Der Kanzler ist zu schwierigen Gesprächen nach Jordanien und Israel gereist. Während er versucht, Premier Netanjahu von einer Deeskalation im Gazastreifen zu überzeugen, sendet er noch eine zweite wichtige Botschaft.
Olaf Scholz steht vor einer großen Fensterfront und starrt konzentriert auf den Boden. Am Samstagmittag, wenige Minuten vor dem Abflug zu seiner Reise nach Jordanien und Israel gibt der Bundeskanzler ein Pressestatement am militärischen Teil des Flughafens in Berlin Brandenburg.
Gerade hat ein Journalist gefragt, ob er Hoffnung habe, dass ein Militäreinsatz der israelischen Armee in Rafah, im Norden des Gazastreifens, noch verhindert werden könne. Der Premier Benjamin Netanjahu hat die Offensive gerade erst abgenickt. Für die Zivilbevölkerung vor Ort drohen verheerende humanitäre Folgen. Scholz selbst spricht von einem „großen menschlichen Unglück“.
Die Chancen, Netanjahu umzustimmen? Stehen nicht gerade gut. Scholz will es trotzdem probieren. Nach einem Moment des Nachdenkens sagt er der Presse: „Wichtig wäre, dass es jetzt ganz schnell zu einer Verständigung kommt über eine Waffenpause, die es ermöglicht, dass die Geiseln freigelassen werden und die gleichzeitig auch humanitäre Hilfe nach Gaza kommen lässt.“
Er hält kurz inne, sagt, wie immer, „Schönen Dank“ – und geht. Den Druck, der auf den bevorstehenden Gesprächen lastet, hat er im Hinterkopf.
Der Ton muss deutlich härter werden
Es ist eine schwierige und gleichzeitig bedeutende Reise für den Kanzler. Vor allem die Gespräche in Israel sind ein Drahtseilakt. Zwar will er, wie schon bei seinem ersten Besuch, kurz nach dem grausamen Angriff der Hamas am 7. Oktober vergangenen Jahres, auch dieses Mal deutlich machen, dass Deutschland an der Seite Israels steht. Gleichwohl muss der Ton deutlich härter sein als beim letzten Mal. Denn klar ist: auch Netanjahu muss sich an das Völkerrecht halten.
Die humanitäre Lage im Gazastreifen ist in den vergangenen Wochen immer schlimmer geworden, die Kritik am Premier entsprechend lauter. Selbst die USA, die neben Deutschland zu den letzten Unterstützern Israels gehörten, verschärften den Ton. So hatte der Mehrheitsführer der Demokraten im Senat, Chuck Schumer, Netanjahu bei seiner vergangenen Rede deutlich kritisiert und Neuwahlen gefordert. Präsident Biden sagte anschließend, Schumer habe die Meinung vieler Amerikaner widergespiegelt. Scholz zieht nun nach, minus zehn Prozent, also in abgemilderter Fassung.
Aber reichen Worte, um Israel von einer Militäroffensive in Rafah abzubringen? Oder um Netanjahu bestenfalls von einem Waffenstillstand für weitere Hilfsgüterlieferungen zu überzeugen? Welchen Einfluß hat Olaf Scholz bei seinem Besuch in Israel wirklich?
Plötzlich sagt Netanjahu den gemeinsamen Auftritt ab
„Es ist ganz klar, dass wir jetzt alles dafür tun müssen, dass die Situation nicht noch schlimmer wird als sie ist“, unterstreicht Scholz am Sonntag in Accaba vor seiner Weiterreise nach Israel. Das Land habe zwar jedes Recht sich gegen den Angriff der Hamas zu verteidigen. Gleichzeitig dürfe es nicht dazu kommen, dass jene, die in Gaza nach Rafah geflohen sind, unmittelbar von israelischen Militäreinsätzen bedroht sind, so Scholz. Der Kanzler will versuchen Premier Netanjahu zu einer Deeskalation zu bewegen.
Die Wahrheit ist: Für Netanjahu spielt das, was der Kanzler bei seinem Besuch sagt, keine entscheidende Rolle. Zumal es nicht an Konsequenzen geknüpft ist.
Welche Bedeutung der Premier den Botschaften des Kanzler zumisst, zeichnet sich schon vor dem Gespräch der beiden ab: Am Vormittag sagt Netanjahus Büro das geplante Pressestatement kurzerhand ab. Aus Zeitgründen. Nur weil die deutsche Seite noch einmal Druck macht und erklärt, wie wichtig ein gemeinsamer Auftritt sei, findet das Statement dann doch statt.
Ein wichtiges Zeichen – nicht nur an Israel
Als die beiden Regierungschefs am frühen Abend vor die Presse treten ist die Stimmung vor allem bei einem von beiden angespannt: Scholz. Der Kanzler kneift die Augen ein Stück zusammen, als Netanjahu versichert, die israelische Armee habe bislang mehr dafür getan, zivile Opfer in Gaza zu vermeiden, als jede andere Armee in der jüngeren Geschichte. „Wir unternehmen auch ungewöhnlich viel, um die humanitäre Hilfe vor Ort zu zu steigern“, sagt Netanjahu weiter. Das gelte für den See-, den Luft- und den Landweg. Die Verantwortung für die Opfer und Krisensituation vor Ort liege allein bei der Hamas, unterstreicht der Premier noch einmal und sagt schließlich: „Wir haben uns auch darauf geeinigt, dass die Hamas eliminiert werden muss.“ Erst, wenn das passiert sei, könne über andere Dinge gesprochen werden, so der Premier. Gemeint ist damit wohl auch eine Zwei-Staaten-Lösung.