Guten Tag liebe Leserinnen und Leser,
vier Wochen ist es her, dass Wladimir Putin die Ukraine mit einem blutigen Angriffskrieg überzogen hat. Vier Wochen, in denen die Ukrainer der Welt gezeigt haben, dass sie einer scheinbar übermächtigen Armee standhalten können. Und vier Wochen, in denen Europa – und vor allem Deutschland – lernen mussten, wie absurd ihre Energiepolitik der vergangenen Jahrzehnte gewesen ist.
In dieser Sache reiste US-Präsident Joe Biden diese Woche nach Europa, mit einer lang ersehnten Nachricht im Gepäck: Feste Lieferzusagen für amerikanisches Flüssiggas. Die USA wollen der EU 2022 rund 15 Milliarden Kubikmeter LNG zusätzlich liefern, wie das Brüsseler Handelsblatt-Büro Donnerstag vorab erfuhr. „Biden hat den Europäern seine Wertschätzung gezeigt”, sagte mein Kollege Moritz Koch gestern. „Noch nie haben Brüssel und Washington so eng zusammengearbeitet wie jetzt, was vor allem an Bidens Bereitschaft liegt, die EU als gleichwertigen Companion zu behandeln.“
Bislang fehlte es für so eine Energie-Allianz allerdings schlicht an LNG-Terminals, um die zusätzlichen Gasmengen ins Netz einzuspeisen. Doch hier kann Wirtschaftsminister Robert Habeck einen Erfolg vermelden, wie wir gestern erfuhren: Die Bundesregierung hat sich den Zugriff auf drei schwimmende LNG-Terminals gesichert.
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Die Turbulenzen an den Energie- und Rohstoffmärkten haben der Welt in den vergangenen Tagen sehr deutlich gezeigt, wie fragil die Weltwirtschaft ist. Wir haben in unseren Redaktionskonferenzen immer wieder lange darüber diskutiert, wie schnell das System des freien Welthandels in Schieflage geraten kann, weil Lieferketten reißen, weil die Versorgung mit Nahrungsmitteln stockt oder schlicht weil Fabriken wegen fehlender Rohstoffe herunterfahren müssen – und welche Folgen das alles hat.
Die Diskussionen der vergangenen Wochen haben wir zu einem großen Report verdichtet. Denn klar ist auch: Die Veränderungen auf den weltweiten Rohstoffmärkten, die wir nun sehen, sind mehr als ein vorübergehendes Phänomen. Die geopolitischen Machtstrategien der Bündnispartner China und Russland werden Rohstoffmärkte und Weltwirtschaft nachhaltig verändern – mit dramatischen Folgen für die deutsche Wirtschaft.
Ich habe Ihnen fünf Grafiken herausgesucht, die deutlich zeigen, wie weit die neue Rohstoffkrise reicht:
Sorge vor einer Hungersnot: Die Ukraine und Russland waren die Kornkammern der Welt – das ist hinlänglich beschrieben. Dass aber die hohen Gaspreise auch zu steigenden Düngemittelpreisen führen, wird oft übersehen. Der Grund: Aus Erdgas wird Ammoniak hergestellt, die wichtigste Zutat für die Herstellung von Stickstoffdünger. Das wiederum führt dazu, dass viele Bauern in ärmeren Regionen den Dünger nicht mehr bezahlen können, was die Hungersnot noch verschärft.
Gefahr für den E-Auto-Increase: Vor allem die Knappheit bei Nickel, das für die Produktion von Batterien entscheidend ist, gefährdet die Transformation zur Elektromobilität. Nickel ist wichtiger Bestandteil bei der Produktion von Batterien – und kommt zu einem beträchtlichen Teil von russischen Lieferanten. Die Lieferzeiten bei E-Autos dürften sich deutlich verlängern.
Die State of affairs wird durch eine Preisexplosion bei Lithium noch verschärft – dem Grundstoff für Lithium-Ionen-Batterien, die wiederum Elektroautos antreiben.
Auch der ohnehin schon dramatische Halbleiter-Mangel verschärft sich – aus einem überraschenden Grund: Die Ukraine ist einer der wichtigsten Hersteller von Neon, einem Gasoline, das vor allem in der Chipindustrie benötigt wird. Die Hälfte der weltweit benötigten Neon-Ressourcen stammt von Firmen aus den ukrainischen Hafenstädten Odessa und Mariupol. Schlechte Nachrichten für die Hightech-Industrie.
Auch die Energiewende gerät ins Stocken: Viele Rohstoffe werden knapp und viel teurer, darunter Kupfer und Platin, die unter anderem für die Herstellung von Windrädern oder die Produktion von Wasserstoff benötigt werden.
Was uns diese Woche sonst noch beschäftigt hat
1. Es ist die Reaktion auf die Embargo-Debatte des Westens: Wladimir Putin ordnete vergangene Woche an, dass Gasoline nur noch in Rubel bezahlt werden darf. Damit könnte er künftig leichter die Preise erhöhen, analysieren die Ökonomen Axel Ockenfels und Achim Wambach im Handelsblatt. Der Westen solle sich dennoch nicht aus der Ruhe bringen lassen, denn: „Feuer lässt sich nicht mit Feuer löschen. Die Gelassenheit, die die Nato nach einer Anhebung der russischen Alarmbereitschaft bei den nuklearen Abschreckungswaffen an den Tag gelegt hat, ist ein Vorbild“, schreiben die beiden Ökonomen.
2. Klar ist jedenfalls: Putin kommt in der Ukraine nicht so voran wie erhofft. Aber woran liegt das? Um diese Frage drehen sich zwei Handelsblatt-Gespräche mit renommierten Militärstrategen. Der Ex-US-Generalmajor Michael Repass glaubt, dass die russischen Streitkräfte versagt haben. „Die Russen werden mit jedem Tag schwächer“, sagt er. Repass kann es beurteilen: Bis Ende Januar conflict der Amerikaner als Berater des Generalstabs in Kiew tätig.
3. Der US-Stratege Eliot Cohen wiederum rechnet mit einer Niederlage des russischen Militärs. „Die Russen haben das Gros ihrer einsatzfähigen konventionellen Streitkräfte mobilisiert, und sie erleiden hohe Verluste“, sagt er im Handelsblatt. Die Ukrainer hingegen „wissen, wofür sie kämpfen“.
4. Es ist ein Vorschlag, der für Diskussionen sorgte: FDP-Finanzminister Christian Lindner forderte im Handelsblatt, das Handelsabkommen TTIP neu aufzulegen, um die Abhängigkeit von China zu reduzieren. Es ist ein Vorschlag der unbedingt diskutiert werden sollte. Denn der Westen braucht ein solches Abkommen dringender denn je.
5. Bei all den grauenhaften Nachrichten, die uns aus der Ukraine erreichen: Es gibt auch eine Reihe von Krisengewinnern. Der weltgrößte Ölkonzern Saudi Aramco zum Beispiel hat seinen Gewinn im abgelaufenen Geschäftsjahr mehr als verdoppelt. Ähnlich intestine sieht es für Shell, BP und Chevron aus. Doch zu den Profiteuren zählen auch Wind- und Solarparkbetreiber, denen die aktuell hohen Preise an der Strombörse helfen.
6. Von „schwarzen Schwänen“ haben Sie sicher schon gehört – von diesen unvorhersehbaren, dramatischen Ereignissen, die über Nacht alles verändern können. Doch es gibt, wie ich vergangene Woche gelernt habe, auch „graue Schwäne“: Das sind die Gefahren, die bislang nur in Umrissen bekannt sind. Und davon bedrohen gleich fünf die internationalen Finanzmärkte.
7. Nun fragen Sie sich vielleicht: Was heißt das nun für mein Depot? Die Antwort hat Geldanlage-Teamleiter Andreas Neuhaus. Er beschreibt, auf welche sechs Aktien professionelle Investoren jetzt setzen.
8. Aus meiner Sicht ist Annalena Baerbock die größte Überraschung im Bundeskabinett. Nach all den Fehlern im Wahlkampf findet sie in der Ukraine-Krise den richtigen Ton – und sagt mitunter Dinge in einer Klarheit, die man sich von Bundeskanzler Olaf Scholz gewünscht hätte. Meine Kollegen Mathias Brüggmann, Silke Kersting und Jürgen Klöckner beschreiben, wie die Grünen-Politikerin, die so ganz andere Pläne hatte, in der Krise der vergangenen Wochen ihre Rolle fand.
9. Viele Leserinnen und Leser des Handelsblatts haben die Tagebuch-Aufzeichnungen der jungen Mutter Tatiana Chontoroh verfolgt, die vor zwei Wochen in einem Tagebuch im Handelsblatt über ihre Flucht aus Kiew und den Tod ihres Sohnes berichtete. Nun ist sie in Deutschland angekommen. „Der Flug nach Dortmund ist wie eine Reise in ein Leben, in das ich nicht mehr passe “, schreibt sie. „Deutschland ist ein schönes Land, aber ich will zurück nach Kiew, sobald das möglich ist. Bis dahin werde ich versuchen, auch von hier aus meinem Land nützlich zu sein und den Menschen zu helfen.“ Die Geschichte der jungen Mutter ist eine, die unsere Redaktion ganz besonders berührt hat.
Ich wünsche Ihnen ein sonniges und erholsames Wochenende. Wir werden Sie – wie immer – rund um die Uhr auf dem Laufenden halten.
Es grüßt Sie herzlich
Ihr Sebastian Matthes
Chefredakteur Handelsblatt
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