Frankfurt, Zürich In ganz Europa zerbrechen sich Finanzmanager den Kopf darüber, wie sie mehr Firmen einen Gang an die Börse schmackhaft machen können. Jos Dijsselhof von der Schweizer Börse Six hat deshalb das Phase Sparks eingeführt, in dem die Hürden für einen Börsengang deutlich niedriger sind als an anderen Handelsplätzen.
Der Six-Chef will auf diese Weise nicht nur Schweizer Unternehmen anlocken, sondern auch Mittelständler und Wachstumsfirmen aus der Bundesrepublik. „Wir wollen mit unserem Angebot auch Firmen aus Deutschland und anderen europäischen und außereuropäischen Ländern ansprechen“, kündigte Dijsselhof im Gespräch mit dem Handelsblatt an.
„Besonders attraktiv sind Börsengänge in der Schweiz in Segmenten wie Pharma, Biotech und Banking, da es dort bereits mehrere starke börsennotierte Schweizer Unternehmen gibt“, sagt der Niederländer. Investoren bevorzugten es schließlich, wenn an einer Börse mehrere Firmen aus einer Branche vertreten seien, die sich vergleichen ließen.
Bisher ist an der Schweizer Börse kein deutsches Unternehmen gelistet. Aus Sicht von Dijsselhof soll das jedoch nicht so bleiben – und er hat dabei auch Begin-ups aus dem Finanz- und Versicherungssektor im Blick. „Perspektivisch sehe ich gute Chancen, dass sich Zürich zum präferierten Börsenplatz für europäische Fintechs und Insurtechs entwickelt.“
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Firmen, die im Spark-Phase gelistet werden, brauchen dafür keinen umfassenden Geschäftsbericht. Zum Thema Company Governance können sie alternativ einen 29-seitigen Fragebogen ausfüllen, der auf der Six-Internetseite abrufbar ist.
Darüber hinaus hilft der Börsenbetreiber dabei, dass Analystenberichte über die Firmen erstellt werden, was für Investoren wichtig ist. Und er bereitet Führungskräfte in Workshops darauf vor, was auf sie bei und nach einem Börsengang zukommt.
Die Angst des Mittelständlers vor der Börse
Die Deutsche Börse hat mit Scale bereits 2017 ein Phase für Mittelständler und Wachstumsunternehmen ins Leben gerufen. Es löste damals den Entry Customary ab, der bei vielen Anlegern keinen guten Ruf genoss. Die Zugangskriterien bei Scale sind zum Teil ähnlich wie bei Sparks, es gibt jedoch auch Unterschiede.
Innerhalb der Deutschen Börse können sich einige eine weitere Absenkung der Anforderungen für Börsengänge in Frankfurt vorstellen. „Für junge Unternehmen, die neu an die Börse gehen, sollten passgenauere Transparenzanforderungen gelten als für etablierte Unternehmen, die schon länger am Kapitalmarkt aktiv sind“, sagte Vorstandsmitglied Thomas E-book Ende 2021 im Handelsblatt-Interview.
Die Deutsche Börse und die Six hadern beide damit, dass hoffnungsvolle Unternehmen aus Deutschland und der Schweiz manchmal lieber in den USA an die Börse gehen, weil sie dort höhere Bewertungen erzielen können.
Zudem wissen beide, dass es nicht einfach ist, gerade konservative Mittelständler von einem Börsengang zu überzeugen. Diese Firmen sind nämlich oft verschwiegen und fürchten, dass sie nach einem Preliminary Public Providing (IPO) plötzlich über sehr viele Dinge berichten müssen.
„Diese Angst wollen wir ihnen nehmen, indem wir ihnen deutlich machen, was bei einer Börsennotierung offengelegt werden muss und was nicht“, sagt Dijsselhof. „Ich bin mir bewusst, dass wir dabei einen langen Atem brauchen.“
Die Börse Madrid (BME), die seit 2020 zur Six gehört, hat bereits 2009 ein Wachstumssegment eingeführt. „Es hat lange gedauert, bis Unternehmen dort Vertrauen gefasst haben, aber mittlerweile läuft es richtig intestine“, berichtet Dijsselhof. Allein im vergangenen Jahr gab es im BME-Progress-Phase 16 Börsengänge.
Interesse an großer Übernahme in Asien
Für die Schweizer Börse hatte der 2,6 Milliarden Euro schwere Kauf der Börse Madrid strategisch große Bedeutung. Die EU hat 2019 nämlich entschieden, die Handelsstandards in der Schweiz nicht mehr als gleichwertig anzuerkennen. Seitdem dürfen unter anderem keine Aktien aus EU-Staaten mehr an der Six gehandelt werden.
Laut Dijsselhof hat dies jedoch kaum Auswirkungen auf die Six. Der Handel mit EU-Aktien sei ein „vernachlässigbar kleiner Teil“ des Geschäfts gewesen. Auch bei den strategischen Optionen gebe es dank des Zukaufs in Spanien keine Einschränkungen mehr. „Wenn es in Zukunft irgendwelche Geschäfte geben sollte, die wir aufgrund von EU-Regulierung nicht in der Schweiz anbieten können, dann tun wir das eben in Madrid.“
Mit den Standbeinen in der Schweiz und Spanien sieht Dijsselhof den Konzern nun intestine positioniert. „Zukäufe von weiteren europäischen Börsenbetreibern stehen zurzeit nicht auf der Agenda.“
Außerhalb Europas ist der Vorstandschef dagegen offen für große Zukäufe. „Interessant wäre für uns die Übernahme einer Börse in einer anderen Weltregion, die ungefähr so groß ist wie wir und durch die wir einen zusätzlichen Markt erschließen würden“, sagt er. „Ich könnte mir da beispielsweise Asien vorstellen, wo viele unserer Kunden immer stärker aktiv sind.“
Wachsen will die Six zudem im Kryptogeschäft – sowohl durch die Entwicklung eigener Lösungen als auch durch Übernahmen. „Ich würde gern eine gute Lösung für die Verwahrung anbieten, bei der Investoren sicher sein können, dass ihre Vermögenswerte geschützt sind“, sagt Dijsselhof.
Six-Chef hält nichts von Kryptowährungen
Der Einstieg in den Handel mit Kryptowährungen stehe dagegen aktuell nicht auf der Agenda, weil sich Plattformen wie Coinbase in diesem Bereich bereits etabliert hätten. Für die Six sieht Dijsselhof im Handel deshalb „mehr Gelegenheiten bei anderen digitalen Vermögenswerten“.
Persönlich sieht der Six-Chef Kryptowährungen kritisch. Er findet, dass Investments mit einem klaren ökonomischen Wert unterlegt sein sollten. „Wenn dieser ökonomische Wert nicht klar definiert ist, kommt es lediglich auf Angebot und Nachfrage an.“ Bei vielen der großen Kryptowährungen ist das Angebot nur durch Rechenleistung begrenzt. „Das würde mich als Investor beunruhigen“, sagt Dijsselhof.
Das sei jedoch nur seine persönliche Meinung, das andere sei die Nachfrage der Kunden, betont der Six-Chef. „Die Kryptobranche ist so stark gewachsen, dass es sehr schwer ist, sie zu ignorieren.“ Auch viele Schweizer Banken, denen die Six gehört, haben ihre anfängliche Zurückhaltung inzwischen abgelegt und bieten ihren Kunden nun Kryptoinvestments an.
Zahlreiche Profiinvestoren sind nach Einschätzung von Dijsselhof dagegen weiter zurückhaltend. „Natürlich behaupten viele Kryptobörsen, die oftmals gar keine richtigen Börsen, sondern nur Dealer sind, dass sie viele institutionelle Investoren haben“, sagt der Six-Chef. „Aber die echten institutionellen Investoren, mit denen wir sprechen, würden ihr Geld nie bei solchen Handelsplätzen investieren.“
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