Erhält ein Kind die Diagnose „Diabetes Typ 1“, fallen die Eltern meist aus allen Wolken. Nur wenige erkennen frühe Warnzeichen.
Diabetes Typ 1 ist die häufigste Stoffwechselerkrankung bei Kindern. Dennoch wird die Krankheit meist spät erkannt. Manchmal erst dann, wenn es zu schweren Stoffwechselentgleisungen gekommen ist.
Im Gespräch mit t-online erklärt Professor Anette-Gabriele Ziegler, Direktorin für Diabetesforschung am Helmholtz Munich, auf welche Warnzeichen Eltern bei ihren Kindern achten sollten und welche Möglichkeiten der Früherkennung es gibt.
t-online: Was ist Diabetes Typ 1 und was macht die Krankheit so gefährlich?
Prof. Dr. Anette-Gabriele Ziegler: Menschen mit Typ-1-Diabetes haben eine Autoimmunerkrankung, die sich im Verlauf zu einer chronischen Stoffwechselerkrankung entwickelt – der häufigsten im Kindes- und Jugendalter. Das eigene Immunsystem richtet sich gegen die Insulin produzierenden Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse. Diesen Prozess nennt man Inselautoimmunität.
Durch die Autoimmunreaktion werden die Beta-Zellen zerstört. Der Körper kann dann selbst kein oder nur noch unzureichend Insulin herstellen. Ohne Insulin kann der Zucker aus dem Blut nicht mehr in die Zellen der Organe aufgenommen werden. Deshalb steigt der Blutzucker auf bedenkliche Werte an und die Organzellen werden nicht mehr ausreichend mit Energie versorgt.
Zur Person
Professor Dr. Anette-Gabriele Ziegler ist Direktorin des Instituts für Diabetesforschung am Helmholtz Munich. Sie hat eine Professur am Lehrstuhl für Diabetes und Gestationsdiabetes an der TU München, ist Honorarprofessorin an der TU Dresden und Vorstandvorsitzende der Forschungsgruppe Diabetes e. V.
Welche Auswirkungen hat das?
Es treten klinische Symptome auf und die Stoffwechselerkrankung manifestiert sich. Betroffene müssen nun ihren Blutzuckerspiegel mit einer dauerhaften Insulintherapie „von außen“ kontrollieren. Diese Therapie rettet seit 100 Jahren Menschen das Leben. Es kann damit aber bis heute keine physiologische Einstellung des Blutzuckers über den gesamten Verlauf der chronischen Erkrankung erzielt werden. Dies fördert das Auftreten von diabetischen Folgeerkrankungen, die mit reduzierter Lebensqualität und Lebenserwartung verbunden sind.
Ein weiteres Problem bei Typ-1-Diabetes ist, dass die Erkrankung häufig erst erkannt und behandelt wird, wenn es bereits zu schwerwiegenden Stoffwechselstörungen gekommen ist. Wenn bei Kindern hingegen ein erhöhtes Risiko für Typ-1-Diabetes schon bekannt ist, lässt sich die Erkrankung durch Beratung der Familien und regelmäßige Nachuntersuchungen früh erkennen und behandeln. Auch eine Teilnahme an Studien zur Verhinderung der Krankheitsentwicklung kann sinnvoll sein.
Wo liegt der Unterschied zwischen Diabetes Typ 1 und Typ 2?
Typ-1-Diabetes ist eine Autoimmunerkrankung, die meist im Kinder- oder Jugendalter auftritt. Die Bauchspeicheldrüse produziert gar kein Insulin mehr. Beim Diabetes Typ 2 dagegen wird zu wenig Insulin gebildet oder die Wirkung des Insulins an den Zellen ist gestört. Die Patienten sind in der Regel über 40 Jahre alt.
Was weiß man über die Ursachen von Diabetes Typ 1?
Typ-1-Diabetes ist eine komplexe Erkrankung, die aus den Wirkungen und Wechselwirkungen von genetischen und umweltbedingten Faktoren resultiert. Der genetische Faktor zum Typ-1-Diabetes-Risiko wird auf etwa 50 Prozent geschätzt. Vererbt wird die genetische Veranlagung, eine Inselautoimmunität zu entwickeln. Bei über 90 Prozent der Personen mit Typ-1-Diabetes stammt diese Veranlagung übrigens von Eltern ohne Typ-1-Diabetes. Das heißt, die Erkrankung kann prinzipiell jede Person treffen.
In welchem Alter zeigt sich die Krankheit häufig?
Die frühen Kindheitsjahre stellen offenbar eine sehr empfängliche oder „vulnerable“ Phase im Leben dar, in der das Auftreten von Inselautoimmunität bei genetisch veranlagten Personen durch Exposition mit Umweltfaktoren begünstigt wird. Die Autoimmunkrankheit beginnt meist schon in den ersten beiden Lebensjahren.
Wer hat ein erhöhtes Risiko für Diabetes Typ 1?
Wenn Eltern Diabetes 1 haben, ist das Risiko ihrer Kinder erheblich erhöht. In Deutschland entwickeln gegenwärtig etwa 3 bis 4 von 1.000 Menschen im Laufe ihres Lebens Typ-1-Diabetes.
Das bedeutet, das Risiko liegt in der Allgemeinbevölkerung bei 0,3 bis 0,4 Prozent. Das Erkrankungsrisiko liegt dagegen bei 3, 5 und 8 Prozent, wenn die Mutter bzw. der Vater beziehungsweise ein Geschwisterkind bereits Typ-1-Diabetes haben. Haben zwei nahe Verwandte Typ-1-Diabetes, also zum Beispiel Mutter und Vater oder ein Elternteil und eines der Geschwister, dann steigt das Risiko für Typ-1-Diabetes auf 25 Prozent.
Allerdings haben fast 90 Prozent der Kinder, die an Typ-1-Diabetes erkranken, keinen nahen Verwandten, der ebenfalls erkrankt ist.
Kann also jedes Kind die Krankheit bekommen?
Ja. Das Risiko für Typ-1-Diabetes variiert in Abhängigkeit von der genetischen Veranlagung, die prinzipiell jedes Kind vererbt bekommen kann. In der Gruppe der Verwandten kommt das zwar häufiger vor, insgesamt stellt diese Gruppe aber nur einen relativ kleinen Anteil der Betroffenen dar.
Haben Kinder ein erhöhtes Risiko für Diabetes 1, kommt es darauf an, ob sie eine Inselautoimmunität entwickeln oder nicht. Wenn nicht, reduziert sich ihr Risiko. Wenn sie jedoch eine Inselautoimmunität entwickeln, erhöht es sich deutlich und unabhängig von der familiären Vorbelastung.
Gibt es neben genetischen Faktoren noch weitere, die einen Typ-1-Diabetes begünstigen?