Nach der Geiselnahme von Ulm rücken psychische Folgen von Auslandseinsätzen der Bundeswehr in den Blick. Ein Betroffener erzählt, wie traumatische Erfahrungen sein Leben verändert haben.
In Ulm kam es am Sonntag zu einer Geiselnahme. Der Täter soll ein 44-jähriger Bundeswehrsoldat mit psychischen Problemen sein, der auch in Afghanistan im Einsatz war, wie einzelne Medien berichteten. Polizei und Staatsanwaltschaft machen keine näheren Angaben zum Täter. Durch die Berichte sind die psychischen Folgen von Auslandseinsätzen stärker in den Blick gerückt, insbesondere Posttraumatische Belastungsstörungen, kurz PTBS. Experten gehen von rund 80.000 Betroffenen in Folge von Auslandseinsätzen der Bundeswehr aus.
Einer von ihnen ist Rüdiger Hesse. Der 57-Jährige war mehr als 35 Jahre bei der Bundeswehr und an fünf Auslandseinsätzen beteiligt – zweimal im Kosovo und dreimal in Afghanistan. 2014 erhielt er die Diagnose PTBS, mittlerweile ist er dadurch dienstunfähig und hat eine Selbsthilfegruppe gegründet.
t-online: Wie haben Sie gemerkt, dass sie unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung leiden?
Rüdiger Hesse: Erstes Anzeichen war ein Zucken meines Augenlides. Das ist mir bereits gegen Ende meines Auslandseinsatzes in Masar-e Scharif in Afghanistan morgens beim Rasieren aufgefallen. Damals dachte ich noch: Das renkt sich schon wieder ein. Ich hatte immerhin sechs Monate Afghanistan hinter mir. Bei der Untersuchung nach meiner Rückkehr bat ich dann um eine Rehakur. Die Truppenärztin sagte bereits bei diesem ersten Termin, dass eine Kur wahrscheinlich nicht ausreiche. Kurz nach der Untersuchung bin ich zusammengebrochen. Eine anschließende Untersuchung im Bundeswehrkrankenhaus bestätigte, dass es sich nicht um eine kurzzeitige Überlastung handelt.
Neben dem zuckenden Augenlid, welche Symptome hatten Sie noch?
Albträume, Schlafstörungen, Zahnabrieb, Konzentrationsstörungen, außerdem Spasmen, die meine Gesichtszüge sichtlich verändert haben – früher nannte man das Kriegszittern. Ich leide unter Depressionen und habe mich sozial immer mehr zurückgezogen. Denn viele alltägliche Situationen wurden zu einem Problem: Menschenansammlungen etwa. Da kann bereits die Schlange im Supermarkt zu viel werden. Auch Geräusche und Licht können mich triggern. Ich komme dann einfach nicht mehr aus dem Stressmodus heraus und bekomme plötzlich Angst- oder Panikattacken.
Auslandseinsätze der Bundeswehr
Seit 1959 befinden sich Soldatinnen und Soldaten in Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Anfangs beschränkten sich die Einsätze auf Hilfs- und Friedensmissionen. Das änderte sich 1999 mit der aktiven Teilnahme am Kosovokrieg.
Derzeit sind deutsche Bundeswehrsoldaten unter anderem im Irak und in Jordanien im Einsatz.
Was war der Auslöser Ihrer PTBS?
Es gab im Grunde keinen einzelnen Auslöser. Das hat sich bei mir über die Jahre aufgebaut. Nach meinem letzten Einsatz 2014 kam es dann zum Ausbruch. In der fortlaufenden Therapie hat sich herausgestellt, dass meine psychische Belastung bereits 1999 im Kosovo begonnen hatte. Minengefahr, verletzte Kinder und Kameraden und Massengräber haben meine Seele verletzt. In den darauffolgenden Jahren kam dann immer mehr dazu. Irgendwann ist das Maß, was ein Mensch ertragen und verarbeiten kann, eben voll.
Sind es immer so dramatische Erfahrungen, die eine PTBS auslösen?
Generell sind die Auslöser sehr individuell. Das können extreme Situationen wie ein Feuergefecht oder ein Mordanschlag sein. Manchmal reicht aber auch schon viel weniger. Bei einem Kameraden hat ein Steinschlag im Radkasten unseres Fahrzeugs das Fass zum Überlaufen gebracht. Er wurde blass und erstarrte regelrecht. Nicht mal als wir anhielten und ihm den Steinschlag zeigten, wurde es besser. Die ganzen Erlebnisse, die wir davor bereits gemacht hatten, waren in seinem Rucksack eben schon drin. Manchmal sind es die banalen Situationen, die einen Ausbruch zur Folge haben. Das Hauptproblem ist aber die Eingliederung in die „normale Welt“. Unsere Gesellschaft hat andere Sorgen, als sich um die Randgruppe der PTBS-Betroffenen zu kümmern.
Wie hat die Bundeswehr sich um Sie gekümmert?
Medizinisch bin ich sehr gut betreut worden. Fünfmal war ich zur stationären Behandlung in Krankenhäusern der Bundeswehr. Gerade in den vergangenen 15 Jahren sind hier große Fortschritte bei der Bundeswehr gemacht worden. Mittlerweile gibt es zum Beispiel sogenannte Einsatznachbereitungen. Dort werden die Einsätze mit speziell ausgebildeten Moderatoren nochmals durchgesprochen. Auch die Rückkehreruntersuchung hat sich verbessert. Spezielle PTBS-Fragebögen bei der Untersuchung oder Nachbereitungstreffen gab es bei meinen ersten Einsätzen noch nicht. Ein Problem ist aber die Bürokratie. Hier gibt es große Unterschiede zwischen aktiven und inaktiven Soldaten.