Drei Tage intensive Gespräche: Im neuen Bürgerrat „Forum gegen Fakes“ tauschen sich 120 Menschen aus ganz Deutschland zum Umgang mit Desinformation aus. Was es damit auf sich hat.
Am Freitag startete der Bürgerrat „Forum gegen Fakes“. Bürgerbeteiligung ist wichtiger denn je. Sie trägt dazu bei, die in die Jahre gekommenen demokratischen Prozeduren zu erneuern. Denn viele Menschen haben Sorge um unsere Demokratie, zweifeln an den traditionellen politischen Institutionen, misstrauen der Politik. So machen sich laut einer Forsa-Umfrage aus dem Januar 63 Prozent der Bundesbürger große oder sogar sehr große Sorgen um den Bestand unserer freiheitlichen Grundordnung.
Während die einen den Wandel hin zu einem autoritären Staat befürchten, der die Freiheiten, die uns die Demokratie gewährt, einschränkt, hoffen die anderen darauf, dass Entscheidungen endlich schneller und ohne viel Gerede getroffen und umgesetzt werden, in der Erwartung, dass diese in ihrem Sinne sind. Die gute Nachricht ist: Bedrohungsgefühl und geschwundenes Vertrauen beziehen sich zumeist nicht auf das demokratische System an sich. Zweifel bestehen vielmehr an der aktuellen politischen Praxis, also daran, wie Demokratie ausgeübt, gelebt und täglich in den Medien oder Social Media präsentiert wird.
Verbesserungsbedarf in der politischen Praxis gibt es in der Tat. Gleichzeitig ist Auseinandersetzung wichtiger Bestandteil der Demokratie. Aber: Es gibt keine einfachen Antworten und Lösungen. Die Situation ist zu komplex, die Bedürfnislagen der Menschen sind zu unterschiedlich, die Herausforderungen zu vielfältig und zu massiv.
Gemeinsam Lösungen finden
An der Beantwortung der großen politischen und gesellschaftlichen Fragen unserer Zeit und der Entwicklung von in der Breite der Gesellschaft akzeptierten Maßnahmen müssen alle mitwirken: neben der Politik auch die Wirtschaft, die Wissenschaft, die Zivilgesellschaft und vor allem die Bürgerinnen und Bürger. Sollten wir uns beispielsweise darauf einstellen, uns – als Teil von Europa – selbst verteidigen zu können, und was heißt das? Was bedeutet das Thema Migration für die einzelne Stadt, das einzelne Dorf, und wie soll vor Ort damit umgegangen werden? Wie gelingt die Transformation hin zu einer klimaneutralen Zukunft als Individuum, Familie, Gesellschaft? Wie gehen wir mit Desinformation und gezielter Manipulation der öffentlichen Meinung um?
Ein Schlüssel zur Beantwortung dieser Fragen liegt bei mehr Bürgerbeteiligung. Die Bertelsmann Stiftung hat deshalb das Beteiligungsprojekt „Forum gegen Fakes – gemeinsam für eine starke Demokratie“ initiiert. Um so viele Menschen wie möglich an der Ergründung des Themas zu beteiligen, werden zwei verschiedene Arten der Beteiligung miteinander kombiniert.
Die Gastautorin
Dr. Angela Jain ist Senior Project Managerin bei der Bertelsmann Stiftung im Programm Demokratie und Zusammenhalt. Sie befasst sich seit vielen Jahren mit Bürgerbeteiligung und Demokratie-Innovationen.
Zum einen gibt es eine breitangelegte Online-Beteiligung auf www.forum-gegen-fakes.de, die auch von t-online unterstützt wird. Hier ist die gesamte Bevölkerung aufgerufen, Ideen zum Umgang mit Desinformation vorzuschlagen. Zum anderen diskutiert ein vielfältig zusammengesetzter Bürgerrat aus 120 zufällig ausgewählten Menschen die Ergebnisse aus der Online-Community.
Bürgerrat gegen Desinformation
An diesem Wochenende tagt der Bürgerrat zum ersten Mal in Berlin. In den kommenden Monaten erarbeiten die Bürgerinnen und Bürger gemeinsam Empfehlungen zum Umgang mit Desinformation. Im September werden die Ergebnisse öffentlich vorgestellt und dem Bundesinnenministerium übergeben. Die darin enthaltenen Politikempfehlungen nutzt das Ministerium bei der Erarbeitung der Strategie zum Umgang mit Desinformation.
Der Gastautor
Dr. Dominik Hierlemann ist Senior Advisor bei der Bertelsmann Stiftung. Er beschäftigt sich mit deutscher und europäischer Demokratie und hat zahlreiche innovative Beteiligungsprojekte initiiert und moderiert.
Ein Beteiligungsprozess wie dieser nützt uns allen. Er aktiviert Menschen, sich zu engagieren, und hat das Potenzial, das Vertrauen der Beteiligten in die Demokratie zu stärken. Und er zeigt umgekehrt, dass Bürgerinnen und Bürger in der Lage sind, sich konstruktiv einzubringen und an Lösungen mitzuarbeiten. In Zeiten der multiplen Krisen und komplexen Herausforderungen genügt Wählen allein nicht.
Ein konstruktives Zusammenwirken und eine aktive Einbindung von Bürgerinnen und Bürger in politische Diskussions- und Entscheidungsprozesse sind auf allen politischen Ebenen in Deutschland ausbaufähig – auch wenn der Bundestag gerade seinen ersten Bürgerrat durchgeführt oder Baden-Württemberg die „Politik des Gehörtwerdens“ zu seinem politischen Markenkern erklärt hat. Aber Partizipation muss auch Wirkung zeigen, um das Engagement der Beteiligten aufrechtzuerhalten.
Um die Demokratie zu stärken, müssen wir unsere demokratischen Verfahren neu denken. Wir müssen kreativ über ein Update des Betriebssystems unserer Demokratie nachdenken.