Wochenlang hat die Ampel verhandelt, um das Milliardenloch zu stopfen. Doch wenige Tage nach der Einigung wackeln Teile des Kompromisses schon wieder. Auch, weil sich ein Minister wehrt.
Cem Özdemir steht am Montag auf einer Bühne am Brandenburger Tor und tut, was er eigentlich gut kann: Er redet in ein Mikrofon. Der grüne Landwirtschaftsminister will den demonstrierenden Bauern erklären, warum auch er es falsch findet, dass ihnen Subventionen für Agrardiesel und die Kfz-Steuerbefreiung weggenommen werden sollen. „Ich kämpfe im Kabinett dafür, dass das in der Härte nicht kommt“, ruft er ihnen zu.
Doch viel von dem, was Özdemir sagt, ist gar nicht zu verstehen. Seine Rede geht in Gebrüll und Pfiffen unter. Und was zu verstehen ist, scheint nicht wirklich anzukommen bei seinem Publikum. Die Landwirte sind und bleiben wütend. Auf die Ampelregierung, aber auch auf ihren Minister.
Video | Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir ausgebuht
Quelle: Reuters
Ein Cem Özdemir, der mit seinen Worten nicht durchdringt. Ein Cem Özdemir, dessen Warnungen nicht gehört werden. Ein Cem Özdemir allein auf weiter Flur. Es ist eine Szene, die offenbar auch die Haushaltsverhandlungen der Ampel bei den Agrarsubventionen ganz gut auf den Punkt bringt.
Denn ursprünglich haben den Belastungen für die Bauern alle zugestimmt in den Spitzengremien der Ampel: die Vertreter der SPD, die der FDP und sogar Özdemirs Grünen-Kollegen. Auch wenn es inzwischen kaum jemand mehr gewesen sein will. Weil der Aufschrei so groß ist und die Bauern so wütend, spricht die Ampel längst wieder darüber, ob sie die Bauern doch noch entlasten kann. Mancher fürchtet, dass damit der mühsam verhandelte Haushaltskompromiss insgesamt wieder auseinanderfliegt.
Es ist, um in einem Bild aus der Welt der Landwirtschaft zu sprechen: ein großer Haufen Mist. Wie konnte es so weit kommen?
1. Ein Brief und seine Wirkung
Die Geschichte des Agrarschlamassels beginnt nicht erst am vergangenen Mittwoch, als die Ampel ihre Haushaltseinigung präsentiert. Und sie beginnt auch nicht vor fünf Wochen, als das Bundesverfassungsgericht die Finanzpläne der Bundesregierung schreddert.
Schon im Frühjahr und Sommer gibt es in der Bundesregierung erste Überlegungen, bei den Agrardieselbeihilfen zu sparen. Die Koalition verhandelt in diesen Wochen über den Haushalt 2024, mit dem die Schuldenbremse erstmals wieder eingehalten werden soll. Schon damals gibt es immensen Spardruck.
Das Bundesfinanzministerium von FDP-Chef Christian Lindner tauscht sich in kurzen Abständen mit allen Fachministerien aus, um herauszufinden, wo noch etwas gehen könnte und wo nicht. Damals, so stellen es Grüne dar, kommt aus dem Finanzministerium der Hinweis, sich doch mal den Agrardiesel anzuschauen. Durch die Regelung können sich Landwirte pro Liter Diesel 21 Cent über die Steuer zurückerstatten lassen.
Ende Juni schreibt Özdemirs Staatssekretärin Silvia Bender einen Brief an das Finanzministerium von Lindner, das BMF. Einen Brief, der nicht zufällig in diesen Tagen wieder hervorgekramt wird. Denn Bender schreibt darin unter anderem, man werde „mit Vorschlägen zur Überarbeitung der Agrardieselbeihilfe auf das BMF zukommen“.
Für die FDP ist der Brief der Beweis dafür, dass die Idee für Kürzungen aus Özdemirs Haus gekommen sei. Selbst schuld, was regt ihr euch jetzt so auf, das ist der Subtext. Das Landwirtschaftsministerium wehrt sich gegen diese Darstellung. Dort wird betont, dass der Brief eine Reaktion auf den ursprünglichen Vorschlag aus Lindners Haus gewesen sei. Und dass von einer kompletten Abschaffung ohnehin keine Rede gewesen sei, schon gar nicht zusätzlich zu einer Abschaffung der Kfz-Steuerbefreiung.