38 Minuten dauert das Gespräch, das die Bundesregierung blamiert. Darin diskutieren Bundeswehr-Offiziere Militärgeheimnisse. Experten fürchten, dass es noch mehr solcher Mitschnitte existieren.
Der in Russland veröffentlichte Mitschnitt ranghoher deutscher Luftwaffen-Offiziere zum Thema Taurus-Lieferung sorgt nicht nur hierzulande für Entsetzen. Auch international ist das Erstaunen groß, dass sich die Regierung unter Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) derart von dem autoritären Regime Wladimir Putins vorführen lässt. Von „Katastrophe“ spricht die ARD, von einer „Riesen-Blamage“ die Nachrichtenagentur AFP, und die Neue Zürcher Zeitung nennt die Abhöraffäre einen „politischen Skandal“ und einen „Tiefpunkt“ der Regierung Scholz.
Das Schweizer Blatt wirft den abgehörten Bundeswehrsoldaten zudem „unfassbare Fahrlässigkeit“ vor und mutmaßt, dass Russland über noch viel mehr solcher kompromittierender Mitschnitte verfügen könnte.
Die Opposition fordert bereits einen Untersuchungsausschuss in der Sache. Der Chef der CSU-Bundestagsabgeordneten, Alexander Dobrindt, sagte dem „Spiegel“, der Kanzler begründe seine Ablehnung von Taurus-Lieferungen „möglicherweise mit einer Falschdarstellung“. Er forderte: „Der Bundeskanzler muss sich dafür vor dem Bundestag erklären.“
Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen konstatierte einen schweren Schaden für Scholz persönlich: Es stelle sich die Frage, „warum der russische Geheimdienst und vielleicht sogar eine höhere Stelle durch die Veröffentlichung des Gesprächs den Bundeskanzler gerade jetzt so massiv beschädigt“, sagte Röttgen dem „Tagesspiegel“.
Ralf Stegner (SPD) wies die Forderung nach einem Untersuchungsausschuss umgehend zurück. Er halte das für nicht angemessen. „Die Forderung ist Oppositions-Klein-Klein“, sagte Scholz‘ Parteifreund dem „Tagesspiegel“. Gleichwohl kritisierte er die Bundeswehr-Offiziere dafür, dass sie in einem nicht geschützten Medium über einen möglichen Taurus-Einsatz „leichtfertig dahergeplappert“ hätten.
Pistorius: „Dürfen Putin nicht auf den Leim gehen“
Dass es sich bei dem Lauchangriff womöglich nicht um einen Einzelfall handelt, diese Befürchtung teilt auch der deutsche Kontingentführer bei der Nato-Luftraumüberwachung im Baltikum, Swen Jacob. Er sagte der Nachrichtenagentur dpa, dass sich die Soldaten ohnehin schon auf einen russischen Lauschangriff einstellen.
„Wir müssen gerade hier vor Ort im Baltikum, wo die Russen so nah sind, davon ausgehen, dass wir abgehört werden. Wir wissen auch, dass wir abgehört werden.“ Vor Ort habe man daher erhöhte technische Maßnahmen getroffen, um solche Attacken zu verhindern. „Wir haben nach unserem Ermessen schon das Maximum gemacht, was wir tun können. Aber es zeigt eben auch: Der Russe hört mit.“
Dass „der Russe mithört“, wie Jacob es nennt, ist in einer solchen Situation prekär, wo Deutschland und Europa intensiv über eine verstärkte militärische Unterstützung der Ukraine diskutieren, um dem russischen Aggressor zu widerstehen.
Das sieht offenbar auch der Verteidigungsminister so. „Es handelt sich um einen hybriden Angriff zur Desinformation, es geht um Spaltung, es geht darum, unsere Geschlossenheit zu untergraben“, sagte Boris Pistorius. „Wir dürfen Putin nicht auf den Leim gehen.“
Was für die Zerstörung der Krim-Brücke notwendig wäre
Während der Bundeskanzler lediglich von einer „sehr ernsten Angelegenheit“ spricht, schlachten russische Medien und Propagandisten das Thema möglicher Taurus-Lieferungen an die Ukraine weidlich aus. Sie werfen Deutschland vor, einen Krieg gegen Russland vorzubereiten. Das Gespräch belege die „Planungen von Kampfhandlungen gegen Russland, einschließlich der Zerstörung der zivilen Infrastruktur“, schimpfte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa. „Wir fordern von Deutschland Erklärungen.“
Es handelt sich bei dem 38 Minuten langen Gespräch um ein Vorbereitungsgespräch der Offiziere für ein Briefing für Verteidigungsminister Pistorius, wohl im Februar. In der Viererrunde mit dabei ist der Chef der Luftwaffe, Inspekteur Ingo Gerhartz. Es geht darin auch um militärisch sensible Informationen.
Einer der Beteiligten – wohl Luftwaffen-Inspekteur Gerhartz – erklärt, er könne sich vorstellen, dass in einer ersten Tranche 50 und dann noch einmal 50 Flugkörper geliefert würden, was aber das Geschehen des Krieges nicht ändern würde. Es geht um die Frage, wie viele Flugkörper für die Zerstörung der Krim-Brücke nötig wären.