New York, Frankfurt Der Krieg in der Ukraine wird die Arbeit der amerikanischen und der europäischen Zentralbanken deutlich komplizierter machen, warnt Invoice Dudley, der frühere Chef der regionalen US-Notenbank in New York. Der erfahrene Geldpolitiker geht davon aus, dass, die US-Notenbank (Fed) und die Europäische Zentralbank (EZB) ihr Vorgehen an die zusätzlichen Risiken durch die Russlandkrise anpassen müssen.
„Bei der Fed ist ein Zinsschritt um einen halben Prozentpunkt vom Tisch“, sagt der ehemalige Chef der Fed New York. „Die US-Notenbank wird den Märkten nicht zusätzlichen Stress zumuten wollen.“ Vor dem Krieg hatten einige führende Geldpolitiker in den USA eine Anhebung um einen halben Prozentpunkt in Frühjahr gefordert, um im Kampf gegen die steigenden Preise schneller voranzukommen. Nun jedoch sind die meisten Marktteilnehmer überzeugt, dass die Fed bei ihrer kommenden Sitzung Mitte März die Zinswende mit einem Viertelprozentpunkt einleiten wird. Fed-Chef Jerome Powell hatte am Mittwoch in einer Anhörung vor dem US-Kongress bekräftigt, dass dies seine bevorzugte Strategie wäre.
Ansonsten müsse die US-Notenbank aber Kurs halten, betont Dudley: „Die Fed ist wahrscheinlich vier bis fünf Zinsschritte hinter dem zurück, wo sie heute schon sein sollte“, wobei der Ex-Notenbanker auch hier jeweils von Viertelprozentpunkten redet. Er erwartet für das laufende Jahr sechs Zinsanhebungen und für 2023 „vielleicht noch einmal drei“; zurzeit liegt der US-Leitzins bei null.
Dudley geht davon aus, dass viele Inflationsursachen, etwa Lieferengpässe, tatsächlich irgendwann an Wirkung verlieren. Aber er betont: „Die Fed muss jetzt sehr aufpassen, dass die Inflation nicht zum Selbstläufer wird.“
Prime-Jobs des Tages
Jetzt die besten Jobs finden und
per E-Mail benachrichtigt werden.
Fed-Chef Jerome Powell hielt sich am Mittwoch bei einer Anhörung vor dem US-Kongress viele Optionen offen. Es sei „wahrscheinlich angemessen“, die Zinsen im März anzuheben. Doch die Effekte des Ukrainekriegs „sind extrem unklar“, gab er zu bedenken. Daher müsse die Fed „bereit sein, schnell zu reagieren“.
Über den künftigen Kurs der wichtigsten Notenbank der Welt ist eine heftige Diskussion entbrannt. Die Fed sei in einer äußerst schwierigen Lage, betonte Kapitalmarktexperte Mohamed El-Erian, der unter anderem die Allianz berät. Statt mit den Zinserhöhungen eine sogenannte „sanfte Landung“ für die Wirtschaft zu orchestrieren, habe Fed-Chef Jerome Powell nun die Wahl zwischen zwei schlechten Lösungen: höhere Preise zu tolerieren oder die Inflation zu bekämpfen und zu riskieren, die Wirtschaft möglicherweise in eine Rezession zu schicken. Dass die Fed nicht schon im vergangenen Jahr den Leitzins angehoben habe, sei „ein historischer Fehler“.
>> Lesen Sie hier, wie der Ukrainekrieg die Inflationsgefahr anheizt – „eine Fünf vor dem Komma wird wahrscheinlicher“
Führende Geldpolitiker selbst zeigten sich zuletzt äußerst beunruhigt aufgrund des Kriegs in der Ukraine. „Steigende Energiepreise werden viel verändern, genauso wie die Tatsache, dass sich Güter und Menschen nicht mehr problemlos durch Europa bewegen können, das wird viel verändern“, gab Raphael Bostic, Chef der regionalen Fed in Atlanta, zu bedenken. Die Implikationen für Lieferketten und die Folgen für die Wirtschaft seien derzeit noch nicht genau abzusehen. „Es gibt viele Dinge, auf die wir eine Antwort finden müssen.“
Dudley zufolge ist die EZB weniger stark ins Hintertreffen geraten als die Fed. Er zählt die Unterschiede auf: „In Europa ist die Inflation niedriger als in den USA, die Inflationserwartungen sind besser verankert, und der Arbeitsmarkt ist nicht so heiß gelaufen.“ Hinzu kommt, dass für Europa die wirtschaftlichen Risiken aus der Russlandkrise viel höher sind als für die USA. Damit ist hier auch das Risiko einer Stagflation, eines Zusammentreffens von schwacher Wirtschaft und zu stark steigenden Preisen, größer als in den USA.
Der Euro wird unter Druck bleiben
Dudley vermutet, dass der Euro gegenüber dem Greenback unter Druck bleibt. Solange die Schwäche der Gemeinschaftswährung nicht dramatischer werde, werde die EZB aber darauf nicht reagieren, vermutet er. Ein schwacher Euro kann über höhere Importpreise die Inflation noch weiter hochtreiben. Zusammengefasst bedeutet das: Die USA müssen sich eindeutig auf die Bekämpfung der Inflation konzentrieren, die EZB kann der Sorge für die Konjunktur etwas mehr Raum geben.
Als Folge der Kriegswirren gab es vereinzelt Liquiditätsengpässe am Devisenmarkt. Dudley verweist aber auf die sogenannten Swap-Linien der Fed gegenüber anderen großen Notenbanken einschließlich der EZB. „Die sorgen dafür, dass es nicht zu größeren Problemen kommen wird“, glaubt er.
Diese Linien räumen anderen Notenbanken jederzeit ein, ihre Währung gegen Greenback zu tauschen, sodass sie heimische Banken damit versorgen können. In der Coronakrise hat die Fed zeitweise US-Staatsanleihen nicht aus geldpolitischen Gründen gekauft, sondern um den Markt funktionsfähig zu halten. Eine solche State of affairs sei jetzt aber nicht absehbar, sagt Dudley.
Schweizer Sanktionen als Novum
Der Amerikaner zeigt sich sichtlich beeindruckt von der starken Reaktion der Europäer gegenüber Russland. Besonders erwähnt er dabei, dass die Schweiz sich den Sanktionen angeschlossen hat: „Das ist ein völliges Novum, das Land ist ja in zwei Weltkriegen impartial geblieben.“ Er verweist darauf, dass es jetzt viele Szenarien für den weiteren Verlauf der Krise geben kann, von einem schnellen Abflauen über einen länger dauernden Krieg bis zu einer schweren Eskalation. Deswegen hält Dudley es für unmöglich, genauere Schätzungen der Folgen für die Finanzmärkte abzugeben.
Insgesamt neigt er aber, unabhängig von der Russlandkrise, zu der Einschätzung, dass die Welt nicht wieder in den Zustand vor der Coronakrise mit niedrigem Wachstum, niedriger Inflation und niedrigen Renditen zurückkehrt. Er glaubt, dass der sogenannte reale Gleichgewichtszinssatz heute höher liegt als vor Corona. Damit ist der actual – additionally nach Abzug der Inflation – berechnete Zins gemeint, bei dem die Wirtschaft voll ausgelastet sein kann, ohne Inflation zu erzeugen.
Diese Kennzahl ist kaum direkt messbar, sie spielt aber in der Geldpolitik eine wichtige Rolle: Je höher Notenbanker sie schätzen, desto höher müssen sie ihre Zinsen schrauben, um inflationäre Tendenzen aufzufangen.
Dudley verweist in dem Zusammenhang auf den hohen Investitionsbedarf, etwa zur Umsetzung der Klimaziele, der die realen Renditen hochtreibt. Eine ähnliche Wirkung hat auch eine steigende Produktivität. Lange Zeit gab es weltweit ein sehr schwaches Wachstum der Produktivität, aber auch das könnte sich ändern, etwa durch den stärkeren Einsatz von Künstlicher Intelligenz.
Dudleys Prognose steigender Investitionen wird auch durch eine neue Entwicklung in Europa, besonders in Deutschland, gestützt: die Entschlossenheit, das Militär deutlich zu stärken.
Mehr: Adam Posen: „Die Fed hat ihre Wette verloren“