Ein Gericht in Hongkong hat das Aus des chinesischen Immobilienriesen Evergrande besiegelt. Hat die Pleite Folgen für die Weltwirtschaft?
Schlechte Nachrichten für Chinas Wirtschaft: Am Montag hat ein Hongkonger Gericht die Auflösung des chinesischen Immobilienkonzerns Evergrande angeordnet. Es ist ein schwerer Schlag für den ohnehin schon kriselnden Immobiliensektor des Landes.
An der Hongkonger Börse rauschte das Papier der Evergrande Group am Montag in die Tiefe. Der Handel mit der Aktie wurde gestoppt. Die Abwicklung Evergrandes könnte auf den Märkten, denen Peking jüngst versuchte, wieder auf die Beine zu helfen, Wellen schlagen und das Vertrauen in den chinesischen Immobilienmarkt weiter schwächen.
Doch könnte das Aus von Evergrande auch Folgen für die Weltwirtschaft haben? Und gibt es gar Parallelen zum Platzen der Immobilienblase in den USA 2008 und der darauf folgenden Weltwirtschaftskrise? t-online hat dazu mit Ökonomen gesprochen.
„Die größte Last liegt auf Chinas Finanzsystem“
Jürgen Matthes, Leiter des Bereichs internationale Wirtschaftspolitik am Institut der Deutschen Wirtschaft (IW), sagt: „Die Rückwirkungen des Evergrande-Aus für die Weltwirtschaft dürften sich in Grenzen halten.“ Zum einen komme die Pleite nicht überraschend, erklärt Matthes. Internationale Anleger hätten sich darauf vorbereiten können. Evergrande befindet sich bereits seit Jahren in der Krise. Allein die Anhörung in Hongkong hatte gut anderthalb Jahre gedauert.
Zur Person
Jürgen Matthes leitet den Bereich Internationale Wirtschaftspolitik, Finanz- und Immobilienmärkte am Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln. Sein Fokus liegt dabei auf den Finanzmärkten sowie dem globalen Handel und der Weltwirtschaft.
„Zum anderen hat Evergrande nur gut 20 Milliarden Dollar Schulden im Ausland“, erklärt Matthes. „Die größte Last liegt damit auf Chinas Finanzsystem.“ Nun stellt sich die Frage, wie der chinesische Staat auf die Pleite reagiert. Und da sei es „sehr wahrscheinlich, dass der chinesische Staat einspringen wird, falls systemrelevante Banken oder Schattenbanken in Chinas Finanzsektor unter den Evergrande-Lasten zusammenzubrechen drohen“, so Matthes.
Rolf J. Langhammer vom Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel) macht im Gespräch mit t-online zudem auf eine weitere Unwägbarkeit des Urteils vom Montag aufmerksam: „Wie sehr trifft das Urteil aus Hongkong auch die Möglichkeiten eines Insolvenzverwalters, Zugriff auf Aktiva des Unternehmens in Festlandchina zu erhalten?“ Obwohl China zuletzt immer mehr nach Einfluss in Hongkong griff, handele es sich weiter um zwei unterschiedliche Jurisdiktionen, so der Experte.
„Keine Parallelen zur globalen Finanzkrise von 2008“
Auch Langhammer erwartet keine größeren Folgen für den globalen Finanzmarkt durch die Evergrande-Pleite. „Dazu ist der chinesische Finanzsektor zu abgeschottet.“ Vor allem die Chinesen selbst seien betroffen. „Dabei kommt es jedoch darauf an, was die Führung in Peking nun tut“, sagt Langhammer. Genug staatliches Kapital sei zumindest vorhanden, um die Krise abzuwenden. Dennoch: „China fällt als Lokomotive der Weltwirtschaft vorerst aus“, so Langhammer.
„Insgesamt sehe ich keine Parallelen zur globalen Finanzkrise von 2008“, sagt der Experte vom IfW Kiel. Dafür aber erinnere die aktuelle Situation an das „chinesische Börsenbeben“ von August 2015. Damals hatte es bereits Bedenken gegeben, dass Chinas Konjunktur stark schwächeln und sich negativ auf die Weltwirtschaft auswirken könnte. Infolgedessen gab es massive Einbrüche auf dem chinesischen Finanzmarkt, die auch internationale Märkte trafen. China reagierte damals mit der Senkung des Leitzinses, setzte zeitweise ganze Indizes vom Handel aus und verbot Großaktionären, Aktien zu verkaufen.

Zur Person
Rolf J. Langhammer war bis 2012 Vizepräsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft und ist auch seit seinem Ruhestand weiter für das Institut tätig. Langhammer beschäftigt sich vor allem mit den Themen Globalisierung, Internationaler Handel sowie den Schwellen- und Entwicklungsländern.
Mögliche Folgen für die deutsche Wirtschaft sieht Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Die deutsche Wirtschaft hängt stark von ihren Exporten ab. Und China ist Deutschlands wichtigster Handelspartner. „Die wirtschaftliche Erholung der deutschen Wirtschaft in diesem Jahr hängt stark von der Entwicklung der Exporte ab und mit der Schwäche Chinas dürfte die Hoffnung durch einen positiven Impuls sich erst einmal nicht erfüllen“, schreibt Fratzscher auf der Plattform X (vormals Twitter). In Gänze ließen sich die Implikationen jedoch zunächst nicht abschätzen.