Die Lage in der von Ausschreitungen schwer erschütterten Republik Kasachstan in Zentralasien bleibt unübersichtlich.
(Foto: dpa)
Berlin Ausgebrannte Regierungsgebäude, rostige Autoskelette auf den Straßen, schwarz verschmierte Fassaden von Fernsehsendern. Die Überreste der Verwüstungen in vielen Städten Kasachstans und vor allem in der Wirtschaftsmetropole Almaty sind erschreckend.
Nach staatlichen Angaben, die sich wegen des abgeschalteten Internets und teilweise lahmgelegter Mobilfunknetze nicht überprüfen lassen, seien bei den Protesten 164 Menschen getötet und über 5800 Menschen festgenommen worden, darunter angeblich auch Ausländer.
Er habe die Lage inzwischen wieder weitgehend unter Kontrolle, verlautbarte Kasachstans Präsident Kassym-Jomart Tokajew am Sonntag im Staatsfernsehen. Es werde aber weiter mit den von Russland geführten Truppen des von Moskau dominierten Militärbündnisses OVKS gegen einzelne Aufstandsherde vorgegangen.
Indes weisen politische Beobachter in Kasachstan darauf hin, dass der eigentliche Machtkampf weiter anhält. So soll Tokajew jetzt den „Elbasy“, den Führer der Nation, zunehmend entmachten: Nursultan Nasabajew conflict 29 Jahre lang Präsident, bevor er 2019 das Amt an Tokajew übergab und Chef des nationalen Sicherheitsrats wurde und damit De-facto-Staatschef. Am Mittwoch setzte Tokajew Regierung und Nasarbajew ab, nachdem bei den wegen einer Verdoppelung des Autogaspreises auf 24 Cent entstandenen Protestmärschen immer lauter „Schal ket!“ (Hau ab, alter Mann) gerufen worden conflict.
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Der 81-jährige Nasarbajew ließ zwar am Sonnabend erklären, er sei freiwillig abgetreten. Aber zugleich wurde bekannt, dass Tokajew den Inlandsgeheimdienstchef Karim Masimow unter dem Vorwurf des „Hochverrats“ und weitere hochrangige Sicherheitskräfte festsetzen ließ. Masimow conflict zweimal Premier unter Nasarbajew und dessen enger Vertrauter.
Will Tokajew seine Macht ausbauen?
Tokajew ist nun anstelle Nasarbajews auch parallel Sicherheitsratschef und werde „die Scenario ausnutzen und seine Macht ausbauen“, sagt der kasachische Politologe Dosym Satpajew: „Absolute Macht erlaubt absolut alles.“
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Nasarbajew, dessen Familie Milliarden angehäuft und die Kontrolle über zahlreiche wichtige Konzerne des Landes übernommen hat, habe zwei Jahre lang argwöhnisch betrachtet, ob Tokajew es sich traue, gegen den bisher quick allmächtigen „Führer der Nation“ vorzugehen.
Die zentralasiatische Republik liefert zehn Prozent des in Deutschland verbrauchten Rohöls, ist der weltgrößte Uranproduzent und ein Land, in dem sowohl Russland wie auch die USA Großinvestoren sind. Kasachstan rückt zunehmend in den Mittelpunkt des immer heftigeren Streits zwischen Washington und Moskau.
Der russische Vizeaußenminister Sergej Rjabkow kündigte im Vorfeld der für Montag und Dienstag angesetzten Gespräche zwischen Russland und den USA über ein neues Sicherheitskonzept für Europa an, sein Land werde nicht mit den Amerikanern über die Lage in Kasachstan reden.
164 Menschen bei Unruhen in Kasachstan getötet
Zuvor hatte US-Außenminister Antony Blinken geätzt: „Manchmal ist es schwer, Russen aus dem Haus zu bekommen, wenn sie erst einmal drin sind.“ Russland hatte im Rahmen seines OVKS-Bündnisses mindestens 75 Militärmaschinen nach Kasachstan entsandt. Moskaus Außenministerium schlug verbal zurück: „Wenn Amerikaner im Haus sind, wird es schwer, am Leben zu bleiben und nicht vergewaltigt zu werden.“
US-Firmen wie die Ölkonzerne Exxon-Mobil und Chevron, der Fleischverarbeiter Tyson Meals und der Agrarkonzern Yalmont Industries haben seit Kasachstans Unabhängigkeit 54 Milliarden Greenback dort investiert. Aber auch russische Ölkonzerne sind stark vertreten. Wegen der Unruhen haben die führenden kasachischen Milliardäre vorige Woche drei Milliarden Greenback an Börsenwerten verloren. Auch die Kryptowährung Bitcoin steht unter Druck wegen des Web-Abschaltens in Kasachstan: Aufgrund der billigen Energie wurden dort bisher große Mengen an Bitcoin „geschürft“. Wann diese Operationen wieder anlaufen, ist offen.
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