Die niederländische Finanzministerin Sigrid Kaag und ihr deutscher Kollege Christian Lindner.
(Foto: REUTERS)
Brüssel Ist Christian Lindner ein Hardliner, vor dem sich die EU-Kollegen fürchten müssen? Der deutsche Finanzminister grinst, als er das in Brüssel gefragt wird. Nein, er sei kein „scary hawk“, antwortet er. Höchstens ein „pleasant hawk“, ein freundlicher Falke.
In Brüssel wird genau darauf geachtet, wie sich Lindner verhält. Denn Deutschland könnte entscheidend sein, wenn es um die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts geht, die für viele EU-Länder enorm wichtig ist.
Deutschland wird von zwei Seiten umworben. Auf der einen Seite steht Frankreich, das in diesem Halbjahr die Ratspräsidentschaft innehat und das Thema immer wieder auf die Tagesordnung bringen kann.
Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire setzte am Dienstag den Ton für die Debatte so freundlich wie möglich: „Wir sind alle im selben Boot“, sagte er. „Wir brauchen Investitionen und Regeln. Und wir werden gemeinsam ein Gleichgewicht dafür finden.“
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Klar ist aber auch: Die Franzosen wollen eine wirksame Reform für die Schuldenregeln. Ihre Staatsverschuldung liegt bei rund 115 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, additionally deutlich über den vorgegebenen 60 Prozent. Sollten die derzeit wegen der Pandemie ausgesetzten Regeln ohne Änderungen wieder in Kraft treten, würde die EU-Kommission Frankreich Jahr für Jahr zum Abtragen seiner Schulden ermahnen.
Eine Possibility dabei ist, Investitionen in grüne Technologie von den Regeln auszunehmen. Mehrere Billionen Euro wird die Transformation allein in Deutschland kosten, einen großen Teil wird der Staat zumindest beitragen müssen, wenn nicht gar selbst tragen. Auch in Deutschland ist darum fraglich, ob es dauerhaft ohne neue Schulden geht.
Lindner gibt sich diplomatisch
Lindner gab sich nach Ende des Finanzministertreffens diplomatisch: „Die deutsche Bundesregierung ist offen für eine sinnvolle Weiterentwicklung“, sagte er. „Wir müssen in Zukunft sowohl den Gedanken von Wachstum verfolgen als auch der fiskalischen Stabilität und der Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen.“ Erreichen ließe sich etwas bei der „Anwendung und Interpretation der bestehenden Regeln“. Vertragsänderungen schloss er praktisch aus.
Einer von Frankreichs größten Kontrahenten ist Österreich. Bei einer Reform des Pakts müsse man „höllisch aufpassen“, sagte Finanzminister Magnus Brunner. Österreich denkt an einfachere Regeln, die sich leichter kontrollieren lassen, nicht an Lockerungen. „Wir plädieren ganz stark dafür, wieder zu einer seriösen, soliden Finanzpolitik zurückzukehren“, sagte er.
Österreich zählt sich zur Gruppe der „sparsamen Vier“, zu der auch Dänemark, die Niederlande und Schweden gehören – wobei der Fortbestand dieser Konstellation fraglich ist. Nach der Regierungsbildung in den Niederlanden wird dort das Finanzministerium nicht mehr von einem Christdemokraten, sondern von Sigrid Kaag geführt, Chefin der linksliberalen Partei D66. „Sparsame Vier“ sei ein „hübscher Titel“, sagte sie in Brüssel und ließ durchblicken, dass sich die Verhandlungsbereitschaft Den Haags erhöht hat.
Die Franzosen können alos auf eine neue Dynamik hoffen. Und auf jeden Fall mit Unterstützung aus Italien rechnen. Der französische Präsident Emmanuel Macron verfasste zusammen mit Italiens Ministerpräsident Mario Draghi im Dezember einen Gastbeitrag für die „Monetary Instances“, in dem beide mahnten, dass die Regeln nicht notwendige Investitionen behindern sollten. „Wir brauchen mehr Handlungsspielraum für ausreichende Zukunftsinvestitionen und zur Sicherung unserer Souveränität“, schrieben sie.
Auch in Spanien sieht man das wohl so. Doch der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez hat sich bislang bewusst nicht offiziell auf Frankreichs Seite gestellt. Stattdessen umgarnt er den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz. „Ich glaube nicht, dass es intestine ist, wenn sich Blöcke von Ländern mit verschiedenen Positionen bilden“, sagte er bei dessen Besuch in Madrid am Montag. „Es ist wichtig, dass alle Regierungen zusammenarbeiten.“ Spanien wolle eine konstruktive Haltung einnehmen.
Fonds könnte Ergänzung zu Schuldenregeln sein
Eine Ergänzung zu reformierten Schuldenregeln könnte ein Fonds sein, der Investitionen in die grüne Transformation finanziert. Solche Pläne werden derzeit in der EU-Kommission geprüft. Sie würde in diesem Fall selbst Geld an den Finanzmärkten leihen. Die EU-Staaten müssten Investitionspläne einreichen und würden entsprechend Geld ausgezahlt bekommen.
Nach dieser Finanzierungsmethode funktioniert auch der Corona-Wiederaufbaufonds. Auf diese Weise konnte für EU-Verhältnisse relativ schnell und unbürokratisch Geld ausgezahlt werden. Allerdings sind die ersten Erfahrungen sehr unterschiedlich. Einige Länder investieren bereits Milliardensummen aus dem Fonds. Andere konnten sich mit der EU-Kommission noch nicht auf einen Investitionsplan einigen. Und bei Polen und Ungarn gibt es Bedenken, dass das Geld nicht ausreichend gegen Versickern in dunklen Kanälen geschützt ist.
Einige Regierungen betonen nachdrücklich, dass sie den Corona-Wiederaufbaufonds als einmaliges Projekt verstehen. So sagte die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin, ein weiterer Fonds sei für ihr Land „ein absolutes No-Go“.
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