Bund und Länder haben über die Migrationspolitik beraten, doch sind zerstritten wie zuvor. „Die Regierung muss dringend zeigen, dass sie die Lage kontrolliert“, sagt Asylrechtsexperte Daniel Thym.
Der Asylrechtsexperte Daniel Thym zieht nach dem Treffen der Länderchefs mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zur deutschen Migrationspolitik eine ernüchternde Bilanz. „Der Beschluss ist nur eine Problemanzeige, es gibt keinen neuen Gedanken“, sagt der Jurist im Gespräch mit t-online. Er prognostiziert: „Die aufgeheizte Debatte wird weitergehen.“
Unter dem Druck anhaltend hoher Asylbewerberzahlen waren die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten zu einem Treffen zusammengekommen, um über die Migrationspolitik zu beraten. Im Kern ging es darum, dass vor allem Unionspolitiker eine schnellere Umsetzung der Beschlüsse vom November forderten. Damals hatten sich Bund und Länder auf Maßnahmen geeinigt, um die irreguläre Migration zu begrenzen. Ein Teil der Punkte wurde von der Bundesregierung bereits umgesetzt, an anderen arbeitet sie noch. Mehr dazu lesen Sie hier.
„Das ist ein perfektes Signal an die Bevölkerung“
Die Politik sieht Thym dabei in einer Bredouille. „Die Regierung muss dringend zeigen, dass sie die Lage kontrolliert.“ Doch solche Lösungen seien in der Migrationspolitik schwierig zu finden. „Es gibt die Vorstellung, Migrationssteuerung funktioniere wie ein Wasserhahn: Wenn man ihn zudreht, fließt kein Wasser mehr.“ Doch so einfach sei das nicht, viele Lösungsansätze wirken erst langfristig. Als Beispiel nennt Thym die Europäische Asylreform (GEAS). Sie tritt, wenn sie denn bald verabschiedet wird, erst 2026 in Kraft.
In der aktuellen Debatte in Deutschland sieht Thym vor allem drei Punkte, die ein solches „Kontrollsignal“ aussenden könnten. Zum einen die Kontrollen an den Grenzen zu Österreich, der Schweiz, Tschechien und Polen, die Innenministerin Nancy Faeser im Dezember zuletzt verlängert hatte. „Das ist ein perfektes Signal an die Bevölkerung: Wir machen was.“ Zudem zeigten sie Wirkung, die Zahl der irregulären Einreisen ist zuletzt gesunken.
Daniel Thym ist Jurist am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Europarecht und Völkerrecht der Universität Konstanz. Er forscht zum deutschen, europäischen und internationalen Migrationsrecht sowie zum europäischen Verfassungsrecht.
Der zweite Punkt ist die Bezahlkarte. „Auch sie hätte der Bevölkerung zeigen können, dass etwas geschieht.“ Doch noch sind kaum Details bekannt, Bund und Länder haben sich wochenlang deswegen gestritten. Und dieser Streit werde weitergehen, so Thym. „Genau so macht man es nicht.“
Ein dritter Punkt seien die Asylverfahren in Drittstaaten, sagt Thym. Seit vergangenem Sommer wird in Deutschland kontrovers diskutiert, ob der Schutzstatus von Asylbewerbern auch außerhalb Europas stattfinden kann. Die Bundesregierung prüft das derzeit und befragt dazu Experten, wie auch Thym. Die Länder haben nun die Regierung aufgefordert, bis zum 20. Juni Ergebnisse vorzulegen.
„Die Bevölkerung wird das nicht zufriedenstellen“
Thym befürwortet einen solchen Versuch, sagt aber auch: „Das ist nichts, was von heute auf morgen alle Probleme löst.“ Zunächst müsse die deutsche Politik sich über einen gangbaren Weg einig werden, dann müssten Drittstaaten gefunden werden, in denen das durchgeführt werden kann. Außerdem stehe nicht fest, dass die Zahlen auch schnell zurückgehen. „Es besteht die Gefahr, dass man sich wieder in einer langen Debatte verliert oder es am Ende nicht wirkt“, so Thym. Wenn die Parteien der Mitte versprechen, nachher jedoch nicht liefern, sende das kein positives Signal. „Die Bevölkerung wird das nicht zufriedenstellen.“
Die Verantwortung aber liege nicht allein bei der Bundesregierung. So könnten etwa beschleunigte Asylverfahren und schnellere Abschiebungen eine tatsächliche Verbesserung schaffen. „Das wird aber seit Jahren nicht angegangen“, so Thym. Die Ausländerbehörden sind oftmals zu dünn aufgestellt, an den Gerichten dauern die Verfahren oft weit mehr als drei Jahre. „Hier müssen die Länder dringend ihre Hausaufgaben machen“, so Thym.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte am Mittwochnachmittag gemeinsam mit Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) die Ergebnisse der Ministerpräsidentenkonferenz zur Migrationspolitik vorgestellt. Während sich Rhein auf der Pressekonferenz zufrieden mit dem Ergebnis zeigte, hagelte es anschließend aus den unionsgeführten Ländern Kritik. „In der Migrationspolitik braucht es Tempo statt Zeitspiel“, kritisierte etwa Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst. Mehr Reaktionen auf den Bund-Länder-Gipfel lesen Sie hier.