Ab Anfang 60 fragen sich viele, wann ein Übertritt in die Rente infrage kommt. Viele steigen vor dem regulären Rentenalter aus dem Job aus. Doch es gibt einen gegenläufigen Trend.
Immer mehr Menschen in Deutschland gehen auch im Alter zwischen 63 und 67 Jahren einer Beschäftigung nach. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig und geringfügig Beschäftigten in diesem Alter stieg von 1,31 Millionen im Jahr 2020 kontinuierlich auf 1,67 Millionen im vergangenen Jahr, wie aus einer der Deutschen Presse-Agentur vorliegenden Regierungsantwort auf Fragen der Linken im Bundestag hervorgeht. Im Jahr 2022 waren noch 1,52 Millionen Menschen dieser Altersgruppe, in der ein Renteneintritt möglich wird, in Beschäftigung.
Der Linken-Rentenexperte Matthias W. Birkwald, der die Anfrage gestellt hatte, wendet sich unter Verweis auf die gestiegene Beschäftigungsquote der 63- bis 67-Jährigen gegen eine Abschaffung der „Rente mit 63“. So wurde die abschlagsfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren zunächst genannt, da zunächst Menschen mit Geburtsjahr vor 1953 mit ihr bereits mit 63 Jahren ohne Abschläge in Rente gehen konnten. Nun liegt die Altersgrenze hierfür bei 64 Jahren und 4 Monaten für 1960 Geborene. Für später Geborene erhöht sich das Eintrittsalter bis 2029 auf 65 Jahre.
Streit um „Rente mit 63“
Deutschlands Arbeitgeber, die Union, aber auch Politiker von Grünen und FDP hatten sich für eine Abkehr von der sogenannten „Rente mit 63“ ausgesprochen. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann sagte im September: „Wir können es uns nicht leisten, dass hauptsächlich eigentlich gesunde und gut verdienende Menschen mit 63 in Rente gehen.“ FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner hatte in einem Interview gesagt: „Warum setzen wir nicht Anreize, damit Menschen länger arbeiten wollen – statt die Rente mit 63 zu finanzieren? Die ist eine Stilllegungsprämie für qualifizierte Beschäftigte.“
Birkwald hielt solchen Forderungen entgegen: Anstatt die abschlagsfreie Rente für besonders langjährig Versicherte abschaffen zu wollen, „sollte genau hingeschaut werden“. Die Beschäftigung älterer Menschen sei stark gestiegen – dies zeigten die Statistiken. Bei den 63- bis 67-Jährigen seien in den vergangenen drei Jahren die Beschäftigungsquoten in Deutschland um 26,2 Prozent gestiegen.
Braindrain oder Recht?
Die damalige Koalition von Union und SPD hatte die vorgezogene Altersrente ohne Abschläge ab 45 Jahren Versicherungszeit 2014 eingeführt. Bei der Einführung hatte die Regierung jährlich rund 200.000 Antragsteller prognostiziert – die Prognosen werden Jahr für Jahr deutlich übertroffen. Insgesamt gab es zuletzt deutlich mehr als zwei Millionen Nutzerinnen und Nutzer dieser Rentenart. Hier zeigt sich bereits, dass immer mehr Beschäftigte der geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge ins Rentenalter kommen. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger klagte: „Die Rente ab 63 hat zu einem Braindrain geführt.“
Trotz Fachkräftemangel hatte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) Forderungen nach einem Aus für die „Rente mit 63“ eine Absage erteilt: „Wer 45 Jahre lang gearbeitet hat, hat dann ein Recht darauf, früher abschlagsfrei in Rente zu gehen.“ Eine Rente mit 70, wie es viele Konservative wollten, werde es mit ihm nicht geben, so Heil in einem Interview. In den kommenden Wochen will Heil seine lange angekündigte Rentenreform zur langfristigen Stabilisierung der Renten vorlegen.
Vor allem bei Älteren hat Beschäftigung zugelegt
In Sachen Beschäftigung Älterer ist Heils erklärtes Ziel: Anreize entwickeln, damit Menschen, die das könnten, freiwillig länger arbeiteten. Tatsächlich ist die Beschäftigungsquote der höheren Altersgruppen in den vergangenen 20 Jahren schon stärker gestiegen als die Beschäftigungsquote insgesamt, und zwar „deutlich“, wie das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in einer Studie feststellt.
Laut Statistischem Bundesamt nahm die Erwerbsbeteiligung der 60- bis 64-Jährigen in den vergangenen Jahren so stark zu wie in keiner anderen Altersgruppe – von 47 Prozent 2012 auf 63 Prozent 2022. Jenseits des regulären Renteneintrittsalters hat sich der Anteil der Erwerbstätigen von 11 Prozent 2012 auf 19 Prozent 2022 erhöht – das sind jene, die mit 65 bis 69 Jahren noch gearbeitet haben.
Länger arbeiten wegen niedriger Rente?
Birkwald sagte: „Ständig hört man Forderungen über die Anhebung der Regelaltersgrenze, die Abschaffung der „Rente ab 63“ (…) oder einem sogenannten „flexiblen Renteneintritt“.“ Dabei steige die Beschäftigung Älterer bereits. In der Pflicht seien die Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen, ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen gute Arbeit anzubieten, sodass sie die Möglichkeit, länger zu arbeiten, auch freiwillig nutzen wollen.
Ältere Menschen dürften dagegen nicht gezwungen sein, aufgrund einer niedrigen Rente weiter arbeiten zu müssen, forderte der Linken-Rentenexperte. Dabei habe fast jeder zweite Senior oder Seniorin über 65 hierzulande nur ein Nettoeinkommen von unter 1250 Euro zur Verfügung. Berechnungen des Statistischen Bundesamtes auf Anfrage der Linken hatten Anfang des Jahres gezeigt, dass 42,3 Prozent der Rentnerinnen und Rentner mit einem Netto-Einkommen bis zu dieser Grenze auskommen müssen. Von den knapp 7,5 Millionen Betroffenen sind mehr als 5,2 Millionen Frauen.
Arbeitseinkommen im Alter oft Zuverdienst
Laut Statistischem Bundesamt ist ein Grund für den Anstieg der ab 65-Jährigen mit Job neben der Anhebung des Rentenalters das gestiegene Bildungsniveau. „Höhere Bildungsabschlüsse gehen oft mit einer längeren Teilnahme am Erwerbsleben einher.“ Der Anteil der Hochqualifizierten unter den beschäftigten Älteren sei besonders hoch. „Arbeiten im Rentenalter kann zum einen bedeuten, länger aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, und zum anderen einer drohenden Altersarmut entgegenzuwirken“, so das Bundesamt weiter. Für rund 40 Prozent der Erwerbstätigen ab 65 Jahren war die ausgeübte Tätigkeit die vorwiegende Quelle des Lebensunterhalts – für die Mehrheit war dieses Einkommen aber ein Zuverdienst neben Rente oder Vermögen.