Wird Deutschland wieder zum „kranken Mann Europas“ – oder ist es schon? Der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer sieht viele Schwächen beim Standort Deutschland.
Die Deutsche Industrie- und Handelskammer hat vor einer zunehmenden Verlagerung von Produktion aus Deutschland ins Ausland gewarnt. „Der Standort Deutschland verliert an Attraktivität“, sagte DIHK-Präsident Peter Adrian der Deutschen Presse-Agentur.
„Viele Rahmenbedingungen sind beispielsweise in den USA oder asiatischen Ländern grundlegend besser. Das gilt etwa bei der Energieversorgung, bei den Steuern und Abgaben sowie dem unternehmerischen Freiraum“, sagte Adrian. Darauf müssten Deutschland und die EU reagieren.
Wenn schon die deutschen Energie- und Arbeitskosten höher seien, müsse das Land vor allem bei der Bürokratie und allen anderen beeinflussbaren Faktoren besser sein, forderte Adrian. „Auch auf unserem eigenen Kontinent ist die Herausforderung groß: Deutschland darf nicht wieder zum kranken Mann Europas werden.“ Der Begriff vom „Kranken Mann Europas“ (Sick Man of Europe), mit dem die britische Zeitschrift „Economist“ Deutschland um die Jahrtausendwende bezeichnete, machte in den vergangenen Monaten erneut die Runde.
Wirtschaft bewertet Politik so schlecht wie noch nie
Nur mit einer starken Wirtschaft werde es gelingen, die aktuellen Herausforderungen anzugehen, sagte Adrian. Deutschland müsse schneller, agiler, unbürokratischer und vor allem digitaler werden, um international mithalten zu können. Diese Transformation müsse von Seiten der Politik unterstützt werden. „Der Standort ist ansonsten langfristig in Gefahr.“
Adrian sagte, er würde sich ein klares, verlässliches und auch problemorientiertes politisches Handeln wünschen. Bei der Verlagerung gehe es nicht nur um Firmen, die hier schließen und anderswo neu eröffneten. „Viel relevanter ist die Entwicklung, dass Erweiterungen oder neue Ideen bei international aufgestellten Industrienetzwerken immer öfter in anderen Ländern verwirklicht werden als bei uns. Diese Tendenz können wir aber umkehren, wenn wir deutlich besser werden.“
In einer Umfrage der DIHK unter mehr als 2.200 Unternehmen bewerteten diese im Laufe des Jahres (auf einer Schulnoten-Skala von 1 bis 6) die Wirtschaftspolitik mit der Note 4,8 – und damit so schlecht wie nie zuvor in der alle drei Jahre durchgeführten Umfrage. Vor allem beklagten die Firmen zu viel Bürokratie, zu hohe Energiekosten und zu lange Genehmigungsverfahren. Zunächst hatte die „Welt am Sonntag“ darüber berichtet.
Adrian: „Nicht mit dem Kopf durch die Wand“
Adrian warnte außerdem vor einem Alleingang Deutschlands beim Klimaschutz. Viele Unternehmerinnen und Unternehmer würden sich Gedanken darüber, wie sie ihren eigenen Betrieb neu aufstellen und wie sie mit Ressourcen effizienter umgehen könnten. „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht in einer Sackgasse landen. Denn die Welt wartet nicht darauf, dass wir ihr unsere Standards diktieren“, sagte er.
Deutschland müsse seine Transformation mit seinen wichtigen Nachbarländern kompatibel machen. Anders werde es nicht funktionieren und würde zu schweren Wettbewerbsnachteilen führen: „Wir können nicht mit dem Kopf durch die Wand“, erklärte Adrian.