Noch vor dem Treffen der Minister reagierte der Verband der Verkehrsunternehmen (VDV) mit einem Transient an die Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz, Maike Schaefer (Grüne), Senatorin in Bremen. Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff verwies für die Branche auf das, worüber die Minister eigentlich mit dem Bund beraten wollten: die explodierenden Energiepreise, die Coronakrise und die Klimaziele. Der geplante Ticketrabatt und die damit verbundenen Einnahmeverluste trübten „die Lage noch einmal in ganz erheblicher Weise“.
Unternehmen warnen vor Kannibalisierung der Tickets
Die Unternehmenschefs der Nahverkehrsbranche hatten bereits am Donnerstagsabend beraten. Schnell stand fest, dass jedes Verkehrsunternehmen und jeder Verbund einen enormen Aufwand haben wird – womöglich sogar auch die Deutsche Bahn AG im Fernverkehr. „Es stellt sich angesichts des administrativen Aufwands die Frage, ob es nicht besser ist, für drei Monate alle umsonst fahren zu lassen“, hieß es ernüchtert.
In seinem Transient, der dem Handelsblatt vorliegt, warnte Wolff nun die Senatorin: „Bei einem Neun-Euro-Abo für die kommenden drei Monate jeweils monatlich, ist von exorbitanten zusätzlichen Einnahmeausfällen auszugehen. Einzelfahrscheine werden praktisch nicht mehr gelöst werden, da ein Neun-Euro-Abo diese Ticketart vollständig kannibalisieren wird.“
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Dies gelte bis hin zum Fernverkehr, „für den mit diesem Abo eine günstigere Different gelöst werden wird. Bestehenden Abo-Kunden, egal welcher Artwork, übrigens einschließlich der Inhaber von Jobtickets, wird durch die Unternehmen beziehungsweise Verbünde eine Erstattung gewährt werden müssen und darüber hinaus wird eine bislang nicht absehbare Anzahl von Neukunden das Neun-Euro-Abo in Anspruch nehmen.“
Die finanziellen Folgen seien „nicht abzusehen“. Fest stünde aber die Bürokratie: „erhebliche Overhead-Kosten“ für die Unternehmen durch „advert hoc erhebliche administrative, IT-basierte und vertriebliche Zusatzaufgaben“. Wolff forderte, Bund und Länder sollten den zusätzlichen Verkehr „quasi als Besteller“ anfordern und „sämtliche durch die politischen Beschlüsse entstandenen Einnahmeausfälle“ ausgleichen.
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Die Landesverkehrsminister wollten eigentlich wegen anderer Lasten viel Geld vom Bund. So seien wegen der explodierenden Energiekosten bereits viele mittelständische Verkehrsunternehmen „in ihrer Existenz gefährdet“, wie es in der Beschlussvorlage zur Sonderkonferenz heißt. Sie könnten etwa die Zusatzkosten „nicht zeitnah weitergeben“, was ohnehin nicht sinnvoll sei, sollen doch viel mehr Menschen den Nahverkehr nutzen, um das Klima zu schützen. Steigende Preise schreckten da ab. Laut Landesministern geht es um 900 Millionen Euro, die der Bund einmalig ausgleichen soll.
Auch wollen die Länder den Corona-Rettungsschirm ein weiteres Jahr aufspannen. 2021 erzielte laut Verband der Verkehrsunternehmen die Branche pandemiebedingt vier Milliarden Euro weniger aus Fahrgeldern, dieses Jahr rechnen sie mit 3,1 Milliarden. Bisher gleichen Bund und Länder die Verluste zu gleichen Teilen aus. Die Fahrgastzahlen liegen immer noch deutlich unter dem Niveau von 2019. Bis zum Jahresende hofft der Verband, auf ein Niveau von 85 Prozent zu kommen.
Vorschlag sorgt für viel Frust in der Branche
Zu guter Letzt geht es den Ländern darum, mit einem deutlich ausgebauten Nahverkehr samt modernen Bussen und Bahnen auch die Klimaziele zu erreichen und die Fahrgastzahlen wie politisch gewünscht bis 2030 zu verdoppeln. Dazu haben sie vom Bund bereits 67,5 Milliarden Euro bis 2030 gefordert, was dieser abgelehnt hat. Für dieses Jahr verlangen sie 750 Millionen Euro und drei Milliarden Euro jährlich mehr Regionalisierungsmittel ab 2023.
Es geht additionally ohnehin schon um viele Milliarden Euro. Nun muss die Bundesregierung auch noch den Ticketrabatt ausgleichen. Der Vorschlag warfare nicht mit der Branche abgesprochen und hat für viel Frust gesorgt.
Kein Wunder, dass die Pressekonferenz am Freitag deutlich später als geplant begann. „Es haben sich viele Fragen für uns in den Ländern gestellt, wie man die Regelung pragmatisch umsetzen möchte“, erklärte die Vorsitzende Schaefer nach intestine drei Stunden Verspätung. Die Konferenz habe mehrheitlich den Bund aufgefordert, „den administrativen Aufwand gering zu halten“ und das Angebot „voll zu finanzieren“. Die Runde empfahl, „statt neun Euro für 90 Tage einen Nulltarif einzuführen“, sagte Schaefer. „Dann machen wir es einmal richtig.“
„Es geht darum, den Energieverbrauch insgesamt zu reduzieren“, rechtfertigte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) den Ticketrabatt auf neun Euro für drei Monate für Abonnenten wie Einzelkartenkäufer. „Die Kosten werden wir den Ländern erstatten“, sagte der Minister. Es gehe um 2,5 Milliarden Euro oder womöglich mehr.
Ein Kostenlos-Ticket lehnte er ab. Dies würde vermutlich ein bis zwei Milliarden Euro mehr kosten. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe soll nun schnell beraten. Am 1. Mai soll es losgehen.
BVG-Chefin fordert mehr Geld für Nahverkehr auf dem Land
Der Vorschlag für den Ticketrabatt warfare von den Grünen im Berliner Koalitionsausschuss eingebracht worden, um einen Kontrapunkt zum Tankrabatt zu setzen. Mit ihm hatte zuvor Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) SPD und Grüne überrumpelt. So würden „nicht mehr nur wie bisher Autofahrerinnen und Autofahrer entlastet“, sagte der verkehrspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion Stefan Gelbhaar.
FDP-Fraktionschef Tobias Dürr sagte nach der Einigung: „Uns warfare wichtig, dass es Entlastung an der Tankstelle gibt.“ Gelbhaar forderte, der Ticketrabatt für den Nahverkehr müsse nun „klug ausbuchstabiert werden, um nachhaltig Kunden zurück- oder neu zu gewinnen“. Schließlich fürchten die Unternehmen, Abonnenten dauerhaft zu verlieren, wenn diese kündigen, um drei Monate für dann 27 Euro statt der üblichen 200 Euro oder mehr zu fahren.
Die Chefin der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), Eva Kreienkamp, schlug vor, neben dem Rabattticket den Nahverkehr in Stadtrandgebieten und im ländlichen Raum deutlich auszubauen. „Erst mal mit Bussen, bevor überall Schienen verlegt werden müssten“, sagte die BVG-Chefin dem Handelsblatt. „Dann würden wirklich Menschen umsteigen.“
Sie verwies darauf, dass preiswerte Tickets „nur mit signifikant gestiegenem Angebot“ wirkten. „Das haben wir aus Wien gelernt“, sagte sie. In Wien gibt es ein 365-Euro-Ticket. Dies wurde in mehreren deutschen Städten für ein Jahr getestet, was aber kaum für neue Kunden im Nahverkehr gesorgt hatte.
Zunächst geht es jedoch darum, das Sonderticket für 90 Tage in das bestehende Tarifsystem einzubauen, was einer „quasi gesetzgeberischen Nomenklatura unterliegt“, wie der VDV das komplizierte Abstimmungsverfahren bezeichnet. „Wir arbeiten gerade mit Hochdruck an einer Branchenlösung“, erklärte ein Sprecher des Verbands. Zuständig für die Nahverkehrstarife sind die Bundesländer.
In der Branche kursiert bereits ein Vorschlag der Berliner BVG. Darin fordert das Unternehmen, dass Abonnenten drei Monate kostenlos fahren. „Aufwand und Organisation wären deutlich reduziert (Abo einfach ruhen lassen)“, heißt es in dem Papier. Wer eine Jahreskarte kauft, soll ebenfalls drei Monate umsonst fahren. Alle anderen sollen das Neun-Euro-Monatsticket on-line kaufen können. Kurzfristig sei zusätzlich ein autofreier Sonntag sinnvoll, um ein Sign zu setzen. „Professional autofreiem Sonntag können 300.000 Liter Kraftstoff eingespart werden.“
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