Sie kommen, wenn die Verzweiflung so groß ist, dass der Verstand aussetzt. Was sind die schlimmsten Fälle für die Helfer vom Kriseninterventionsteam – und was können sie dann tun?
Wenn in Deutschland ein besonders schlimmer Unfall geschieht, ein Terrorist einen Anschlag verübt oder ein Amokläufer viele Menschen mit in den Tod reißt, dann liest man hinterher oft, es seien Notfallseelsorger und ein Kriseninterventionsteam vor Ort gewesen. Während das Blaulicht flackert, die Rettungskräfte vielleicht noch um das Leben der Verletzten kämpfen, dann kümmern sich die psychologisch ausgebildeten Helfer um diejenigen, die fassungslos danebenstehen.
Sie betreuen die Überlebenden und die Angehörigen und sind auch noch da, wenn der Bestatter mit dem Zinksarg die Leichen abholt.
Kriseninterventionsteams gibt es heute in der gesamten Bundesrepublik, sie scheinen eine Selbstverständlichkeit zu sein. Was viele nicht wissen: Das erste Team wurde erst 1994 in München gegründet. Es war eine bahnbrechende Innovation. So etwas gab es zuvor auf der ganzen Welt noch nicht.
t-online sprach mit Stephan Jansen, dem aktuellen Leiter des KIT-München, über seine schlimmsten Einsätze, die Besonderheiten von Terrorlagen, die Tatsache, dass jeder vierte Deutsche ganz plötzlich und unerwartet stirbt – und die Frage, wie man es schafft, den Tod nicht als eine Zumutung zu betrachten.
t-online: Herr Jansen, das KIT München ist das weltweit erste Kriseninterventionsteam, das eingerichtet wurde …
Stephan Jansen: Die Gründung stand unter dem Eindruck eines Ereignisses: Ein Kind war von einer Straßenbahn überrollt worden, und wie immer in so einem Fall kam ein großes Aufgebot an Rettungskräften, um zu versuchen, den Jungen zu reanimieren. Alle kümmerten sich um den sterbenden Sechsjährigen. Bis irgendwann ein junger Rettungsassistent bemerkte, dass direkt daneben eine Frau mit Plastiktüten stand und ganz allein war. Das war die Mutter.
Und dieser junge Rettungsassistent ist dann zu der Frau gegangen?
Ja, das war unser Gründer, Dr. Andreas Müller-Cyran. Er hat gemerkt, wie wichtig es ist, dass sich jemand um diejenigen kümmert, die am Rand stehen und nicht kapieren können, was gerade vor sich geht, dass es jemanden braucht, der sich diesen Menschen mit Empathie und Zeit widmet und dass dafür auch eine Ausbildung nötig ist. Heute haben wir 1.000 Einsätze im Jahr, also durchschnittlich drei am Tag.
Von den meisten hört man in der Öffentlichkeit nie etwas.
In der Hälfte der Fälle ist es der normale, plötzliche internistische Tod, zu dem wir gerufen werden: wenn jemand auf der Straße, am Arbeitsplatz, beim Joggen oder auch zu Hause auf einmal umkippt und die Angehörigen völlig unvorbereitet darauf sind.
30 Prozent sind Suizide. Und knapp unter 20 Prozent sind Arbeitsunfälle, also wenn jemand vom Gerüst fällt oder in einer großen Metzgerei vom Fleischwolf in die Maschine gezogen wird. Und dann gibt es noch einige Fälle, da geht es um Mord und Gewalt. Aber das sind tatsächlich im Verhältnis nur sehr wenige.
Was sind Ihre schlimmsten Fälle?
Wenn sich Kinder und Jugendliche suizidieren. Da sitzt zum Beispiel ein 18-Jähriger mit seinen Freunden beim Stammtisch und sagt, er müsse mal eben zur Toilette – aber stattdessen geht er zur S-Bahn und schmeißt sich vor den Zug.
In solchen Fällen gibt es sehr viele Betroffene, die Hilfe brauchen: Erst suchen seine Freunde den 18-Jährigen und kommen zum Einsatzort. Außerdem ist da ja noch der S-Bahn-Fahrer in seiner S-Bahn. Dann muss man die Todesnachricht den Eltern überbringen. Und am nächsten Tag fahren wir in die Schule, informieren die Lehrkräfte und gehen mit ihnen in die Klassen, in denen der 18-Jährige war.