Die AfD wehrt sich gegen die Einstufung als rechtsextremer Verdachtsfall vor Gericht. Das Urteil wird von ihren Gegnern mit Spannung erwartet. Es könnte für sie der Auftakt sein, um alle Register gegen die AfD zu ziehen.
Wenn heute in Münster vor Gericht darüber verhandelt wird, wie rechtsextrem die AfD ist und ob der Verfassungsschutz sie beobachten darf, wird ein Mann genau hinschauen: Marco Wanderwitz. Denn der sächsische CDU-Politiker, der unter Merkel Ostbeauftragter der Bundesregierung war, hat einen Plan: Er will die AfD verbieten. Seit Monaten führt der Jurist Gespräche mit Kollegen im Bundestag, sammelt Namen, führt Listen, rechnet die Mehrheiten und Chancen für einen Verbotsantrag im Parlament aus.
Wenn es nach Wanderwitz geht, kann es damit nicht schnell genug gehen. „Man muss das Eisen schmieden, solange es heiß ist“, sagt er zu t-online. „Und gerade ist die Dynamik hoch.“ Bisher aber fehlt eine wichtige Marke: das Verfahren in Münster. Wanderwitz wartet seit Monaten darauf. Eine „entscheidende Rolle“ spiele das Urteil für ein Verbotsverfahren, sagt er.
Mit dieser Einschätzung ist er nicht allein: Hört man sich in den anderen Parteien zu einem in den Medien wabernden Verbotsverfahren um, dann heißt es seit Wochen: Münster. Wir warten auf Münster.
Demokratiecheck vor Gericht
Deswegen geht es ab Dienstag in Münster nicht bloß um ein Berufungsverfahren. Es geht, gerade für die AfD, um mehr. Das Urteil nämlich könnte der Startschuss für Gegner der Partei sein, um alle Register gegen sie zu ziehen. Der Partei, der man politisch nicht beikommt – juristisch hofft man nun darauf, das Rüstzeug zu erhalten, sie zu untersagen.
Denn das Oberverwaltungsgericht Münster wird sich mit den Fragen befassen, die auch relevant sind, wenn eine Partei verboten oder ihr die Parteienfinanzierung gestrichen werden soll: Wie sehr wendet die Partei sich gegen die Grundpfeiler unserer Demokratie, gegen den Rechtsstaat? Wie rechtsextrem ist sie? Darf sie vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft und mit allen Mitteln beobachtet werden?
Es ist ein Parteien- und Demokratiecheck, bis auf die Nieren, durchgeführt von einer hohen und vor allem: einer unabhängigen Instanz.
Schon jetzt steht auch der Verfassungsschutz in den Startlöchern, um die AfD weiterzustufen, sie vom „Verdachtsfall“ zu einer „gesichert extremistischen Bestrebung“ zu erklären. Das zumindest berichtete Ende Februar die „Süddeutsche Zeitung“ unter Berufung auf interne Mails und Vermerke des Inlandsgeheimdienstes. Ein entsprechendes Gutachten soll seit Monaten in Vorbereitung sein, auch damit warte man: auf Münster.
275 Aktenordner und 15.000 Seiten
Der Ausgang des Verfahrens ist offen. Selbst in der AfD aber rechnet man sich wenig Chancen aus, das Verfahren zu gewinnen. Schon vor dem Kölner Verwaltungsgericht unterlag die Partei im März 2022 gegen den Verfassungsschutz. Parteichef Tino Chrupalla reiste zu dem Verfahren an – und wurde fotografiert vor einer meterlangen Wand aus grauen Aktenordnern, in denen unter anderem von Ermittlern die verfassungsfeindlichen Bestrebungen der AfD gesammelt wurden. Ein Foto, das Bände spricht.
Seither ist die Partei noch einmal deutlich weiter in Richtung „rechtsextrem“ gerückt – und hat viele weitere Aktenordner geliefert. Spitzenpositionen bekleiden immer häufiger Mitglieder des nur offiziell aufgelösten Höcke-Flügels, er hat seine Macht so erheblich ausgeweitet. Und die Scheu davor, ihre Gesinnung offen zu zeigen, haben viele von ihnen schon lange abgelegt.
275 Aktenordner steuert der Verfassungsschutz inzwischen zum Verfahren bei, wie eine Sprecherin des Oberverwaltungsgerichts t-online erklärt. Hinzu kommen 15.000 Seiten Gerichtsakten, die zum großen Teil digitalisiert sind. Zwei Drittel der Seiten wurden in Münster erarbeitet, ein Drittel stammt noch aus dem Verfahren in Köln.