Welche Bedrohungen sehen Sie heute für das Grundgesetz und andere demokratische Verfassungen?
Ich sehe die Gefahr, dass die Voraussetzungen für Demokratie untergraben werden. Demokratie besteht nicht nur aus Wahlen. Es soll gewährleisten, dass die Minderheit eine realistische Chance hat, zur Mehrheit zu werden. Dazu bedarf es unter anderem Oppositionsrechte, Minderheitenschutz, Grundrechte wie Versammlungs- und Meinungsfreiheit, starke Verfassungsgerichte und unabhängige Medien.
In vielen Ländern Europas und der Welt erleben wir, dass Wahlen zwar nicht abgeschafft werden, die Voraussetzungen für eine funktionierende Demokratie jedoch mit dem Ziel ausgehöhlt werden, eine dauerhafte Herrschaft einer Partei zu ermöglichen. Dies ist in Deutschland noch nicht geschehen, aber es wäre naiv zu glauben, dass wir auf einer „Insel der Seligen“ leben.
Sie sind Vorsitzender des Vereins „Gegen Vergessen – Für Demokratie“. Was können Bürger tun, um die Demokratie zu schützen und zu stärken?
Es handelt sich vor allem um die sogenannte stille Mitte oder das unsichtbare Dritte. Dabei handelt es sich um Menschen, die zwar nicht dem rechtsradikalen Lager angehören – das in Deutschland derzeit schätzungsweise zwischen fünf und acht Prozent der Wählerschaft ausmacht –, aber die Demokratie teilweise abgelehnt haben, sei es aus Enttäuschung, Wut oder Desinteresse. Es gilt, diese Menschen wieder für sich zu gewinnen. Demokratie beginnt vor der eigenen Haustür, im Gespräch mit Nachbarn, Arbeitskollegen oder Freunden in der Kneipe. Dann können wir erklären, dass unser demokratisches System, auch wenn es nicht perfekt ist, der beste Weg ist, die Freiheit aller zu schützen. Als Verein versuchen wir daher, in den Dialog über Demokratie zu kommen, beispielsweise durch die Ausbildung von Demokratiementoren in Schulen oder bei der Polizei und durch die Einrichtung von Cafés als Diskussionsforen.