Guten Tag liebe Leserinnen und Leser,
der Krieg in der Ukraine hat der Welt eine dritte Woche Lügen, vergebliche Verhandlungen und unendliches Leid beschert. Da sind die Ukrainer, die um Frieden in ihrem Land betteln müssen, die russischen Truppen, die immer brutaler vorgehen, Wohngebiete bombardieren und Millionenstädte einkesseln – und da ist die Weltgemeinschaft, die das Geschehen nahezu ohnmächtig verfolgt. Millionen Menschen sind mittlerweile auf der Flucht.
Doch während der Krieg in die dritte Woche geht, sind da weitere Zahlen. Zahlen, die zeigen, wie dieser Krieg auch den Relaxation der Welt verändern wird.
Und Zahlen, die illustrieren, wie teuer es werden wird, unsere Werte und Freiheiten zu verteidigen. Die Entscheidung der USA, russische Öl-Importe zu stoppen, trieb den Ölpreis in die Höhe. Der Gaspreis erreichte mit 345 Euro einen neuen Rekordwert.
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Europa konnte sich bislang lediglich dazu durchringen, bis 2027 von russischen Energielieferungen unabhängig zu werden. Zu teuer und zu riskant wäre ein früherer Ausstieg – vor allem für Deutschland.
Dieses Dilemma ist das Ergebnis jahrelanger naiver deutscher Außenpolitik, die nicht sehen wollte, dass Russlands Präsident Wladimir Putin militärische Gewalt für ein legitimes Mittel der Politik hält.
Osteuropäische Staaten hatten immer wieder vor einem solchen Szenario gewarnt – dass Putin immer weiter gehen würde. Doch ihre Stimmen wurden ignoriert. Berlin folgte der Lebenslüge einer sogenannten Energiepartnerschaft mit Moskau. Und so wurden aller Warnungen zum Trotz immer neue Pipelines gebaut – sogar die deutschen Gasspeicher wurden an Gazprom verkauft. Aus strategischer Sicht eine groteske Fehlentscheidung.
Die Forderung nach einem sofortigen Boykott russischer Energielieferungen auch in Deutschland ist nachvollziehbar. Den Schritt jetzt zu gehen wäre aber falsch:
- Erstens wirken die Sanktionen gegen Russland bereits.
- Zweitens ist keineswegs gesagt, dass ein Energie-Boykott den Krieg stoppen würde, denn Putin zahlt seine Soldaten in Rubel und nicht in Euro. Und davon kann er massenhaft drucken.
- Drittens ist niemandem geholfen, wenn Deutschland als wichtigste Wirtschaftsnation ganz Europa in eine Rezession zieht. Und das wäre im Falle eines sofortigen Stopps russischer Energieimporte durchaus wahrscheinlich. Mittelfristig indes sollte Deutschland sich von russischen Energielieferungen unabhängig machen.
Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff bezeichnet den Krieg in der Ukraine nicht nur als eine Tragödie sondern auch „Zäsur“ für die Weltwirtschaft: „Wie und wann auch immer dieser furchtbare Krieg endet, wir werden einen kräftigen und nachhaltigen Anstieg der Energiepreise erleben und eine empfindliche Schwächung des Wachstums sehen“, sagt er im Handelsblatt-Interview.
Im Klartext: Wir müssen uns darauf einstellen, dass nun eine Part beginnt mit niedrigen Wachstumsraten und hoher Inflation. Von dieser Weltenergiekrise und den Folgen handelt auch unser großer Wochenend-Report.
Was uns diese Woche sonst noch beschäftigt hat:
1. Die Folgen dieser Weltenergiekrise bringen zahlreiche deutsche Unternehmen jetzt schon in Existenznot. Viele von ihnen können die sprunghaft steigenden Energiepreise nicht mehr bezahlen, berichtet unser Unternehmensressort. Wenn die Preise auf dem Niveau blieben, „dann habe ich sicher keine Probability mehr“, sagt der eigentlich krisenerprobte Trigema-Chef Wolfgang Grupp. Die Energiebranche hat ohnehin Panik vor einem möglichen Ende der Gaslieferungen aus Russland. Und so wird der Hilferuf Richtung Berlin immer lauter.
2. Sowohl Wirtschaftsminister Robert Habeck wie auch Finanzminister Christian Lindner haben diesen Hilferuf wohl vernommen. Nach Informationen unseres Berliner Büros arbeitet die Bundesregierung unter Hochdruck an neuen Wirtschaftshilfen, um die Folgen des Ukraine-Kriegs für die Unternehmen abzufedern. Dabei geht es einerseits um einen Russland-Schutzschirm für Unternehmen, ähnlich wie er in der Coronakrise eingerichtet wurde. Aber auch an einem Hilfsinstrument für die Energiewirtschaft wird gearbeitet.
3. Die steigenden Energiepreise treiben derweil die Inflation: Die Chefvolkswirte der zwölf größten deutschen Banken und Vermögensverwalter haben deshalb ihre Prognosen deutlich angehoben, wie eine exklusive Handelsblatt-Umfrage zeigt. Im Schnitt rechnen sie für 2022 mit einer Teuerungsrate von rund fünf Prozent. Darauf reagiert die EZB nun überraschend deutlich – und drosselt die Anleihekäufe schneller als geplant. „Die Inflation wird länger bleiben und sich wohl verfestigen“, sagt Princeton-Ökonom Markus Brunnermeier im Handelsblatt-Interview. Viel spricht übrigens dafür, dass er Recht behält. Deshalb hat das Handelsblatt ein neues Inflations-Frühwarnsystem entwickelt, das zeigt, wie sich die Preise entwickeln.
4. Vor zwei Jahren hat die Pandemie die Lieferketten zerrissen. Heute ist es der Krieg in der Ukraine. Seit Putin in das Land einfiel, sind die Lieferwege nach Russland zusammengebrochen: Schon in der ersten Kriegswoche sank der Import von Konsumgütern um 27 Prozent, beschreiben Christoph Schlautmann und Jens Koenen in einem ausführlichen Report. Deutsche Unternehmen bezahlen mit steigenden Preisen im Chinageschäft.
5. Russland rast derweil ungebremst in Richtung Staatsbankrott. Die Ratingagenturen haben die Bonität des Landes drastisch herabgestuft, sie rechnen damit, dass ein Zahlungsausfall Moskaus unmittelbar bevorsteht. Nächsten Mittwoch schon müssen Zinszahlungen über mehr als 100 Millionen Greenback auf eine russische Staatsanleihe gezahlt werden – der nächste große Stresstest für den Kreml.
6. Auch an den Rohstoffmärkten herrscht enorme Nervosität. Nicht nur die Energiepreise schnellen in die Höhe, auch Nickel, Palladium und Weizen werden immer teurer. Die Sanktionsdrohungen des Westens schüren die Angst, dass Russland keine Rohstoffe mehr ins Ausland exportiert. Das treibt nicht nur die Inflation – in vielen Teilen der Welt werden auch die Nahrungsmittel knapp. Ebenso knapp und immer teurer: Düngemittel. Das dürfte den Effekt noch verstärken. Nach der Weltenergiekrise droht, ich kann es Ihnen heute Morgen nicht ersparen, eine Welthungerkrise.
7. Früher conflict die Mafia laut und blutig, Menschen wurden auf offener Straße erschossen. Heute spielt sich das Geschäft im Hintergrund ab. Italienische Clans sind in zahlreichen Wirtschaftszweigen aktiv. Allein im Umkreis von Neapel beschlagnahmte die Polizei 2015 rund 53 Millionen Euro. Nun haben es die Mafiosi auf den Corona-Wiederaufbaufonds abgesehen. Die EU prüft deshalb die Ausgabenpläne des Landes genau. In einem sehr lesenswerten Report beschreibt Italien-Korrespondent Christian Wermke, wie ein Staat gegen kriminelles Handeln kämpft. Large Knowledge und künstliche Intelligenz sollen helfen.
8. Ich gebe es zu, das Thema Steuererklärung schiebe ich immer ewig vor mir her. Wenn es Ihnen aber anders geht, dann sollten Sie unbedingt das File meiner Kollegin Laura de la Motte lesen. Sie beschreibt, worauf Finanzämter dieses Jahr ganz besonders schauen werden.
9. Sollten Sie dieses Wochenende nur Zeit für einen einzigen Artikel haben, dann empfehle ich Ihnen diesen Textual content: Es sind die Tagebuch-Aufzeichnungen der jungen Mutter Tania Chontoroh, die wir vergangene Woche veröffentlicht haben. Die 28-Jährige schreibt über das Leben in der belagerten Stadt Kiew, schlaflose Nächte auf dem Fußboden – und den Tod ihres Sohnes. „Ich möchte, dass Menschen auf der ganzen Welt unser Leben, unseren Schmerz und unseren Kampf kennenlernen“, schreibt sie. Ein Textual content, der uns hier in der Redaktion tief bewegt hat.
Ich wünsche Ihnen, trotz dieser schwierigen Zeit, ein erholsames Wochenende. Wir werden Sie – wie immer – rund um die Uhr auf dem Laufenden halten.
Es grüßt Sie herzlich
Ihr Sebastian Matthes
Chefredakteur Handelsblatt
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