Wird Deutschland zum Wohlstandsmuseum? Der Ökonom Moritz Schularick erklärte bei „Caren Miosga“, warum es ohne mentales Software-Update dazu kommen könnte.
Vor dem Hintergrund der schwachen Konjunktur und noch schwächerer Umfragewerte für seine Partei versuchte SPD-Chef Lars Klingbeil bei „Caren Miosga“ die sozialdemokratische Arbeit in der Bundesregierung zu verteidigen. Dass er Regierungschef Olaf Scholz und die Bundespolitik insgesamt sehr oft erklären und rechtfertigen müsse, wollte der Vorsitzende der Kanzlerpartei gar nicht abstreiten.
Verantwortlich dafür machte er in der ARD-Talkshow zum Thema „Wofür braucht es die SPD noch, Herr Klingbeil?“ vor allem die turbulenten Zeiten. Deutlich härter fiel das Urteil der Journalistin Helene Bubrowski aus. Sie befand, Scholz erkläre nicht richtig, und fügte hinzu: „Der Kanzler hält seine Versprechen nicht.“
- Lars Klingbeil, SPD-Vorsitzender
- Helene Bubrowski, stellvertretende Chefredakteurin von Table.Briefings
- Moritz Schularick, Präsident des Kiel Institut für Weltwirtschaft
Als Beispiel für nicht eingehaltene Zusagen nannte die stellvertretende Chefredakteurin von Table.Briefings das verpasste Ziel von 400.000 neu gebauten Wohnungen pro Jahr. Dadurch würden auch allgemeinere Aussagen über den Zustand des Landes und die Finanzierbarkeit von Sozialleistungen infrage gestellt. „Diese Beruhigungspille, die der Kanzler uns verabreicht, die am Anfang gewirkt hat, stelle ich fest, die wirkt einfach nicht mehr“, so Bubrowski. „Die Verunsicherung ist dadurch groß, dass die Menschen das Gefühl haben, er sagt schlicht nicht die reine Wahrheit, weil er den Leuten offenbar nicht zutraut, mit dieser Wahrheit umzugehen“, kritisierte die Medienvertreterin in der Diskussionsrunde weiter.
Ökonom kritisiert mangelnde Aufbruchsstimmung
Dass es gerade in volkswirtschaftlicher Hinsicht wenig zu beschönigen gibt, machte Moritz Schularick deutlich. Der Präsident des Kiel Institut für Weltwirtschaft stellte nüchtern fest: „Die Lage ist einfach schlecht.“ Seit 2019 sei die Wirtschaft nicht mehr gewachsen. Gleichzeitig habe man das Gefühl, die Neuausrichtung und die Ziele von Wirtschaft und Gesellschaft stünden politisch nicht im Vordergrund. „Die Idee von Veränderung, von Aufbruch – auch von Risiko – ist eben das Gegenteil dieser Politik, die man dann sieht.“
„Wir müssen wirtschaftliche Stärke entwickeln“, pflichtete Klingbeil bei. Allerdings warnte der SPD-Politiker in diesem Zusammenhang davor, Ökonomie und Gesellschaft gegeneinander auszuspielen. Für Wachstumsimpulse sei ein Staat nötig, der im Sozialen funktioniere und für die Leute da sei. „Ich glaube, dass ganz viel auch mit Kaufkraft entsteht, wenn wir die Löhne steigen lassen, wenn wir die Renten stabilisieren, wenn wir für mehr Tarifverträge sorgen“, erklärte der Sozialdemokrat. Scholz‘ Botschaft „You’ll never walk alone“ sei als Ansatz, den Wandel gemeinsam zu gestalten, ohne jemanden zurückzulassen, authentisch und genau richtig.
Journalistin fordert SPD zu bitterer Debatte auf
Bubrowski konnte Klingbeil damit nicht überzeugen. Der Kanzler könne genauso wenig wie die Sozialdemokratie im Alleingang den demografischen Wandel aufhalten und das Rentenniveau garantieren, widersprach die Journalistin. „Ich würde gerade sagen, es ist Aufgabe der SPD, die das Sozialsystem in Deutschland gebaut hat, Reformen am Sozialsystem vorzunehmen und es zukunftsfest zu machen“, lautete ihr Gegenvorschlag.
Stattdessen sei die SPD „ständig in dem paradoxen Prozess, ihre eigenen Erfolge schlechtzureden“ und das bisher Erreichte als nicht ausreichend zu bemängeln. Die zentrale Frage sei aber, was man sich zukünftig überhaupt noch leisten könne. „Das sind ganz bittere Debatten, und für Sozialdemokraten sind es noch mal viel bittere Debatten“, konstatierte die Journalistin.
„Man kann die ökonomische Logik nicht aushebeln“, erklärte angesichts der demografischen Entwicklung und der Löcher in der Rentenkasse auch Schularick. Seine Forderung: „Wir müssen andere Wege der Finanzierung finden.“ Es gebe zudem eine Menge anderer großer Themen wie etwa die Verteidigungsausgaben, bei denen die Politik den Kopf in den Sand stecke. Das Sondervermögen von 100 Milliarden werde nach dem nächsten Jahr aufgebraucht, die Bedrohung aber nicht weg sein.