Berlin Das erste Coronajahr hat die Innovationen der deutschen Wirtschaft kräftig gedämpft. Erstmals seit zehn Jahren sind die Ausgaben für Neuheiten wieder gesunken: um 3,6 Prozent auf 170,5 Milliarden Euro. Vor allem klassische Hightech-Branchen wie der Maschinenbau haben merklich gespart. Das zeigt das neue Innovationspanel des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), das dem Handelsblatt exklusiv vorliegt.
Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE), die den Löwenanteil der Investitionsausgaben ausmachen, sind demnach um 6,3 Prozent zurückgegangen. „Nirgends sonst in Europa, mit Ausnahme Italiens, sind sie 2020 so stark gesunken wie bei uns – in zwei Drittel der Länder der Europäischen Union sind sie trotz Corona sogar gestiegen“, sagt ZEW-Experte Christian Rammer.
Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) äußerte sich besorgt über den Rückgang der Innovationsausgaben. Dennoch sei Deutschland „immer noch Innovationsland“. Zudem „deutet sich eine Trendwende an“, sagte sie dem Handelsblatt.
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Für 2021 hatten die Unternehmen ein Plus von 2,1 Prozent für die Innovationsausgaben geplant. Laut ZEW ist jedoch unklar, ob die Firmen 2021 ihre Forschungsausgaben erhöht haben. „Die Unsicherheit conflict noch nie so groß.“
Mit dem Einbruch der Innovationsausgaben hat sich 2020 ein genereller Abwärtstrend fortgesetzt, der schon 2019 mit der nachlassenden Konjunktur begonnen hatte. „Bei den Branchen sieht man eine klare Zweiteilung: Alle IT-Bereiche haben zugelegt. Aber die klassischen Hightech-Branchen wie Fahrzeugbau, Maschinenbau und Elektro haben in merklichem Umfang an Innovationen gespart“, fasst ZEW-Experte Rammer die Ergebnisse des Innovationspanels zusammen (siehe Grafik).
Die Industrie kürzte ihr Innovationsbudget um quick fünf Prozent
Während der Industriesektor sein Innovationsbudget um quick fünf Prozent verringerte, blieben die Innovationsausgaben im Dienstleistungssektor auf dem Niveau von 2019. Da der Industriesektor jedoch mit 127 Milliarden Euro deutlich höhere Innovationsausgaben aufweist als der Dienstleistungssektor mit knapp 44 Milliarden, bestimmt er maßgeblich die gesamtwirtschaftliche Entwicklung.
Verschärft wird der Einbruch durch die Tatsache, dass die Unternehmen weniger an den laufenden Projekten sparten, sondern vor allem die „Improvements-Investitionen“ um ein Zehntel kürzten. Dazu gehören besonders die Kosten für den Hochlauf der Produktion und den Vertrieb von neuen Produkten.
„Das kann sich negativ auswirken, weil die Unternehmen dann länger brauchen, um eine nach der Krise anziehende Nachfrage zu bedienen“, mahnt Rammer, „denn oft dauert es ein Jahr, bis neue Produkte auf den Markt gebracht werden können.“
Schwindende Innovationen kosten Wachstum
Die Folgen rückläufiger oder auch nur zu geringer Innovationen könnten dramatisch sein, warnt das Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Denn Deutschland „steht vor einer gewaltigen Herausforderung, da demografischer Wandel, Dekarbonisierung und Digitalisierung sowie Deglobalisierungstendenzen gleichzeitig und wechselseitig wirken und das Geschäftsmodell der deutschen Unternehmen gefährden“, sagt der IW-Innovationsexperte Axel Plünnecke.
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Einen wachsenden Rückstand auf die Weltspitze hatte schon der letzte Innovationsindikator ausgemacht, den der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) unmittelbar vor der Coronakrise veröffentlichte. Dort stand Deutschland zwar noch auf Platz vier. „Doch während andere davoneilen, treten wir im Vergleich zu unseren Wettbewerbern auf der Stelle“, warnte der damalige BDI-Präsident Dieter Kempf seinerzeit bereits. Der Abstand zu den Spitzenreitern Schweiz, Singapur und Belgien conflict zunehmend größer geworden. Damit setze sich „ein Abwärtstrend der deutschen Innovationsdynamik seit 2014 fort“.
Unsicher sind sich die Experten, warum die FuE-Ausgaben gerade in Deutschland so besonders stark gesunken sind. Natürlich conflict da der Einbruch des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2020 um 4,6 Prozent, gefolgt von minus 2,8 Prozent im vergangenen Jahr und einer massiven Unsicherheit darüber, wie es weitergeht.
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Teilweise drückten die sinkenden Umsätze auch auf die Liquidität: Nach einer Umfrage der KfW klagte 2020 zumindest rund ein Drittel der mittelständischen Unternehmen hier über Probleme.
Fehlendes Geld scheint nicht das Hauptproblem zu sein. Aktuell horten deutsche Unternehmen so viel Liquidität wie noch nie: quick 700 Milliarden Euro, ergaben Berechnungen der internationalen Kanzlei Freshfields. Das Geld schmilzt allerdings dahin, denn es wird auf den Bankkonten unter Einberechnung der Inflation mit durchschnittlich minus 4,6 Prozent verzinst.
Dennoch: In anderen Ländern brach die Wirtschaft 2020 noch deutlich stärker ein als in Deutschland, die Forschungsausgaben gingen dort aber nicht so stark zurück.
ZEW-Forscher Rammer geht davon aus, dass auf jeden Fall die Kurzarbeit, eine deutsche Spezialität, zum Rückgang der Innovationen beigetragen hat. Zudem conflict hierzulande die Homeoffice-Quote überdurchschnittlich hoch.
Und es seien „gerade die kreativen Prozesse, die eben in der Pandemie per Zoom nicht oder schlechter funktionieren – und damit neue Ideen gar nicht erst entstehen, berichten uns die Unternehmen“, so Rammer. Auch Kooperationen mit externen Partnern, wie etwa Hochschulen, seien viel schwieriger geworden.
Ministerin sorgt sich um Mittelstand
Die Bundesforschungsministerin alarmieren vor allem die Nachrichten aus dem Mittelstand: „Sorgen bereiten mir die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), die mit weniger Ausgaben planen. Sie brauchen Entlastung, damit ihnen nicht die Puste ausgeht“, sagte Stark-Watzinger.
Die KMU, seit Langem Sorgenkinder der deutschen Innovationspolitik, haben ihre Innovationsausgaben 2020 nach dem ZEW-Panel – anders als die Großunternehmen – auf niedrigem Niveau 2020 zwar minimal erhöht. Für die Folgejahre planten sie allerdings schon im Frühsommer 2021 außerordentlich kräftige Einschnitte von sechs und acht Prozent. Damit „scheint die Pandemie bei KMU stärkere und längerfristige Spuren zu hinterlassen“, schreibt das ZEW. Die Großunternehmen dagegen kalkulieren mit einem Plus von je rund drei Prozent.
Um die Innovationskraft der vielen kleineren Unternehmen zu stärken, hatte der Bund 2020 nach jahrzehntelanger Debatte eine steuerliche Forschungsförderung eingeführt, die seit April 2021 beantragt werden kann. Wegen der Pandemie wurde sie noch einmal aufgestockt, sodass nun ein Bonus von bis zu einer Million Euro jährlich lockt.
IW-Experte Plünnecke fordert, angesichts der schlechten Zahlen die Rahmenbedingungen für die Innovationskraft weiter zu verbessern. Dazu solle der Bund etwa „den Förderumfang und den Zugang zur Forschungszulage verbessern, um so unternehmerische Forschungsausgaben zu hebeln“. Zudem müsse, wie im Koalitionsvertrag geplant, der Technologietransfer aus den Hochschulen in die Wirtschaft schnell deutlich verbessert werden.
Die Forschungsministerin jedenfalls verspricht den „Aufbruch in ein Innovationsjahrzehnt“, mit „großen Sprüngen und Durchbrüchen“. Ob die Innovationsausgaben 2021 aber tatsächlich wieder wie erhofft zulegten, ist völlig unklar. Denn das ZEW hatte die rund 32.000 Unternehmen für das jährliche Panel im Frühjahr und Sommer 2021 befragt, als die Welt noch auf ein baldiges Ende der Pandemie hoffte.
Trotzdem konnte oder wollte anders als in normalen Jahren ein hoher Anteil von mehr als 13 Prozent gar keine Angaben zu den Innovationsplänen machen. Für 2022 traute sich sogar quick ein Fünftel keine Einschätzung zu.
„Selbst in der Euro-Krise im Jahr 2009 hat die Part hoher Ungewissheit nur ein halbes Jahr angehalten, nun sind es schon zwei Jahre“, sagt Innovationsexperte Rammer. Viele Innovationen richteten sich zudem „auf den riesigen chinesischen Markt – doch nun weiß niemand, ob sich das Land womöglich noch Jahre völlig abschottet. Vielleicht wird Olympia hier erste Hinweise geben.“
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Damit das Wissen aus der Forschung schneller in den Unternehmen ankommt, „werden wir der Agentur für Sprunginnovationen mehr Freiheit geben, die Deutsche Agentur für Switch und Innovation (Dati) gründen und Ausgründungen vorantreiben“, verspricht Stark-Watzinger. „Wir können uns nicht länger leisten, diese Potenziale ungenutzt zu lassen.“
Neben einem besseren Technologietransfer müsse die Ampelregierung „aber vor allem die digitale Infrastruktur verbessern“, fordert Forscher Plünnecke. In den Befragungen des IW stehen der Breitbandausbau sowie stabiles Web auch auf dem Land ganz oben auf der Forderungsliste der innovativen Unternehmen.
An zweiter Stelle, noch vor finanziellen Hilfen für Forschung und Entwicklung, steht der Wunsch, endlich die Engpässe bei digitalen Kompetenzen zu beheben – und dafür zu sorgen, dass mehr Fachkräfte im naturwissenschaftlichen und technischen Bereich ausgebildet oder aus dem Ausland angeworben werden.
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