London Die Krise des britischen Premierministers Boris Johnson spitzt sich dramatisch zu. Am Ende einer turbulenten Woche trat nun auch noch Brexit-Minister David Frost zurück. Als Grund nannte er in seinem Rücktrittsschreiben vom Samstag, dass der Aufbau einer neuen Beziehung zur EU eine langfristige Aufgabe sei, die jemand anderes übernehmen solle.
Zugleich betonte er aber explizit, dass er „Sorgen“ über den Kurs der Regierung habe. Laut „Mail on Sunday“, die zuerst über den Rücktritt berichtet hatte, geht Frost aus Protest gegen die „politische Richtung“ der Regierung in der Coronapolitik, der Steuerpolitik und dem Klimaschutz.
Der Rücktritt seines loyalen Brexit-Sherpas ist ein echter Tiefschlag für Johnson. Denn er verstärkt die wachsenden Zweifel in der konservativen Partei an ihrem Anführer.
Laut „Mail on Sunday“ hatte Frost seinen Rücktritt gegenüber Johnson bereits vor einigen Tagen erklärt, nachdem er sich im Kabinett vergeblich gegen die neuen Corona-Maßnahmen ausgesprochen hatte. Daraufhin hatten sich beide geeinigt, dass Frost noch bis Januar im Amt bleiben solle.
Prime-Jobs des Tages
Jetzt die besten Jobs finden und
per E-Mail benachrichtigt werden.
Die Corona-Politik battle für Frost laut „Mail on Sunday“ der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die Einführung der 3G-Regel für bestimmte Occasions stößt auf erbitterten Widerstand in der Partei. Diese Woche hatten 99 konservative Abgeordnete gegen das Corona-Paket gestimmt. Es battle die größte Tory-Rebel seit dem Brexit-Aufstand gegen die frühere Premierministerin Theresa Could im Jahr 2019.
Frost sieht aber auch die Steuererhöhungen und die ambitionierten Klimaschutzpläne der Regierung kritisch. In seinem Rücktrittsbrief schrieb er: „Ich hoffe, dass wir so schnell wie möglich dahin gelangen, wo wir hin müssen: zu einer leicht regulierten, unternehmerischen Wirtschaft mit niedrigen Steuern.“
In den vergangenen Monaten hatte der Brexit-Minister bereits in Reden davor gewarnt, das europäische Gesellschaftsmodell mit der hohen Staatsquote und den hohen Umweltauflagen zu imitieren. Er ist ein Verfechter eines „sauberen“ Brexits, der die Unabhängigkeit von der EU maximiert und auf Deregulierung setzt.
Das Verhalten eines „Souveränitätspuristen“
Ein weiterer Grund für den Rücktritt dürfte sein Scheitern bei den Nordirland-Gesprächen mit der EU sein. Seit Monaten versucht Frost, weitreichende Änderungen am Nordirlandprotokoll durchzusetzen. Unter anderem will er die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs für den britischen Landesteil Nordirland wieder abschaffen. Die EU lehnt dies kategorisch ab.
Ein britischer Diplomat hatte zuletzt signalisiert, dass man in der Frage des EuGH einlenken werde. Dies will Frost offenbar nicht mittragen.
Sein Rücktritt zeige beispielhaft das Verhalten aller „Souveränitätspuristen“, twitterte Politikexperte Anton Spisak vom Tony Blair Institute. „Sobald sie erkennen, dass ihre Entscheidungen schwierige Kompromisse bedeuten, packen sie ihre Sachen und geben anderen die Schuld an ihrem eigenen Durcheinander“.
Der Abgang bringt den Premier nun in eine höchst verwundbare Lage. Nach der Corona-Rebel im Parlament verloren die Konservativen am Donnerstag auch noch bei einer Nachwahl ihre Hochburg North Shropshire. Die Schuld an der Niederlage sehen die Konservativen bei Johnson persönlich, nachdem dieser in den vergangenen Wochen einen Skandal nach dem anderen produziert hatte.
In London wird bereits über einen Wechsel des Premierministers im neuen Jahr spekuliert. Außenministerin Liz Truss und Finanzminister Rishi Sunak sondieren angeblich ihre Chancen bei den Abgeordneten. Auch über Frosts Ambitionen wird spekuliert. Er ist einer der beliebtesten Minister und dürfte mit seiner Kritik an Steuererhöhungen und Klimaschutzplänen an der Foundation gepunktet haben.
Die Opposition nutzte den neuerlichen Zwist im Kabinett umgehend zum Angriff. „Frosts Rücktritt zeigt, dass die Regierung im Chaos ist“, twitterte die Brexit-Beauftragte der Labour-Partei, Jenny Chapman. „Das Land braucht Führung, nicht eine lahme Ente als Premier, dessen Abgeordnete und Kabinett den Glauben an ihn verloren haben.“
Auch der ehemalige Anführer der Brexit-Partei meldete sich zu Wort. Frost sei zurückgetreten, „weil er ein Konservativer und wahrer Brexiteer ist“, lobte Nigel Farage. „Boris Johnson ist keins von beiden.“