Münchens OB Reiter im Exklusiv-Interview über Tempo 30, Cannabis-Verbot und Angriffe auf Politiker.
Seit zehn Jahren regiert Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter die bayerische Landeshauptstadt mit ruhiger Hand. Im Interview mit t-online erklärt er, warum er auch bei Androhungen der Umwelthilfe zum Thema Schadstoffe nicht aus der Fassung gerät, wieso es eines Cannabis-Verbots für den Englischen Garten nicht bedurft hätte und warum der Münchner an sich wieder ein bisschen mehr Optimismus und Lebensfreunde gebrauchen könnte. Nicht kalt hingegen lässt ihn der Angriff auf den sächsischen SPD-Europapolitiker Matthias Ecke.
Herr Reiter, Sie haben sich mit Ihrem Vorschlag durchgesetzt, Tempo 30 in der viel befahrenen Landshuter Straße einzuführen. Wann wird das Tempolimit kommen?
Dieter Reiter: Das kann sehr schnell gehen. Wir müssen einige Schilder aufstellen. Dazu werden wir noch den ein oder anderen mobilen Blitzer installieren. Ich hoffe, dass wir das in wenigen Monaten umgesetzt haben.
Wird Tempo 30 als Maßnahme aber letztlich ausreichen, um die Grenzwerte für giftige Abgase dort einzuhalten?
Davon gehen wir aus. Die Entwicklung der letzten Jahre und Jahrzehnte hat gezeigt, dass sich die Luftwerte deutlich verbessert haben. Und wir sind auch an dieser einen Stelle nicht mehr so weit weg vom Grenzwert, sondern nur leicht drüber. Deshalb müssen die Maßnahmen immer auch verhältnismäßig sein. Ende des Jahres werden wir sehen, wo wir stehen. Ich habe immer schon gesagt: Sollte Tempo 30 nicht erfolgreich sein, werden wir ein zonales oder ein streckenbezogenes Diesel-Fahrverbot aussprechen – Letzteres wäre mir lieber.
Im Urteil des Verwaltungsgerichtshofs heißt es aber, dass die Stadt „weitere, restriktive Maßnahmen“ ergreifen muss, um die Grenzwerte einzuhalten. Die Umwelthilfe wirft Ihnen nach der Entscheidung für Tempo 30 sogar Rechtsbruch vor. Steht da nicht der nächste Ärger ins Haus?
Das Gericht hat das Ziel formuliert, dass wir als Stadt alles tun müssen, um die Luft sauber zu halten. Diesem Ziel stimme ich voll und ganz zu, deswegen sehe ich den Drohgebärden der Umwelthilfe sehr gelassen entgegen.
Muss man eine Verkehrswende aber nicht größer fassen: als ein Vorhaben, dass die Gesundheit vieler Tausender Bürger betrifft? Der Verkehr soll in München bis 2035 klimaneutral sein. So steht es im Koalitionsvertrag zwischen SPD und den Grünen. Wie soll das gelingen, wenn es in diesem Tempo weitergeht?
Die Gesundheit aller Bürgerinnen und Bürger in München hat für uns und für mich als OB oberste Priorität, das ist doch absolut klar. Wir sind immer noch auf einem sehr guten Weg, unser Ziel für 2035 einzuhalten. Dazu haben wir im Stadtrat sehr viele ehrgeizige Beschlüsse gefasst. Beispielsweise unsere Kohleverbrennung aufzugeben. Die Stadtwerke investieren dafür viele hundert Millionen Euro. Glücklicherweise können wir uns das in München noch erlauben, andere Städte können das nicht. Bund und Land sollten diese Kommunen lieber finanziell mehr unterstützen, statt immer in Sonntagsreden von Klimaneutralität zu sprechen.
Noch mal: Sie selbst haben mal von der „autoarmen City“ gesprochen. Wie wichtig ist Ihnen das Auto in der Innenstadt?
Ich glaube nicht, dass wir in Zukunft lebenswerte Städte sehen werden, in denen man mit dem Auto etwa bis zum Marienplatz fahren kann. Es muss niemand mit seinem Auto bis ans Rathaus fahren, um hier einzukaufen. Innerhalb des Altstadtrings werden wir alles tun müssen, um nur noch die Autos hereinzulassen, die wirklich reinmüssen. Den Großteil des Kfz-Verkehrs werden wir so aus der Altstadt heraushalten können.
Bis wann wollen sie das schaffen?
Wir haben uns dafür das Jahr 2030 vorgenommen. Dazu kommt aber: Selbst wenn alle Autos einmal mit E-Antrieb unterwegs sein sollten, haben wir immer noch ein Platzproblem. Denn Fahrzeuge brauchen viel Fläche im öffentlichen Raum und da ist es egal, ob sie fahren oder parken.
Paris verdreifachte die Parkgebühren für SUVs, um sie aus der Innenstadt zu vertreiben. Wäre so etwas für München auch denkbar?
Das wäre ziemlich schwer umzusetzen, denn man müsste etliche Ausnahmen, etwa für Handwerker, schaffen. Außerdem halte ich es für eine absolut ideologisch getriebene Vorgehensweise, SUV-Fahrer mehr zahlen zu lassen. Wir müssen vielmehr bessere Alternativen anbieten. Dazu gehört auch ein vernünftiger ÖPNV, der zuverlässig ist und in einem engen Takt fährt. Ich denke hier vor allem an die sehr anfällige S-Bahn. Nur wenn man Alternativen bieten kann, gelingt es auch, Verständnis für Maßnahmen zu bekommen, die Autos aus der Innenstadt weitgehend heraushalten.