Düsseldorf „Darf ich dich mal etwas Indiskretes fragen?“ Der Video-Anruf kommt von einer Teamkollegin. Man kennt und magazine sich. Doch die folgende Bitte überrascht: „Verrätst du mir, wie viel du verdienst?“, fragt sie und erklärt: Sie steht kurz vor der Gehaltsverhandlung und möchte einen Vergleichswert kennen, um von ihrer Vorgesetzten nicht abgespeist zu werden.
Ihre Frage klingt legitim – und dennoch ist da dieses Zögern. Denn über Gehalt zu sprechen, ist gerade im deutschsprachigen Raum nach wie vor ein Tabu.
Dabei lassen uns nicht nur persönliche Befindlichkeiten über unsere Vergütung schweigen. Oft herrscht vor allem Zweifel: Darf ich anderen überhaupt verraten, wie hoch mein Gehalt ist? Viele Arbeitsverträge enthalten nämlich pauschale Klauseln, die Mitarbeiter dazu verpflichten sollen, ihr Gehalt vertraulich zu behandeln.
Die meisten Beschäftigten können diese getrost ignorieren. Christoph Abeln, Fachanwalt für Arbeitsrecht, erklärt, dass derartige Verbote in der Regel unwirksam sind. „Arbeitnehmer, die über das Gehalt sprechen, obwohl der Arbeitsvertrag etwas anderes vorsieht, machen sich somit nicht strafbar“, so der Jurist weiter. „Auch angedrohte arbeitsvertragliche Sanktionen wie Abmahnung oder Kündigung sind nicht zu fürchten.“
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Diskretion schadet oft Frauen
Doch selbst wenn es kein gültiges Verbot gibt, ist die Diskretion in puncto Geld oft fest in der Firmenkultur verankert. Das Prinzip „über Geld spricht man nicht“ geht dann vor allem zulasten von Frauen, die in Verhandlungen oft weniger selbstbewusst auftreten und infolgedessen zurückstecken, beobachtet Karrierecoach und Verhandlungstrainerin Claudia Kimich. So betrug die um strukturelle Faktoren bereinigte Lohnlücke zwischen Männern und Frauen im Jahr 2020 laut Statistischem Bundesamt sechs Prozent.
Das 2017 in Kraft getretene Entgelttransparenzgesetz taugt nur eingeschränkt dazu, einen besseren Überblick über die Gehaltsstrukturen zu bekommen. Erstens gilt das Gesetz nur in Unternehmen ab 200 Mitarbeitern und klammert kleine Betriebe somit aus. Zweitens verschafft es Arbeitnehmern nicht das Recht, eine Auskunft zum konkreten Gehalt eines Kollegen in der gleichen Place zu bekommen. Es besagt lediglich, dass sie auf Wunsch Informationen erhalten, wie hoch der Verdienst der Vergleichsgruppe ist und nach welchen Kriterien er sich bemisst.
Karrierecoach Kimich hält es deswegen für sinnvoll, mit ausgewählten Kollegen offen in den Austausch über Gehälter zu gehen. „Am besten moderieren Sie das als eine Artwork Tauschhandel an“, rät die Expertin. Eine Frage wie „Wollen wir uns gegenseitig sagen, was wir verdienen?“ sei besser, als das Gegenüber auszuquetschen.
Erfahren Beschäftigte so, dass Kollegen bei gleicher Qualifikation mehr verdienen, können sie sich das dann im kommenden Gehaltsgespräch zunutze machen.
Kimich rät, dieses Wissen aber erst im zweiten Schritt preiszugeben: Wenn die Argumentation um die eigenen Leistungen nicht fruchtet, weil der Vorgesetzte zum Beispiel auf fehlenden finanziellen Spielraum verweist, kann die Verhandlerin diesen Joker ziehen, ohne konkret zu werden: „Wir wissen doch beide, dass andere Kollegen auf vergleichbaren Place hier deutlich mehr Gehalt bekommen.“
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