Zürich Conrad Keijzer ist nicht leicht aus der Ruhe zu bringen. Der Clariant-Chef kann selbst der schwersten Krise des Chemiekonzerns seit Jahren noch etwas Positives abgewinnen. Am Montag schockte Clariant seine Aktionäre mit der Nachricht, dass das Unternehmen den Jahresabschluss verschieben muss, weil eine interne Sonderprüfung Vorwürfen der Bilanzmanipulation nachgeht. Der Aktienkurs brach um mehr als 20 Prozent ein.
Keijzer jedoch sagt im Gespräch mit dem Handelsblatt: „Ich bin froh darüber, dass unsere eigenen Mitarbeiter auf die Probleme aufmerksam gemacht haben.“ Interne Hinweisgeber hatten die Untersuchung im September vergangenen Jahres ins Rollen gebracht. „Es bestätigt mir, dass wir eine Kultur haben, in der offen über Probleme gesprochen wird“, so Keijzer.
Trotz monatelanger Recherchen ist die Untersuchung bis heute nicht abgeschlossen. Forensiker von Deloitte und Anwälte der Kanzlei Gibson, Dunn & Crutcher gehen den Vorwürfen nach, dass Mitarbeiter von Clariant unter anderem Rückstellungen falsch verbucht haben, um die Marge aufzupolieren. So sollten die ambitionierten Margenziele des Konzerns wenigstens auf dem Papier erfüllt werden.
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Die Vorwürfe wiegen schwer, daher warb Keijzer für Verständnis über die lange Dauer des Verfahrens: „Die interne Untersuchung ist zum größten Teil abgeschlossen, allerdings conflict es nicht möglich, PwC die nötige Sicherheit zu verschaffen, sodass sie den Jahresabschluss nicht abzeichnen konnten.“
Bei einer laufenden forensischen Untersuchung, die möglicherweise die Rechnungslegung beeinflusst, ist es in der Branche üblich, dass die Wirtschaftsprüfer die Untersuchung abwarten, bevor sie ein Testat abzeichnen.
Es drohen Strafen von der Schweizer Börse Six
Keijzer deutete zudem an, dass eine Ausweitung der Untersuchung zu Verzögerungen geführt hat: „Am Ende conflict die Menge an Daten, die gesichtet werden musste, zu groß, um rechtzeitig fertig zu werden. Diese Untersuchungen müssen sorgfältig durchgeführt werden und brauchen Zeit.“ Die Vorwürfe wurden im September erhoben. Wie teuer die interne Untersuchung für Clariant wird, hängt auch davon ab, wie lange sich der Geschäftsbericht verzögert. Dem Schweizer Unternehmen, das an der Börse notiert ist, drohen bei verpassten Fristen Strafen von der Schweizer Börse Six.
Möglicherweise muss Clariant den Jahresabschluss für 2020 korrigieren. Außerdem könnten weitere zurückliegende Jahresabschlüsse in Zweifel stehen. Der Clariant-Chef betont allerdings, dass Umsatz und Cashflow nicht betroffen sind. Auch die Auswirkungen für das jüngste Geschäftsjahr hält Keijzer für überschaubar: „Zum jetzigen Zeitpunkt können wir nicht sagen, ob und in welchem Umfang Ebitda-Margen abweichen. Wir gehen aber davon aus, dass die Ebitda-Marge für die fortzuführenden Aktivitäten im Jahr 2021 bei 16 bis 17 Prozent liegen wird.“
Die mögliche Manipulation von wichtigen Bilanzkennziffern wie der Ebitda-Marge ist auch deshalb brisant, weil Clariant in den vergangenen zwei Jahren einen umfangreichen Konzernumbau hinter sich gebracht und zahlreiche Geschäftsbereiche verkauft hat. Für die Ermittlung von Verkaufspreisen werden üblicherweise die Ebitda-Margen herangezogen.
Keijzer betont jedoch: „Wir haben bisher keine Anhaltspunkte, dass Geschäftsbereiche betroffen sind, die wir verkauft haben.“ Das Risiko, dass möglicherweise Käufer von Clariant-Geschäftsbereichen den Konzern wegen manipulierter Finanzkennzahlen verklagen, bezeichnet er als Spekulation. Die Transaktionen, wie zuletzt das Geschäft mit chemischen Farben und Pigmenten, das an die deutsche Heubach-Gruppe ging, seien abgeschlossen.
Persönliche Konsequenzen auf der obersten Führungsetage stehen bislang nicht im Raum. Langzeit-CEO Hariolf Kottmann sowie der langjährige Finanzvorstand Patrick Jany werden bislang nicht belastet. „Wir haben keine Anzeichen, dass der vorherige CEO oder der vorherige Finanzvorstand involviert waren“, stellt Keijzer klar. Er werde alles dafür tun, dass sich so ein Skandal nicht wiederholt. „Dieser Vorfall ist eine Erinnerung, dass wir unseren Fokus auf Sicherheit und Compliance weiter verstärken müssen“, betont er. „Wir haben rund 11.500 Mitarbeiter. Die große Mehrheit hat hohe ethische Requirements. Es handelt sich um eine sehr kleine Gruppe, die möglicherweise Regeln gebrochen hat.“
Clariant hat turbulente Jahre hinter sich
Die Vorwürfe überschatten ein erfolgreiches erstes Jahr für Keijzer an der Spitze des Unternehmens. Clariant ist einer der größeren Spezialchemiehersteller in Europa. Entstanden ist die Firma 1995 als Abspaltung vom damaligen Pharmahersteller Sandoz. Die Schweizer sind sehr stark in Deutschland vertreten. „Das Kerngeschäft hat sich sehr stark entwickelt“, versichert Keijzer. „Wir erwarten weiterhin, dass wir unsere Ziele für dieses Jahr erreichen.“ Der Konzernumbau und der Ausstieg aus kleineren Geschäftsbereichen ist aus seiner Sicht abgeschlossen. Nun gelte es, das Wachstum wieder anzuschieben.
Eine wichtige Rolle spielen dabei die Werke in Deutschland, Gendorf und Frankfurt Höchst. „Deutschland ist ein Schlüsselstandort sowohl für die Produktion als auch für Forschung und Entwicklung“, betont Keijzer. In Gendorf hat Clariant gerade erst seine Produktion von Ethylenoxid erweitert, einem Zusatzstoff für viele Konsumgüterartikel. Auch in Frankfurt plant Clariant derzeit, die Produktion wichtiger Chemikalien zu erweitern.
Höchst sei ein strategisch wichtiger Standort, betont Keijzer. Daher sei ein Verkauf der Beteiligung an der Betreibergesellschaft des Chemieparks, Infraserv, derzeit für ihn kein Thema. „Es gibt keine aktiven Gespräche über einen Verkauf unserer Anteile an Infraserv“, so Keijzer.
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