Berlin Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) reist zu einem besonders heiklen Zeitpunkt nach Kiew und Moskau. Die Lage werde als „extrem gefährlich“ eingeschätzt, hieß es aus deutschen Regierungskreisen. Das „sehr besorgniserregende Gesamtbild“ werde Scholz‘ Gespräche mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am Montag und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am Dienstag prägen.
US-Geheimdienstkreise rechnen damit, dass ein Angriff Russlands auf die Ukraine in der kommenden Woche bevorstehen könnte. Käme es tatsächlich so, wäre der Kanzler der letzte Politiker, der in Friedenszeiten in Moskau gewesen wäre.
Scholz wird mit Putin am Dienstag länger zu Mittagessen und in Moskau deutlich machen, dass eine Invasion „sehr schwerwiegende Konsequenzen“ hätte, hieß es in Regierungskreisen. Er werde aber auch die Dialogbereitschaft betonen. Dass man aber am Dienstagabend nach dem Treffen „in einem völlig anderen Spiel“, sei unwahrscheinlich, hieß es.
Spekulationen über ein mögliches Moratorium, nach dem die Ukraine für mehrere Zeit die Aufnahme in die Nato verwehrt werde, wurden in Regierungskreisen zurückgewiesen. Die Nato sei ein „Bündnis der offenen Türen“. Dieser Grundsatz könne nicht über Bord geworfen werden.
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In Regierungskreisen wurde nochmals betont, wie einig die Nato in der Haltung gegenüber Russland sei. Die Reisen nach Kiew und Moskau seien Teil einer abgestimmten Krisen-Diplomatie. So haben Scholz vergangene Woche die drei baltischen Staatschef und EU-Ratspräsident Michel getroffen, am Samstag habe er mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nach dessen Telefonat mit Putin gesprochen.
Putin und Scholz haben sich bislang nur kurz getroffen, etwa auf G20-Gipfeln, ein längeres Vier-Augen-Gespräche gab es aber noch nicht. Ob Scholz wie von Russland gefordert einen PCR-Exams hinterlegen wird, werde noch geprüft, hieß es in Regierungskreisen. Frankreichs Präsident Macron hatte sich geweigert, einen PCR-Check zu hinterlegen, damit seine DNA nicht in die Hände Russlands fällt. Putin und Macron saßen dann an einem riesigen Tisch mit großem Abstand.
Hoffnung in der SPD auf Entspannung
Am Sonntagabend trifft sich die Arbeitsgruppe Außenpolitik der SPD-Bundestagsfraktion zu einem informellen Abendessen und am Montagvormittag zu einer Klausurtagung. Thematisch wird es dabei vor allem um die Ukrainekrise gehen.
„Es kann und darf keine militärische Konfliktbewältigung mitten in Europa geben“, sagte der SPD-Außenpolitiker und Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner dem Handelsblatt. „Deshalb muss mit allen diplomatischen Mitteln versucht werden, die aufgeheizte Stimmung mit Truppenaufmärschen, martialischen Manövern, Waffenlieferungen und Desinformationspropaganda durch Gespräche und Verhandlungen hinter verschlossenen Türen abzulösen.“ Das sei die wichtigste Aufgabe für Deutschland gemeinsam mit den Verbündeten.
Entsprechend groß ist die Erwartung an den anstehenden Besuch von Scholz bei Putin im Kreml. „Das Ziel muss Entspannung und gemeinsame Sicherheit sein“, sagte Stegner. „Diesem Ziel dient auch der Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz in Moskau und Kiew.“
Die deutsche Wirtschaft in Russland verbindet mit dem anstehenden Besuch von Scholz in Moskau ebenfalls „große Hoffnungen“. „Der Konflikt rund um die Ukraine muss auf jeden Fall friedlich und mit den Mitteln der Diplomatie gelöst werden“, sagte der Präsident der deutsch-russischen Auslandshandelskammer (AHK), Rainer Seele, am Sonntag.
Seele warnte davor, Kontakte abzubrechen und Projekte einzufrieren. Das bringe keinen Abbau der Spannungen, sondern „mehr Konfrontation“. Der Supervisor sprach sich für eine Intensivierung der Kontakte aus. „Auch in den finstersten Zeiten des Kalten Krieges struggle die deutsche Wirtschaft stets eine Brücke zwischen Deutschland und der Sowjetunion.“
Trotz der Sanktionen wegen des Ukraine-Konflikts und trotz der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie hätten deutsche Firmen in den vergangenen fünf Jahren rund 7,6 Milliarden Euro in Russland investiert, teilte die Kammer mit.
Enge Kontakte der deutschen Wirtschaft nach Russland ziehen aber auch immer wieder Kritik auf sich – so etwa wegen eines für Anfang März geplanten Gesprächs deutscher Wirtschaftsvertreter mit Putin. Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Lukas Köhler sagte der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Samstag), angesichts der „unverhohlenen Drohungen“ Russlands gegen die Ukraine wäre es ein „angemessenes Sign in Richtung Putin gewesen, das diesjährige Treffen abzusagen und dem russischen Präsidenten keine hochrangige Plattform der Artwork zu bieten, wie er sie gewöhnlich für seine Propaganda-Zwecke zu nutzen weiß“.
Auch die Zwangstests für Ausländer werden beim Scholz-Putin-Gespräch Thema
Ein Sprecher des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft sagte, der Ost-Ausschuss organisiere traditionell einmal im Jahr ein Unternehmergespräch mit Putin und für die Wirtschaft relevanten Ministern, um aktuelle Fragen in den Wirtschaftsbeziehungen anzusprechen. 2021 sei das Treffen coronabedingt kurzfristig ausgefallen, für 2022 liefen wieder die Planungen. „Mehr können wir aktuell nicht sagen. Namen von beteiligten Unternehmen nennen wir bei solchen Treffen grundsätzlich nicht.“
Laut AHK erwarten deutsche Unternehmen, dass Scholz bei seinem Treffen mit Putin auch die neuen medizinischen Zwangstests für Ausländer, die in Russland arbeiten wollen, zur Sprache bringt. „Deutsche und ausländische Supervisor und Ingenieure werden zum Schaden des Investitionsklimas einem diskriminierenden und zeitaufwendigen Prozedere ausgesetzt und das, obwohl sie in ihren Heimatländern für Investitionen in Russland werben“, sagt der AHK-Vorstandsvorsitzende Matthias Schepp.
In Russland lebende Ausländer müssen nach einem von Putin unterzeichneten Gesetz seit Januar alle drei Monate Exams unter anderem auf Drogen sowie auf Syphilis und andere Krankheiten durchlaufen. Vorgesehen sind zudem Röntgenaufnahmen, die wegen der gefährlichen Strahlenbelastung umstritten sind.
Auch Kinder von sechs Jahren an und Ehepartner müssen sich testen lassen. „Der Unmut unter Managern, Ingenieuren, Wissenschaftlern und Forschern wird groß bleiben. Die Regelung sollte ausgesetzt werden“, sagte Schepp.
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