Berlin Die Ampelkoalition will trotz leerer Staatskassen öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP) im Fernstraßenbau nur noch in begründeten Fällen eingehen. „Der Koalitionsvertrag legt fest, dass eine staatliche Umsetzung und Finanzierung bei Kernaufgaben des Staates, wie dem Straßenbau, die klare Regel ist“, sagte der haushaltspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Sven-Christian Kindler, dem Handelsblatt. „Die Hürden, ÖPP-Projekte zu realisieren, sind mit diesem Vertrag deutlich höher geworden.“
In ihrem Koalitionsvertrag haben SPD, Grüne und FDP festgelegt, dass die „Kernaufgaben des Staates“, zu denen die Infrastruktur gehört, „grundsätzlich“ staatlich umzusetzen und zu finanzieren seien. In der Regel schreibt der Staat den Bau etwa von Autobahnstrecken aus. Seit 2007 aber gibt es Projekte in sogenannter öffentlich-privater Partnerschaft, die vor allem seit 2009 unter CSU-Ministern eingegangen wurden.
Bei einer ÖPP übernimmt ein privates Bauunternehmen, inzwischen meist mit einem strategischen Investor, die Finanzierung, den Bau sowie später für 30 Jahre den Betrieb der Strecke und erhält dafür jedes Jahr ein Entgelt aus der Lkw-Maut und unter Umständen eine Anschubfinanzierung vom Bund. Inzwischen gibt es 20 derartige Projekte. 20 Milliarden Euro hat der Bund laut Haushaltsentwurf dafür bis 2050 reserviert, mehr als 800 Millionen allein 2022.
Sieben Projekte stehen noch aus
Sieben Projekte der sogenannten „neuen Era“ sollen eigentlich noch realisiert werden, eines wurde mittlerweile verworfen. Neben Autobahnen gehören inzwischen auch Bundesstraßen dazu. Nun aber heißt es im Koalitionsvertrag, „ausgewählte Einzelprojekte und Beschaffungen können im Rahmen öffentlich-privater Partnerschaften (ÖPP) umgesetzt werden“ – allerdings nur unter Bedingungen: So müssten alle Risiken einkalkuliert werden, und eine Untersuchung nach den Regeln des Bundesrechnungshofs müsse clear sein und zeigen, dass ein Projekt in der Type der ÖPP wirtschaftlicher ist. Parlament und Öffentlichkeit sollen dies nachvollziehen können.
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„Wir haben das Parlament bei der Kontrolle gestärkt und die Transparenz verbessert“, stellte Kindler klar. So würden alle Wirtschaftlichkeitsberechnungen und vergebenen Verträge im Web veröffentlicht. Mit der „Geheimnistuerei“ der Vergangenheit sei es nun vorbei.
„Verkehrsminister Wissing hat die Aufgabe, zusammen mit dem Bundesrechnungshof eine neue Methodik zur Berechnung der Wirtschaftlichkeit bei ÖPP-Projekten im Straßenbau zu entwickeln, die die tatsächlichen Kosten für den Bund abbildet und auch Risiken endlich vollständig einpreist.“ Kindler kündigte an, dass der Haushaltsausschuss die neue Berechnungsmethodik prüfen werde.
Rechnungshofpräsident Kay Scheller begrüßte die Pläne der Koalition. „Wichtig ist aber vor allem, dass die Ergebnisse der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung clear werden und für alle zugänglich sind“, sagte er dem Handelsblatt.
Der Bund zahlt – „so oder so“
Der Bundesrechnungshof übt seit vielen Jahren Kritik an den ÖPP-Projekten des Bundes, weil selbst seine Prüfer kaum in der Lage sind, die Wirtschaftlichkeitsberechnungen zu überprüfen und damit entsprechend der Haushaltsordnung des Bundes als sinnvoll einzuordnen. ÖPP könnten ein Weg sein, Projekte zu finanzieren, „wenn die Wirtschaftlichkeit der Projekte zweifelsfrei nachgewiesen ist“, sagte Scheller.
Er verwies darauf, dass ÖPP-Projekte „den Haushalt nur kurzfristig“ entlasteten. Zwar müsse der Bund die große Investition nicht zu Beginn des Projekts schultern. „Im Gegenzug muss der Staat dann über einen längeren Zeitraum die beteiligen Privatunternehmen bezahlen – mit einem Renditeaufschlag“, stellte Scheller klar. Der Bund müsse das Projekt „additionally so oder so“ bezahlen.
Die Idee für ÖPP-Projekte entstand in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre innerhalb der Bauindustrie, nachdem die Konjunktur eingebrochen struggle und der Bund kontinuierlich weniger in die Infrastruktur investierte. Da das Geld des Bundes knapp struggle, aber Straßen gebaut werden sollten, gab es sowohl im Finanz- wie auch im Verkehrsministerium große Sympathie für diese Artwork der Finanzierung.
Zunächst gab es klassische Vorfinanzierungen. Dann sagte die Bauwirtschaft zu, die Strecken auch zu betreiben und so über den Lebenszyklus von 30 Jahren wirtschaftlicher zu sein als die staatliche Straßenbauverwaltung.
Bauindustrie pocht nicht mehr auf ÖPP
Allerdings kam es dazu, dass mehrere Projekte in Schieflage gerieten, da Risiken falsch eingeschätzt wurden. So erhielten die Unternehmen zunächst nur so viel Lkw-Maut als Entgelt, wie auch Lastwagen auf dem Streckenabschnitt fuhren. Das Verkehrsmengenrisiko ist inzwischen abgelöst worden durch das sogenannte Verfügbarkeitsmodell, das auf die Qualität der Strecke abstellt. Auch gab es von Anbeginn harsche Kritik der Rechnungsprüfer sowie immer wieder Rechtsstreitigkeiten. Die Verträge umfassten bei den ersten Modellen mehr als 1000 Seiten.
Die Bauindustrie reagierte gelassen auf die neuerliche Entwicklung, zumal in den vergangenen Jahren der Verkehrsetat Jahr für Jahr gestiegen ist. Für 2022 etwa sind 8,4 Milliarden Euro vorgesehen. „ÖPP ist eine unter vielen Beschaffungsvarianten“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie, Tim-Oliver Müller. Die öffentliche Hand entscheide, welches Modell sie wie ausschreiben wolle.
ÖPP seien „nie für die breite Masse an Straßenbauprojekten gedacht“ gewesen. Zu den Vorteilen gehörten „eine hohe Termin- und Kostensicherheit und eine ganzheitliche Lebenszyklusbetrachtung, was gerade angesichts der Debatte um mehr Klimaschutz am Bau wichtig ist“, sagte Müller dem Handelsblatt.
Sein Verband fordere seit mehr als zehn Jahren Transparenz – sofern Geschäftsgeheimnisse gewahrt blieben. Nur so könne es statt eines reinen Preis- auch einen Qualitätswettbewerb geben. „Mehr Transparenz sollte nicht einseitig nur bei ÖPP gelten, sondern grundsätzlich das Handeln der öffentlichen Hand bestimmen, was in puncto Vertragsoffenlegungen bisher nicht der Normalfall ist“, stellte Müller klar. Er warb dafür, ÖPP-Projekte so weiterzuentwickeln, dass auch „mittelständische Bauunternehmen in der Lage sind, Projekte als ÖPP umzusetzen – etwa durch einen Combine an kleineren und größeren Projektvolumina“.
Kritik daran, dass ÖPP-Projekte vornehmlich den großen Baukonzernen wie Hochtief, Vinci, Bouyges oder BAM vorbehalten sind, hatte in der Vergangenheit zuvorderst der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB) geübt. Der Verband vertritt die Mittelständler der Branche. Bisher aber hat der ZDB Alternativmodelle abgelehnt, da Mittelständler nicht in der Lage seien, derartige Vorfinanzierungen zu übernehmen.
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