Sahra Wagenknecht trifft sich mit ihrer neuen Partei zum Gründungsparteitag. Ist das ihr erster Schritt zur Macht? Oder entlarvt das Treffen internes Chaos?
Christian Leye ist ein Mann, der Stress gewohnt ist. In der Corona-Pandemie war er Mitarbeiter im Büro von Sahra Wagenknecht, dann saß er für die Linke im Bundestag. Aber jetzt hat sich sein Stress vervielfacht. Denn er ist neuer Generalsekretär der Partei „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW). Leye verteilt Aufgaben, schafft Strukturen, wirbt in der Öffentlichkeit für Unterstützung. Er klingt etwas gehetzt am Telefon: „Die Arbeit aktuell hat schon ein sportliches Niveau.“ Seine Tage sind lang und die Nächte kurz.
Leye legt organisatorisch den Grundstein der neuen Partei, die an diesem Wochenende gegründet wird: Am heutigen Samstag steht der erste Parteitag des „Bündnis Sahra Wagenknecht“ an. „Eine Partei aus der Taufe zu heben, die von Tag eins an politisch in die Situation eingreifen kann, kostet Kraft. Aber wir sind auf einem guten Weg“, sagt Leye durch den Hörer. Die Veranstaltung findet im früheren DDR-Kino „Kosmos“ statt.
Die über 400 sorgsam ausgewählten Mitglieder werden einen Parteivorstand und ein Präsidium wählen und über eine eigene Satzung abstimmen. Der Plan ist, ein organisatorisches Gerüst zu zimmern, an dem später der Erfolg hochgezogen werden soll.
Denn der Erfolg könnte kommen. Kurz vor dem Parteitag werden Zahlen in der Partei herumgeschickt: Die Umfragewerte aus den drei Bundesländern, in denen im Herbst gewählt wird. 8 Prozent in Sachsen, 17 Prozent in Thüringen, 13 Prozent in Brandenburg. Und das erst zwei Wochen nach der Parteigründung. Ein Traumstart.
Ein Spitzenfunktionär, der sich selbst „Finanzdetektiv“ nennt
Jetzt ist alles drin, so sehen das manche. Andere sind skeptisch. Denn die Frage ist nicht nur, ob sich die Werte halten lassen. Sondern vor allem, ob sich das Umfragehoch langfristig in Stimmen ummünzen lässt. Wie schwierig das werden könnte, das zeigt sich bereits in der Vorbereitung des Parteitags. Die Verantwortlichen planen, einen professionellen Auftritt ihres Spitzenpersonals zu inszenieren. Möglich ist aber auch, dass auf offener Bühne die Unbeholfenheit der jungen Partei entlarvt wird. Alles ist möglich.
Immerhin: Wie professionell es manchmal im neuen BSW läuft, lässt sich an der Verbindung zweier Männer besichtigen. Und zwar schon seit Monaten, sogar vor der eigentlichen Parteigründung. Der eine der beiden Männer ist Leye, der Generalsekretär. Der andere ist Fabio De Masi, ehemaliges Linke-Mitglied und Spitzenkandidat der BSW für die anstehende Europawahl. De Masi war für die Fraktion der Linken als „Aufklärer“ in zwei der größten Finanzskandale der Geschichte der Bundesrepublik tätig. Auf X, vormals Twitter, nennt er sich „Finanzdetektiv“. Er trumpfte im Wirecard-Untersuchungsausschuss als Kenner von Bilanzfälschungen auf und setzt bis heute den Kanzler in den illegalen Cum-Ex-Geschäften der Hamburger Privatbank Warburg unter Druck.
Sorgt De Masi für Unruhe?
Das macht er vor allem über Anfragen im Bundestag – wobei De Masi schon länger gar kein Parlamentarier mehr ist. Die Anfragen stellt Leye, der anders als De Masi noch im Bundestag sitzt. Die Ergebnisse stellt Leye dann De Masi zur Verfügung, um damit zu arbeiten, weiter aufzuklären – seinem Kollegen aber auch die Chance zu geben, sich in der Öffentlichkeit zu profilieren. Es ist eine der Rampen, die – abgesehen von der Spitzenfrau Wagenknecht – innerhalb des BSW vor dem Parteitag gebaut werden. Damit das neue Bündnis in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird.
Für 14 Uhr wird am Samstag die Rede von De Masi auf dem Parteitag erwartet. Primär wird er das Europawahlprogramm vorstellen. Doch schon jetzt gibt es Berichte, dass er der Partei eine wirtschaftspolitische Agenda verpassen will. Wenn De Masi beim Parteitag dazu erste Andeutungen macht, könnte das intern zu Unruhe führen – weil nicht alle davon überzeugt sind, dass es ein ökonomisches Profil braucht.
Die Dramaturgie erzählt etwas über die Verteilung von Macht
Die Parteitagsregie um Generalsekretär Leye steht auch vor einem ganz praktischen Problem: Einerseits ist die Spitzenfrau sogar Namensgeberin von „Bündnis Sahra Wagenknecht“. Andererseits wollen viele verhindern, dass die Partei zu einer Art One-Woman-Show verkommt. Leye hat das so gelöst, dass zunächst Amira Mohamed Ali, die zweite Parteivorsitzende, spricht, dann er selbst und dann erst Wagenknecht. Der Star soll schon reden – aber eben nicht als Erste. Leye sagt dazu t-online: „Natürlich ist die Reihenfolge der Hauptreden kein Zufall. Wir haben trotz eines straffen Zeitplans den Anspruch, dass interessante Menschen aus unterschiedlichen Teilen der Gesellschaft zu Wort kommen. Frau Wagenknecht wird dann gegen Mittag sprechen und entscheidende Akzente setzen.“