Der Moment des Sterbens ist ein Rätsel. Sicher ist: Kurz vor dem Tod schwinden nach und nach die Sinne. Welche zuerst versagen, darüber ist nun mehr bekannt.
Was geschieht in den letzten Stunden und Minuten vor dem Tod? Dieses Rätsel fesselt die Menschheit schon vom Anbeginn der Zeit – und kann mithilfe der Forschung zumindest in Teilen nach und nach gelüftet werden.
Die meiste Zeit in der Historie der menschlichen Spezies war das Sterben ein eher kurzer und schneller Prozess. Die moderne Medizin ermöglicht es jedoch inzwischen in vielen Fällen, dass schwerkranke Patienten nicht plötzlich, sondern allmählich sterben. Dadurch können Ärzte und Wissenschaftler auch den Sterbeprozess genauer untersuchen.
So haben Mediziner inzwischen herausgefunden, welchen Sinn Sterbende in den Stunden vor ihrem Tod zuerst verlieren.
Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin führt als typische von außen wahrnehmbare körperliche Anzeichen des bevorstehenden Todes folgende auf:
- Vermehrte Müdigkeit und Teilnahmslosigkeit
- Längere Schlafphasen bis hin zum Koma
- Reduzierung von Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme
- Reduzierung der Urinausscheidung
- Kalte Füße, Arme, Hände (schwache Durchblutung) oder übermäßiges Schwitzen
- Dunkle, livide Verfärbung der Körperunterseite, Hände, Knie und/oder der Füße (Marmorierung)
- Bleiche „wächserne“ Haut
- Ausgeprägtes Mund-Nase-Dreieck
- Schwacher Puls und Blutdruckabfall
- Veränderter Atemrhythmus (Cheyne-Stoke-Atmung)
- Reduzierte Wahrnehmung der Außenwelt (Zeit, Raum, Personen)
Gehör und Tastsinn versagen zuletzt
Wie genau sich die Wahrnehmung der Außenwelt für die Sterbenden verändert, darüber gibt es zahlreiche Berichte von Personen mit Nahtoderfahrungen oder von Angehörigen und Personal, die den Tod eines anderen Menschen begleitet haben.
Laut James Hallenbeck, Palliativmediziner an der Stanford University, gehen Menschen ihre Sinne und Bedürfnisse in der Regel in einer bestimmten Reihenfolge verloren. In „Palliative Care Perspectives“, seinem Leitfaden zur Palliativpflege für Ärzte, schreibt Hallenbeck: „Zuerst gehen der Hunger und dann der Durst verloren.“ Als Nächstes versage die Sprache, gefolgt vom Sehen. Zuletzt kommen dem Mediziner zufolge meist das Gehör und der Tastsinn abhanden.
David Hovda, Direktor des UCLA Brain Injury Research Center, einer Forschungseinrichtung im US-amerikanischen Los Angeles, erklärte diese Reihenfolge im US-amerikanischen Magazin „The Atlantic“ folgendermaßen: Das Gehirn starte einen Prozess, bei dem Bereiche geopfert würden, die für das Überleben weniger wichtig sind.
Der gleißende Tunnel: Was steckt dahinter?
Für die Wahrnehmung eines hell erleuchteten Tunnels bei manchen Nahtodpatienten hat Hovda eine Theorie: „Wenn das Gehirn beginnt, sich zu verändern und abzusterben, werden verschiedene Teile angeregt, und einer der Teile, die erregt werden, ist das visuelle System.“ Das sei der Moment, an dem Sterbende beginnen, Licht zu sehen, so der Forscher.
Auch Jimo Borjigin, Neurowissenschaftlerin und Professorin für molekulare und integrative Physiologie an der Universität von Michigan, berichtet, dass viele Überlebende eines Herzstillstands von erstaunlichen Erfahrungen während ihrer Bewusstlosigkeit erzählten: „Sie sehen Lichter und beschreiben die Erfahrung als realer als real“, so Borjigin.
Die Forscherin hat fest festgestellt, dass kurz vor dem Tod von Tieren die Menge bestimmter Neurochemikalien im Gehirn plötzlich ansteigt, und vermutet, dass dies auch bei Menschen zu den scheinbar halluzinogenen Reaktionen beitragen könnte.
Aktivität im Gehirn steigt kurz vorm Tod
Borjigin und ihr Forschungsteam hatten unter anderem ein Experiment an Ratten durchgeführt, deren Herz sie nach einer Betäubung zum Stillstand brachten. „Plötzlich wurden alle verschiedenen Regionen des Gehirns synchronisiert“, berichtete Borjigin. Die Gehirne der Tiere hätten eine höhere Leistung in verschiedenen Frequenzwellen gezeigt und auch die elektrische Aktivität von verschiedenen zusammenarbeitenden Gehirnregionen sei gestiegen.
Wenn man sich konzentriere, etwa versuche, ein Wort zu verstehen oder sich an ein Gesicht zu erinnern, sei dies verstärkt beobachtbar, so Borjigin. „Diese Parameter werden bei der Untersuchung des menschlichen Bewusstseins bei wachen Menschen häufig verwendet. Wir dachten also, wenn man wach oder erregt ist, sollten ähnliche Parameter auch im sterbenden Gehirn ansteigen.“ Die Forscher stellten fest: Das war tatsächlich der Fall.