionschefin könnte versuchen, ihre Wiederwahl mithilfe von Rechtsaußen-Kräften zu sichern. Von der Leyen befeuerte diese Szenarien vor allem selbst, seit sie sich offen für eine Kooperation mit Teilen der EKR-Fraktion (Europäische Konservative und Reformer) gezeigt hat.
Bei der TV-Debatte in der vergangenen Woche wollte es die Moderatorin daher ganz genau wissen: „Verstehe ich Sie richtig: Sie bereiten eine Zusammenarbeit mit der EKR vor?“
Aber von der Leyen lavierte herum. „Das habe ich nicht gesagt“, erklärte sie mit erhobenem Zeigefinger, der wohl den Eindruck einer gleich einsetzenden Präzisierung vermitteln sollte, dann aber doch eine leere Geste blieb. Von der Leyen sagte bloß: Sie wolle mit einzelnen Abgeordneten zusammenarbeiten, sich nicht auf Fraktionen festlegen. Ihr Gesprächsangebot gelte „allen, die Europa nach vorne bringen wollen“.
„Wenn das so bleibt …“
Im Kampf um ihre Wiederwahl hat sich von der Leyen damit die Tür zur rechten EKR-Fraktion offen gehalten. Der Kommissionschefin geht es dabei wohl vor allem um die italienischen Postfaschisten Fratelli d’Italia, die Partei von Regierungschefin Georgia Meloni, die Mitglied in der EKR ist. Von der Leyen nennt Meloni „klar pro-europäisch“, sie sei „gegen Putin“ und für den Rechtsstaat – für von der Leyen die drei Bedingungen für eine Kooperation. „Wenn das so bleibt, werden wir eine Zusammenarbeit anbieten.“
Mit ihrem Zugehen auf Meloni hat die Kommissionschefin eine Kontroverse ausgelöst – nicht zuletzt in Deutschland, das aufgrund seiner Größe die meisten Europaabgeordneten ins EU-Parlament schickt. Ihre Gegner sprechen von einem „Tabubruch“, sie selbst sieht es als Chance. Riskiert von der Leyen damit gar ihre Wiederwahl?
Komplizierte Mehrheitsfindung
Von der Leyens Suche nach neuen Partnern hat zunächst wohl vor allem taktische Gründe: Sollte sie nach der Europawahl am 9. Juni von den europäischen Staats- und Regierungschefs erneut als Kommissionschefin nominiert werden, muss sie vom EU-Parlament bestätigt werden. Dafür braucht sie eine Mehrheit der 720 EU-Abgeordneten hinter sich, also mindestens 361 Stimmen. Schon 2019 errang sie nur eine hauchdünne Mehrheit, unter anderem, weil deutsche Sozialdemokraten und Grüne ihr die Stimme versagten.
2024 könnte dieser Prozess noch komplizierter werden – obwohl rein rechnerisch die Stimmen von Christdemokraten, Liberalen und Sozialdemokraten Umfragen zufolge für eine stabile Mehrheit von rund 450 Sitzen reichen könnten. Denn mit ihrem Meloni-Flirt verprellt von der Leyen unter anderem die europäischen und deutschen Sozialdemokraten.
Vor allem bei der SPD hat von der Leyen damit einen Nerv getroffen. Im Willy-Brandt-Haus hat man mit der Spitzenkandidatin Katarina Barley früh auf einen Wahlkampf gegen rechts gesetzt. Von der Leyens Planspiele mit Italiens Postfaschisten mobilisieren die Genossen nun in ungeahnter Weise.
Kanzlerpartei erhöht Druck auf von der Leyen
Der Generalsekretär der deutschen Kanzlerpartei, Kevin Kühnert, zieht nun eine rote Linie. „Für die gesamte europäische Sozialdemokratie ist klar: Es gibt für uns keine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit Rechtsradikalen im EU-Parlament. Unser Ehrenwort gilt. Wir werden nicht zu Steigbügelhaltern für Kräfte, die unsere EU erzkonservativ und autoritär umbauen wollen“, so Kühnert im Gespräch mit t-online.
Der SPD-General wirft von der Leyen vor, sich vor allem um ihre Wiederwahl zu sorgen und sich dabei „abhängig zu machen von europafeindlichen Kräften wie der polnischen PiS-Partei und den italienischen Fratelli“. Das seien Parteien, die „in ihren Ländern den Rechtsstaat angreifen, die Pressefreiheit beschränken und Frauenrechte abbauen“. Dabei sei klar, dass von der Leyen für deren Unterstützung einen „Preis“ zahlen müsse. „Doch dazu schweigt sie.“