Die Priscus-Liste zählt Arzneimittel auf, die älteren Menschen möglichst nicht verordnet werden sollten. Auf ihr stehen auch bekannte Präparate.
Nach Daten der Deutschen Seniorenliga nehmen 30 bis 40 Prozent aller Bundesbürger, die älter als 65 Jahre sind, täglich mindestens vier Arzneimittel ein. Ab 75 Jahren schluckt jeder Dritte sogar mehr als acht Medikamente. Doch das kann nicht nur aufgrund der Wechselwirkungen problematisch werden – oft sind die Pillen für Senioren gar nicht geeignet.
Klar ist: Ältere Menschen haben einen anderen Stoffwechsel als jüngere. Doch Medikamente werden meist an jungen und gesunden Personen getestet. Die Folge: Einige Arzneimittel können für Senioren zu unerwünschten Nebenwirkungen führen und das Risiko für Folgeerkrankungen erhöhen. Die sogenannte Priscus-Liste („priscus“ lateinisch für „alt, ehrwürdig“) verzeichnet solche „potenziell inadäquaten Medikationen (PIM)“.
Liste drastisch erweitert
Sie geht zurück auf die Expertise von 59 Expertinnen und Experten aus der klinischen Praxis und der Forschung. Sie bewerteten ausgewählte Wirkstoffe im Hinblick auf ihre Tauglichkeit zur Verordnung an ältere Menschen (ab 65 Jahren). Erstmals wurde die Liste 2010 entwickelt. 2022 wurde sie überarbeitet und erschien nun in der zweiten Version. Auf der Priscus-Liste 2.0 stehen jetzt 187 Wirkstoffe – 133 mehr als in der ersten Version. Sie gilt als Leitlinie für Hausärzte.
Die Leiterin der Studie, Petra Thürmann von der Universität Witten/Herdecke, erklärte auf „Spiegel.de“, warum der Stoffwechsel älterer Menschen anders funktioniert: „Das fängt schon mit Ende 30 an. Da lässt unsere Nierenfunktion nach, bei einer 80-jährigen Person beträgt sie nur noch die Hälfte von dem, was sie mal in jungen Jahren leistete.“ Folglich würden Arzneimittel viel schlechter als früher über die Nieren ausgeschieden. „Wir haben Systeme, die unsere Darmbewegungen koordinieren oder unsere Augen einstellen. Im Alter können die Nebenwirkungen von Medikamenten in diese Systeme eingreifen, sodass der Darm träge wird oder man nicht mehr scharf sehen kann. Durch Letzteres kann das Sturzrisiko steigen, weil man die Teppichkante nicht mehr erkennt.“
Nach Thürmanns Auskunft nahm im Jahr 2021 in Deutschland ungefähr jeder zweite ältere Mensch über 65 Jahren mindestens ein Medikament, das potenziell gefährlich ist.
Risiko für Stürze oder Gedächtnisstörungen erhöht
Der Liste ist zu entnehmen, dass ungeeignete Medikamente zum Beispiel auch Gedächtnisstörungen hervorrufen oder das Risiko für Osteoporose erhöhen können. Durchaus bekannte Wirkstoffe und häufig verordnete oder frei verkäufliche Präparate sind auf der Priscus-Liste zu finden.
Etwa Aspirin: Von der Einnahme als Schmerzmittel (nicht als Blutverdünner) raten die Experten älteren Menschen ab, da das Risiko von Magengeschwüren und -blutungen erhöht ist, dies gilt auch für Diclofenac. Für andere Schmerzmittel werden Obergrenzen der Dosis definiert. Etwa bei Ibuprofen – hier sollte eine Einnahme von dreimal täglich 400 Milligramm maximal eine Woche lang nicht überschritten werden, da sonst die Gefahr von Blutungen im Bereich des Magen-Darm-Traktes und auch das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigt. Auch für das Schmerzmittel Naproxen wurde eine Obergrenze genannt: maximal zweimal täglich 250 Milligramm und nicht länger als eine Woche.
Nicht zu lange und nicht zu hoch dosiert
Auch die Einnahme sogenannter Protonenpumpenhemmer sollte zeitlich begrenzt werden. Sie werden als Magensäureblocker etwa bei Sodbrennen eingesetzt und sind unter Handelsnamen wie Omeprazol, Pantoprazol oder Lansoprazol bekannt. Die Priscus-Experten empfehlen eine Anwendungsdauer von maximal acht Wochen, da sie das Risiko für Osteoporose und bestimmte Darmentzündungen erhöhen.
Das Durchfallmittel Loperamid sollte nicht länger als drei Tage eingenommen werden und Codein als Hustenstiller wird als potenziell inadäquate Medikation eingestuft. Diese Mittel können zu Schwindel und Schläfrigkeit führen. Das Schlafmittel Zolpidem erhöht das Risiko für Stürze und eine Verschlechterung der Kognition – so die Experten. Das gilt auch für Oxazepam, Lormetazepam und Temazepam (sogenannte Benzodiazepine).
Medikamente nicht eigenmächtig absetzen
Auch bestimmte Wirkstoffe in blutzuckersenkenden Tabletten sollten Ältere eher nicht einnehmen. Für das Antipsychotikum Risperidon, das etwa zur Behandlung von Psychosen eingesetzt wird, wird eine Anwendungsdauer von maximal sechs Wochen empfohlen.
Die Experten zeigen für viele der als problematisch eingestuften Wirkstoffe Alternativen auf. Die vollständige Priscus-Liste finden Sie hier. Wichtig: Finden Sie in der Auflistung einen Wirkstoff, den auch Sie einnehmen, sprechen Sie Ihren behandelnden Arzt darauf an. Setzen Sie das Medikament keinesfalls eigenmächtig abrupt ab. Es droht der „Rebound“-Effekt: Die ursprünglich mit dem Arzneimittel behandelten Symptome treten oftmals im höheren Grad als vor der Medikation auf. Auch Entzugserscheinungen sind möglich.