Zürich Es battle die erste Attacke, die er als Glencore-CEO hinnehmen musste – und Gary Nagle reagierte wie ein Diplomat. Vor rund einem Monat wurde bekannt, dass der aktivistische Investor Bluebell Capital von dem Schweizer Bergbaukonzern die Abspaltung des Kohlegeschäfts forderte. Statt den Angriff brüsk zurückzuweisen, zeigte sich Nagle offen für den Vorschlag. Wenn die Mehrheit der Aktionäre das Kohlegeschäft abspalten wolle, werde das Unternehmen auf seine Anteilseigner hören, versicherte er – wohlwissend, dass es dazu nicht kommen wird.
Dem Plan des Unternehmens, das Kohlegeschäft schrittweise zurückzubauen und bis 2050 klimaneutral zu produzieren, hatten bei der Hauptversammlung im vergangenen April 94 Prozent der Aktionäre zugestimmt. Eine Investorenrevolte muss Nagle additionally nicht fürchten.
Doch die Debatte um das Kohlegeschäft, die Bluebell angestoßen hat, dürfte auch im kommenden Jahr weitergehen, vor allem weil die Kohleproduktion 2022 zunächst um bis zu 20 Prozent steigen soll. Daher wird Nagle immer wieder erklären müssen, warum der von ihm geführte Konzern – anders als etwa die Konkurrenten Rio Tinto oder BHP – das Kohlegeschäft nicht abspalten will.
Für Nagle ist die Sache klar: Seine Strategie sei ein „verantwortungsvoller Weg“, mit fossilen Altlasten umzugehen. Glencore verpflichtet sich dazu, die Kohleproduktion schrittweise zu reduzieren und die Vorkommen nicht vollständig abzubauen. Danach sorgt der Konzern dafür, dass die Minen renaturiert werden. So soll es auch für andere Unternehmen unmöglich sein, die Minen weiter auszubeuten, verspricht der Konzernchef.
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Ein Spin-off würde zwar die CO2-Bilanz von Glencore schonen – doch die weltweiten Treibhausgase ließen sich so nicht senken, ist Nagle überzeugt. Ein Beispiel, das Nagles Sichtweise bestätigt, ist der Kohleausstieg von Rio Tinto: Der Bergbaukonzern verkaufte seine Anteile an der australischen Kestrel-Mine an ein Konsortium aus einem Privat-Fairness-Investor und einem indonesischen Kohleproduzenten. Der Deal brachte Rio Tinto 2,25 Milliarden Greenback Money und eine Entlastung der CO2-Bilanz. Doch dem Klima ist damit nicht geholfen: Die neuen Investoren signalisierten, die Mine bis auf die letzte Tonne ausbeuten zu wollen.
Nagles „verantwortungsvoller“ Umgang mit den fossilen Altlasten
Und auch der jüngste Anstieg der Preise für Kraftwerkskohle scheint Nagle recht zu geben: Dieser sorgte dafür, dass die Energiepreise in Schwellenländern wie Indien oder Südafrika in die Höhe schossen und die Gefahr einer Versorgungskrise erhöhten. Nagle, gebürtiger Südafrikaner, weiß, welche Bedeutung Kohle für die Energieversorgung in vielen Ländern immer noch hat. Diese zu sichern fällt für ihn ebenfalls unter den „verantwortungsvollen“ Umgang mit den fossilen Altlasten.
Dass die Zukunft des Kohlegeschäfts bei Glencore so stark im Fokus der Öffentlichkeit steht, hat auch mit Nagles Werdegang zu tun: Vor seiner Ernennung zum CEO leitete er das Kohlegeschäft von Glencore. Obwohl die Sparte zuletzt kaum mehr als zehn Prozent des Ebitda ausmachte, ist sie nach wie vor eine Kaderschmiede des Konzerns. Schon Ivan Glasenberg, langjähriger Glencore-Chef und Architekt der modernen Struktur als Bergbau- und Handelskonzern, begann seine Karriere als Kohlehändler.
Dabei gewinnen Metalle, die für die Energiewende benötigt werden, immer mehr an Bedeutung. Schon heute gehört der Schweizer Rohstoffriese zu den größten Kupferproduzenten weltweit. Das Metall wird in Elektroautos ebenso verbaut wie in Stromtrassen und Windkraftanlagen. Zudem dominiert Glencore den Markt für das Batteriemetall Kobalt.
Daher bescheinigen etwa die Analysten der Investmentbank RBC Capital Markets dem Unternehmen ein „überzeugendes Rohstoffportfolio“. Glencore sei von den großen Rohstoffkonzernen am besten positioniert, um hohe Gewinne und Dividenden für die Aktionäre zu erwirtschaften. Ähnlich sehen das die Experten von Goldman Sachs: „Wir sehen Glencore bestens positioniert, um von der Nachfrage nach Zukunfts-Rohstoffen zu profitieren.“
Bei Erfolg winkt ein Aktienkurs des Niveaus von 2011
Neben der Debatte um die Kohle könnten höchstens noch juristische Altlasten das erste Jahr von Nagle als CEO trüben. Im Sommer bekannte sich ein früherer Ölhändler des Konzerns wegen Korruption im Zusammenhang mit Ölgeschäften in Nigeria für schuldig. Unter anderem die US-Behörden sowie Strafverfolger in der Schweiz ermitteln noch in weiteren Fällen gegen Glencore.
Wenn Nagle die Transformation gelingt, könnte er schaffen, was seinem Vorgänger Glasenberg nie gelingen sollte: den Glencore-Aktienkurs wieder in Richtung des Niveaus vom Börsengang im Jahr 2011 zu hieven. Dann dürften auch die aktivistischen Investoren verstummen.
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